Casa di Goethe in Rom

Ein Museum für die deutsche Italiensehnsucht

Die Direktorin der Casa di Goethe, Maria Gazzetti, vor einer Kopie des Gemäldes "Goethe in der Campagna" von Johann Heinrich Tischbein; das Original des Gemäldes hängt im Frankfurter Städel.
Die Direktorin der Casa di Goethe, Maria Gazzetti, vor einer Kopie des Gemäldes "Goethe in der Campagna" von Johann Heinrich Tischbein; das Original des Gemäldes hängt im Frankfurter Städel. © imago/epd
Von Dirk Fuhrig · 27.12.2017
Betten ohne Läuse, gutes Essen und einen netten Mitbewohner fand Johann Wolfgang von Goethe in Rom während seiner Italienischen Reise. Heute heißt seine Wohnung "Casa di Goethe" und beherbergt neben dem einzigen deutschen Museum im Ausland auch einen echten "Warhol".
Piazza del Popolo - das historische Zentrum von Rom. Am Ende der langen, schnurgeraden Straße sticht der Flaminio-Obelisk in den blauen, wolkenlosen Himmel. Ein Taschenladen, eine Boutique für Kaschmir-Pullover. Dazwischen eine massive Holztür mit soliden Griffen. Auf einem dunkelroten Schild steht: Casa di Goethe.
Im ersten Stock, am Ende der gewendelten Marmortreppe, erwartet mich Maria Gazzetti. Sie führt mich durch die Räume.
"Natürlich sind die Wände nicht mehr das, was es damals war. Aber die geografische Position: Via del Corso Nummer 18. Die Nähe vom Piazza del Popolo. Der Blick vom Ateliertisch rüber auf den Tiber, auf die Via Ripetta, all diese Dinge muss man ja spüren."
Den Dichter spüren. Die Aura des Dichterfürsten - Johann Wolfgang Goethe stieg hier ab, auf seiner legendären "Italienischen Reise".
"Das war vom 30. Oktober 1786 bis zum April 1788. Dazwischen Reisen nach Neapel und Sizilien. Und er war hier, weil hier Tischbein wohnte. Es war eine Pension, die Pension der Familie Collina. Diese Pension hatte sich herumgesprochen unter den deutschen Künstlern, weil sie gut war: gutes Essen, gute Betten ohne Läuse."

"Schauen, zeichnen, laufen, die Straßen erleben, das Volk sehen"

Die Bohémiens aus dem kalten Norden hatten ziemlich karge Ansprüche, was ihre Unterkunft betraf. Wie eben auch der Maler Wilhelm Tischbein, der Goethe das dolce far niente in bella Roma schmackhaft gemacht hatte.
"Goethe wollte ein Sabbatical machen. Oder ein wenig wie ein Aussteiger sein. Es ist einfach eine schöne Erzählung zu sagen, Goethe bricht nach Italien auf incognito. Er will tatsächlich ein Künstlerleben leben. Er will schauen, zeichnen, laufen, die Straßen erleben, das Volk sehen. Er will die Augen aufmachen, er will die Sinne erleben, anregen."
Maria Gazzetti führt mich durch die verschlungenen Zimmerfluchten, durch die auch der damals 37 Jahre alte Geheimrat schritt und die 1990 vom deutschen Staat gekauft wurden. Seit 20 Jahren ist die einstige Herberge ein Museum - und heißt "Casa di Goethe", also Goethe-Haus.
"Und Sie wissen ja, dass Goethe heimlich Deutschland verließ. In ihm wuchs immer mehr die Sehnsucht, endlich auch seine Italienerfahrung zu machen und die Werke des Altertums in echt zu sehen."
Und übrigens auch, um die Freuden der Liebe kennenzulernen. In der Via del Corso fand Goethe all das , was er suchte: die Verbindung von prallem Leben - und der Kunst.
"Das ist der Raum, in dem Tischbein das berühmte 'Goethe in der Campagna' mit dem weißen Mantel gemalt hat. Wir haben das Original natürlich nicht, das Original ist in Frankfurt im Städel."

Hier malte Tischbein das berühmte Goethe-Porträt mit Schlapphut

Eben dort, in Goethes Geburtsstadt, hatte Maria Gazzetti bis 2010 das Literaturhaus geleitet, bevor sie in ihre Heimatstadt Rom zurück ging, um Direktorin des einzigen deutschen Museums im Ausland zu werden. In der Via del Corso 18 malte Wilhelm Tischbein seinen Mitbewohner mit Schlapphut und Walle-Mantel vor idyllisierender antiken Landschaft.
"Dieses Bild ist ja mehr oder weniger die Ikone für Deutschland und die deutsch-italienischen Beziehungen geworden."

In der "Casa" gibt es keine Original-Möbel aus der "Goethe-Zeit", kein Tintenfass oder ähnliche Reliquien des Meisters. Dennoch - der Besucher kann sich zumindest in die Atmosphäre jener Zeit hineindenken, sagt Dorothee Hock, die ein Buch über die Geschichte des Gebäudes geschrieben hat:
"Das ist natürlich nicht mehr der Blick, wie er im 18. Jahrhundert war, denn die Häuser sind aufgestockt worden. Heute sieht man, das ist eine Nebenstraße. Auf die Via del Corso, der Blick hat sich eigentlich nicht verändert, da sieht man noch den Palazzo Rodanini, wo sich heute ein Schachclub, ein edler Herrenclub befindet, den gab es auch zu Goethes Zeiten."
Goethe-Porträt von Andy Warhol: ein-Pop-Art-Remake des Gemäldes "Goethe in der Campagna" von Johann Heinrich Tischbein 
Goethe-Porträt von Andy Warhol: ein-Pop-Art-Remake des Gemäldes "Goethe in der Campagna" von Johann Heinrich Tischbein© imago/epd

Lesungen, Buchvorstellungen und Diskussionsrunden

Die Casa die Goethe ist kein Weihetempel, sondern ein Ort, an dem die deutsche Italiensehnsucht besichtigt werden kann. Neben wechselnden Ausstellungen zu Malern und Schriftstellern, die sich direkt oder indirekt mit Goethe beschäftigt haben, organisiert das Haus auch Lesungen, Buchvorstellungen und Diskussionsrunden. Und: Es wird geforscht.
"Das ist eine große Mappe, die ist schwieriger aufzumachen. Da unten haben wir eine kleinere. Da können wir das mal rausholen…"
Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Claudia Nordhoff zieht im Archiv Schubladen auf:
"Hier sind moderne Sachen drin, Faust-Illustrationen. Das steht dann jeweils hier auf dem Blatt. Das hier ist ein moderner Künstler, der heißt Arnim Münch. Und hier haben wir Karl-August von Sachsen-Weimar. Gerade bei Druckgraphik haben wir mehrere moderne Zyklen, die etwas mit Goethe zu tun haben. Graphiken von Künstlern, die inspiriert sind von Goethe. Oder von seiner italienischen Reise."
Ganz am Schluss führt Maria Gazzetti mich in das Allerheiligste – dorthin, wo Literaturgeschichte und Gegenwartskunst aufeinandertreffen.
"Andy Warhol: Goethe. Davon gibt es sechs Exemplare…"
"Ist das ein Original?
"Das ist ein Original. Deshalb ist es auch abgesperrt, mit einer blauen Kordel: Wir haben eine Pop-Inszenierung gemacht mit einer blauen Leine."
Der Pop-Art-Künstler Warhol hat den Universal-Gelehrten Goethe nach dem Modell des Tischbein-Gemäldes porträtiert – den Kopf, gekrönt von dem breitkrempigen Hut. Schon deshalb lohnt sich der Besuch in der Via del Corso Nummer 18.
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