Catherine Nixey: „Heiliger Zorn“

Vernichtete Bibliotheken und massakrierte Gelehrte

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Cover von Catherine Nixeys Buch "Heiliger Zorn. Wie die frühen Christen die Antike zerstörten".
Catherine Nixey erzählt in einem glänzend geschriebenen Buch vom christlichen Bildersturm und der Kulturzerstörung. © Deutschlandradio / DVA
Von Wolfgang Schneider · 08.07.2019
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Hasserfüllte christliche Schlägertrupps, die antiken Statuen die Glieder abrissen, Bilder zerstörten und Gelehrte massakrierten – in ihrem Buch erzählt Catherine Nixey, mit welch religiösem Fanatismus die frühen Christen die antike Kultur zerstörten.
Sieger schreiben die Geschichte. Das sieht dann zum Beispiel so aus: Gegen alle Anfeindungen und Verfolgungen hingen die Christen der ersten Jahrhunderte unverdrossen ihrer Religion an. Vom Beispiel solcher Glaubensinbrunst beeindruckt, bekehrten sich immer mehr Menschen zum Christentum, bis es zur römischen Staatsreligion wurde.
Im Zeichen der Botschaft Jesu und des überlegenen Monotheismus erlebte die antike Vielgötterei sozusagen ihr friedliches Absterben. Dennoch bewahrte die christliche Kirche in ihren Klöstern durch die dunklen Jahrhunderte des Mittelalters die alte Kultur, etwa die Texte antiker Autoren.

Bildersturm und Kulturzerstörung

Catherine Nixey will Letzteres nicht abstreiten, nur gibt sie zu bedenken, dass die Verdunkelung vom Christentum selbst herbeigeführt wurde, in einem Furor des Bildersturms und der Kulturzerstörung vor allem während des vierten und fünften Jahrhunderts.
Nein, die Antike starb nicht friedlich ab – sie wurde von den Christen ermordet. So ließe sich ihr zum internationalen Bestseller gewordenes Buch sarkastisch zusammenfassen. Wenn sich schon katholische und protestantische Christen untereinander jahrhundertlang mit gnadenloser Brutalität bekämpfen konnten, dann kann man sich ausmalen, wie sie auf die "heidnische" Kultur der Antike losgegangen sind.

Hass auf Athene

Nixey erzählt Geschichten von klassischen Statuen, etwa der Weisheitsgöttin Pallas Athene, denen Christen in ihrer Wut über die Götzenbildnisse die Glieder abrissen und die Gesichter zerschlugen. Sie ritzten ihnen Kreuze in die Stirn oder verwendeten sie als Treppenstufen – eine andere Form der Erniedrigung. Sie erzählt von vernichteten Bibliotheken und massakrierten Gelehrten, von hassgeladenen christlichen Schlägertrupps und paramilitärischen Banden wie den Circumcellionen oder den Parabalani, die eine Spur frommer Verwüstung hinter sich herzogen wie heute die Taliban.
Die Christen trieben die alten Geister und Götter aus – und glaubten selbst an eine vom Satan besessene Welt voller Dämonen, die treuherzige Christen in Versuchung führen.
Religiöser Fanatismus, dogmatische Engstirnigkeit, Anti-Intellektualismus, Hass auf die weltliche Kultur und allen verfeinerten Lebensgenuss, ein Regime der Angst vor dem Jenseits – es sind vertraute Argumente aus der Tradition der Aufklärung, die Nixey gegen das frühe Christentum und seine Glaubenspolizei in Stellung bringt. Argumente, die im Übrigen schon viele spätantike Denker in ihrer Irritation über den neuen Glaubenseifer der Christen formulierten.

Ein mitreißendes Buch

"Heiliger Zorn" ist ein glänzend geschriebenes Buch, eine fakten- und quellengestützte Geschichtserzählung, die nur selten in ihrer eigenen Leidenschaft unglaubwürdig wirkt. Nixey lässt keinen Zweifel daran, dass sie nicht die "ganze" Wahrheit über das Christentum zu bieten hat, sondern nur eine Seite, die allerdings nicht schön anzusehen ist. Nicht in der Verzerrung der Fakten, sondern in der Auswahl der Ereignisse und Beispiele für christliche Zerstörungswut liegt eine polemische Tendenz.
Nixeys Liebe zur Kultur der Antike mag zudem zu einer gewissen Verklärung (etwa der antiken "Toleranz") beigetragen haben, die wiederum das Gegenbild des Christentums verdunkelt. Dies sollte man im Hinterkopf behalten – um sich dann der Lektüre dieses mitreißenden, durchaus augenöffnenden Buches zu widmen.

Catherine Nixey: "Heiliger Zorn. Wie die frühen Christen die Antike zerstörten"
Aus dem Englischen von Cornelius Hartz
DVA, München 2019, 400 Seiten, 25 Euro

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