CDU-Fraktionsvize kritisiert Griechenland-Schelte

Moderation: Jan-Christoph Kitzler · 07.08.2012
Immer mehr Politiker der Regierungskoalition spekulieren offen über ein Euro-Aus für Griechenland. Der CDU-Außenpolitiker Andreas Schockenhoff hält solche Äußerungen für falsch, denn damit würden die Märkte weiter verunsichert.
Jan-Christoph Kitzler: Die Sommerzeit ist normalerweise die Zeit, in der es Themen in die Nachrichten schaffen, die sonst eher wenig Aufmerksamkeit genießen, doch in diesem Jahr ist alles etwas anders – denn wir werden die Krise nicht los. Die Finanzmärkte lassen Länder wie Griechenland, Italien, Spanien nicht von der Kette, und im diesjährigen politischen Sommertheater geht es deshalb um sehr ernste Fragen wie um den Rauswurf Griechenlands aus dem Euroraum oder um die Vergemeinschaftung der europäischen Schulden. Es gibt immer wieder Berichte darüber, die Politiker seien in der Krise überfordert, die Parlamente, die über immer größere Rettungspakete in immer kürzerer Zeit beschließen müssen, kommen nicht mehr hinterher.

Mario Monti, Italiens Regierungschef, hat in diesen Tagen einen ganz praktischen Vorschlag gemacht. Inzwischen ist er zwar ein wenig zurückgerudert, aber kurz gesagt, hat er den Regierungen in Europa mehr Unabhängigkeit von ihren Parlamenten empfohlen. Darüber habe ich mit Andreas Schockenhoff gesprochen, er ist stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, unter anderem zuständig für die Europapolitik, und als Erstes habe ich ihn gefragt, ob er den Vorschlag Mario Montis denn für überzeugend hält.

Andreas Schockenhoff: Nein, ganz im Gegenteil. Diese Krise kann nicht allein durch die Exekutive bewältigt werden, sondern es bedarf der demokratischen Kontrolle durch die gewählten Parlamente. Gerade in dieser Zeit ist es schwierig, die Bürger mitzunehmen, und sie vertrauen dem Abgeordneten, der Abgeordneten, denen sie ihre Stimme gegeben haben, die dann auch persönlich dafür geradezustehen haben und den Bürgern und Wählern auch zu erklären haben, warum der Euro, der Binnenmarkt, die Europäische Union in unserem Interesse ist.

Kitzler: Auf der anderen Seite kann es ja aber nicht sein, dass bei kurzfristigen Rettungsmaßnahmen, die nötig sind, um Staaten vor der Pleite zu retten, um die Märkte zu beruhigen, dass die Beschlüsse der Krisengipfel immer erst in einer Zitterpartie durch die 17 Parlamente der Eurogruppe gebracht werden müssen.

Schockenhoff: Deshalb haben sich die Mitgliedsstaaten des europäischen Stabilitätsmechanismus und des Fiskalpaktes dazu verpflichtet, die entsprechenden Gesetze im nationalen Recht zu verankern. Es ist nicht nur eine europäische Absprache, sondern das muss jetzt von allen Staaten in nationales Recht umgesetzt werden, sodass dann die nationalen Abgeordneten auch ihrer Kontrollfunktion nachkommen können.

Kitzler: Sie sind gerade im Wahlkreis unterwegs, rund um Ravensburg, wie schwer ist es denn, den Bürgern zurzeit zu erklären, dass der Euro eine gute Sache ist?

Schockenhoff: Wenn wir sagen, 40 Prozent des Welthandels finden in Europa statt, 20 Prozent der Weltindustrieproduktion finden in Europa statt, wir sind aber im Laufe dieses Jahrhunderts nur noch fünf Prozent der Weltbevölkerung, dann überlegen die Menschen und dann spüren sie, dass wir unsere Interessen, unseren Wohlstand, unsere Arbeitsplätze eben nicht mehr mit rein nationaler Politik verteidigen können.

Kitzler: In anderen Staaten sieht das ganz anders aus, da hat man hohe Arbeitslosigkeit, Jugendarbeitslosigkeit, da ächzt man eher unter den Belastungen, die der Euro bringt.

Schockenhoff: Natürlich, wir in Deutschland haben es leichter, wir haben am meisten zu verlieren, weil wir am meisten profitieren vom Euro. Aber wenn wir nicht mehr Wettbewerbsfähigkeit haben, dann können auch andere Staaten nicht aufholen. Wenn die Südstaaten oder die jetzigen Krisenstaaten eben einen Lebensstandard wollen, wie er in Europa herrscht, dann müssen sie sich an gemeinsame Spielregeln halten. In der Vergangenheit haben viele Staaten über ihre Verhältnisse gelebt, sie haben permanent mehr Schulden gemacht, als sie an Einnahmen hatten, und das wird auf Dauer die Grundlage eines soliden Wohlfahrtsstaates, eines soliden Sozialstaates aushöhlen. Deswegen müssen auch diese Menschen, um langfristig wettbewerbsfähig zu werden, um langfristig einen höheren Lebensstandard anzustreben, jetzt durch diese schwierigen Anpassungsreformen gehen.

Kitzler: Man hat ja nicht den Eindruck, dass der Kurs, der jetzt eingeschlagen ist, um den Euro zu retten, um Europa zu retten, dass der erfolgreich ist, im Gegenteil: Immer mehr Länder müssen unter den Rettungsschirm schlüpfen, die Lage wird immer dramatischer. Muss man nicht feststellen, der Kurs der Bundesregierung zur Eurorettung ist gescheitert?

Schockenhoff: Es ist nicht der Kurs der Bundesregierung, sondern es ist der Kurs, den 17 Euroländer und im europäischen Fiskalpakt 24 Staaten der Europäischen Union miteinander verabredet haben.

Kitzler: Aber Deutschland ist ja maßgeblich und gibt den Ton mit an.

Schockenhoff: Ja, aber zu sagen, dieser Kurs sei nicht erfolgreich, das stimmt einfach nicht. Wir haben in Irland, wir haben in Portugal Strukturreformen, schwierige Strukturreformen, die früher in dieser Weise kaum vorstellbar gewesen wären. Auch in Spanien geht die neue Regierung sehr konsequent auch nicht nur den Haushalt an, sondern Strukturreformen – bei der Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, in der Ausbildung. Das sind Dinge, die eigentlich schwerer sind als kurzfristige Haushaltskürzungen. Die Strukturreformen wären ohne eine gemeinsame Politik für den Euro nicht vorstellbar.

Kitzler: Das große Problem, das die Politik hat, ist ja, dass man einerseits sehr kurzfristig, sehr schnell handeln muss, andererseits aber natürlich auch Europa finanzpolitisch, fiskalpolitisch auf ganz neue Füße stellen muss. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat jetzt sich mit einem Vorschlag vorgewagt, er spricht sich für eine gemeinsame Schuldenhaftung der Eurostaaten aus, wenn gleichzeitig die Haushalte der Staaten streng kontrolliert werden. Wäre das nicht ein möglicher Weg, um aus der Krise dauerhaft zu kommen und künftige Krisen zu verhindern?

Schockenhoff: Nein, eine gemeinsame Schuldenhaftung würde einfach in eine europäische Schuldenunion führen, sodass wir alle auch für undiszipliniertes Haushaltsverhalten anderer Länder aufkommen. Eine Haushaltskontrolle ist nach dem Grundgesetz sehr schwierig. Nach Artikel 38 hat eben der Abgeordnete des Deutschen Bundestages über den Bundeshaushalt zu entscheiden und nicht irgendeine europäische Institution, die überhaupt nicht gewählt ist und deshalb überhaupt nicht demokratisch legitimiert ist. Also, es kommt darauf an, dass die Mitgliedsstaaten der Eurozone in ihrer nationalen Politik die entsprechenden Verpflichtungen, die sie eingegangen sind, auch durchsetzen. Aber durch eine Vergemeinschaftung der Schulden, ohne dass damit Auflagen verbunden wären, wird die Krise verschärft und nicht langfristig überwunden.

Kitzler: Aber trotzdem, ist das nicht eine der wichtigsten Lehren aus der Krise, dass Europa auch fiskalpolitisch weiter zusammenwachsen muss und dass am Ende auch Deutschland ein gutes Stück Souveränität vielleicht abgeben muss?

Schockenhoff: Wir müssen eine gleichgerichtete Politik machen. Wir haben eine gemeinsame Währung, wir haben einen Binnenmarkt, aber wir haben keine gleichgerichtete Fiskalpolitik, keine gleichgerichtete Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik. Das müssen die Länder miteinander vereinbaren, aber sie müssen es jeweils in nationaler Verantwortung umsetzen. Und dafür sind in den nationalen Verfassungen auch klare Vorgaben gemacht.

Kitzler: Wie hilfreich ist das eigentlich in der jetzigen Situation, wenn in den Reihen Ihrer Koalition laut darüber nachgedacht wird, an Griechenland ein Exempel zu statuieren, das Land aus dem Euro zu werfen?

Schockenhoff: Das ist überhaupt nicht hilfreich, weil es die Märkte verunsichert und deswegen genau die Reaktionen hervorruft, die wir jetzt vermeiden wollen. Außerdem gibt es in Griechenland Fortschritte – das ist schwierig, aber der neue griechische Premierminister Samaras macht sich daran, wirklich schwierige Strukturreformen umzusetzen. Jetzt zu sagen, wir werfen die Griechen raus, würde eine Verunsicherung in den Märkten bringen, die uns viel mehr schadet als der schwierige Weg der Konsolidierung.

Kitzler: Andreas Schockenhoff, der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

Schockenhoff: Bitte schön, Herr Kitzler!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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