Carsten Kühl: Bundesregierung muss kommunale Finanzkraft stärken

Moderation: Julius Stucke · 18.10.2013
Die Länder brauchen mehr Geld, fordert Carsten Kühl, SPD-Finanzminister in Rheinland-Pfalz, mit Blick auf die anstehenden Koalitionsverhandlungen mit der Union. Grundsätzlich müssten die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu geordnet werden. Dazu gehöre auch der Solidaritätszuschlag.
Julius Stucke: Wir notieren einen schönen, neuen Eintrag im Lexikon der Politikersprache: E wie Einigungskorridore. Autor: Gröhe, Hermann, CDU-Generalsekretär. Einigungskorridore, auf diesen also können sich Union und SPD nun treffen und über eine Koalition verhandeln - was immer man sich unter so einem Einigungskorridor vorzustellen hat. Bevor man sich einig werden kann, stehen bei der SPD aber auch noch eine Mitgliederbefragung und jetzt am Wochenende das Votum eines Parteikonvents an. Wie einig ist die SPD und auf welchem Korridor stehen die SPD-regierten Länder? Was erhofft man sich auf Landesebene? Darüber spreche ich mit Carsten Kühl, SPD-Finanzminister in Rheinland-Pfalz. Guten Morgen, Herr Kühl!

Carsten Kühl: Guten Morgen, Herr Stucke!

Stucke: Auch Sie gehören ja zu denen, die Ja sagen müssen zu einer Großen Koalition - oder eben nicht. Haben Sie das für sich schon entschieden?

Kühl: Nein. Ich denke, der Konvent wird am Sonntag entscheiden, dass die SPD in Koalitionsverhandlungen geht, und am Ende, vom Ergebnis abhängig, wird entschieden, ob die SPD dem Koalitionsvertrag zustimmt. Würde man jetzt schon sagen, man stimmt zu, würde man es denen, mit denen man verhandeln muss, natürlich viel zu leicht machen.

Stucke: Aber im Prinzip haben Sie alle Informationen, die Sie brauchen, um Ihre Entscheidung zu treffen.

Kühl: Na ja, wir wissen, wo wir hin wollen, wir wissen, welche Probleme gelöst werden müssen, und wir wissen auch, in welche Richtung es gehen muss, damit die Probleme, die uns wichtig sind, gelöst werden können.

Stucke: Probleme gibt es auch noch, oder strittige Punkte gibt es auch noch, einer ist das Thema Steuererhöhung. Wie sehen Sie das als Finanzpolitiker, brauchen wir die und brauchen auch die Länder diese Steuererhöhungen?

Kühl: Wir brauchen solide Finanzen und es gibt einige Aufgaben, die zu bewältigen sind, die Geld kosten. Ich nenne beispielsweise die Bildung, die Infrastruktur und die Kommunalfinanzen. Das kostet zusätzliches Geld. Da haben SPD und der Bund, die Bundesregierung, unterschiedliche Auffassungen, was die Finanzierbarkeit angeht.

Die SPD hat im Wahlkampf gesagt, dafür braucht man Steuererhöhungen, der Bund meint, es geht ohne. Das muss in den Koalitionsverhandlungen jetzt deutlich gemacht werden, der Bund muss offenlegen, die Bundesregierung, die CDU, wie sie das finanzieren will. Wir sind skeptisch, dass das ohne Steuererhöhung geht. Wir sind auf jeden Fall dagegen, dass man pokert und versucht, wieder höhere Schulden zu machen im Zweifelsfall, das kann in Zeiten der Schuldenbremse nicht das richtige Rezept sein.

"Wir müssen die Finanzbeziehung grundsätzlich neu ordnen bis 2019"
Stucke: Noch ein strittiger Punkt, das ist das Betreuungsgeld. Hier könnte ja der Kompromiss seitens Ihrer Partei, seitens der SPD sein, wir geben unser Nein zum Betreuungsgeld auf, dafür ist es künftig dann Entscheidung der Länder, ob sie das Betreuungsgeld auszahlen oder nicht. Wie würden Sie das denn in Rheinland-Pfalz entscheiden?

Kühl: Na ja, da kommt es darauf an, wer das bezahlt. Ich vermute, in Rheinland-Pfalz wird kein Betreuungsgeld gezahlt, die rot-grüne Koalition in Rheinland-Pfalz hält das für falsch. Wir sagen, dass das Geld, was dafür aufgebracht werden soll, besser investiert ist, wenn man Kindertagesstätten ausbaut.

Und wenn der Bund uns das Geld zur Verfügung stellen würde und würde uns vor die freie Wahl stellen, Betreuungsgeld oder Kindertagesstätten, dann würden wir uns sicherlich für den Ausbau von Kindertagesstätten entscheiden. In Bayern mag das dann anders sein, das könnte ein möglicher Kompromiss sein, ich halte es trotzdem für einen gesellschaftspolitisch falschen Weg.

Stucke: Ist es aber vielleicht ein bisschen ein aus Ländersicht positiver Punkt, dass so etwas in Länderverantwortung geschoben wird? Also weg vom Zentralismus hin zu mehr Länderverantwortung?

Kühl: Es gibt Dinge, die können von den Ländern besser entschieden werden als vom Bund, dafür gibt es den Föderalismus. Kinderbetreuung gehört, ähnlich wie Bildung, sicherlich dazu, insofern wäre es kein Fehler, hier Kompetenzen auf die Länder zu übertragen.

Stucke: Herr Kühl, Stichwort Föderalismus: Besonderes Augenmerk dürften Sie und andere Politiker ja auf diesen Punkt legen, auf den Punkt Föderalismusreform. Also Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehung. Die Kanzlerin, die hat das angekündigt, und Sie haben mal gesagt: Wenn, dann hat so etwas nach der Wahl eine Chance. Das ist jetzt, was muss denn in Sachen Finanzen zwischen Bund und Ländern aus Ihrer Sicht passieren?

Kühl: Auf der einen Seite müssen wir die Finanzbeziehung grundsätzlich neu ordnen bis 2019, bis dahin laufen die bestehenden Gesetze aus, da haben wir eine Verpflichtung. Und es ist jetzt die vornehmste Aufgabe dieser Koalitionsrunde, zu definieren, wie diese Neuordnung vonstatten gehen soll. Sie kann noch keine Entscheidungen treffen, wie die Finanzbeziehungen geregelt werden sollen, sondern sie muss entscheiden, auf welchem Weg man zu einer Neuordnung kommt. Das heißt, sie muss wahrscheinlich eine Föderalismuskommission 3 einsetzen, die bis Ende der Legislaturperiode des Bundestages dies neu ordnet.

Zum Zweiten brauchen wir kurzfristig Entscheidungen, wie Dinge, die notwendig sind, finanziert werden jenseits der Föderalismusreform. Dazu gehört – das habe ich eingangs gesagt – Infrastruktur, Bildung und Kommunalfinanzen. Und das ist auch eine Frage der Bund-Länder-Finanzbeziehung.

Wenn der Bund meint, er hat viel Geld, weil er geringe Belastung in den Sozialversicherungen hat, weil er darauf pokert – pokert, meiner Ansicht nach –, dass er auch langfristig geringe Zinsbelastungen durch die niedrigen Zinsen haben wird, dann muss er auch in der Lage sein, wenn er den Ländern keine Steuererhöhung geben will, beispielsweise den Ländern höhere Umsatzsteueranteile zu geben. Das ist der Verteilungsmechanismus im Föderalismus, mit dem ein Ausgleich zwischen Bund und Ländern geschafft wird.

"Wir brauchen keinen 'Solidaritätszuschlag West'"
Stucke: Aber noch mal konkret, Herr Kühl: Was erwarten Sie sich von der SPD, von Ihrer Partei in einer Großen Koalition? Was soll sie in Sachen Föderalismusreform jetzt auf den Tisch legen?

Kühl: Die SPD muss den Grundsatz einfordern, dass wir auch in Zukunft einen kooperativen Föderalismus und keinen Wettbewerbsföderalismus haben. Das heißt, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse muss Bestand haben. Wir könnten den Menschen in Ostdeutschland oder im Saarland nicht erklären, dass wir zugunsten eines Wettbewerbsföderalismus auf Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse verzichten. Dann hätte der Föderalismus in Deutschland keine Akzeptanz mehr. Und der Föderalismus ist, wie wir alle wissen, aus staatspolitischen Gründen, aus den Erfahrungen der Weimarer Republik gewollt.

Zweitens muss die SPD festhalten in den Koalitionsverhandlungen, dass die kommunale Finanzkraft zukünftig stärker berücksichtigt wird im Länder-Finanz-Ausgleich. Das hat etwas damit zu tun, dass die Verfassungsgerichte der Länder noch mal die besondere Verantwortung der Länder für ihre Kommunen betont haben, und zwar auch dann, wenn der Bund Dinge entschieden hat, die die Kommunen belasten.

Und der dritte Punkt ist insbesondere aus Sicht der westdeutschen Länder, das sich denke, dass wir nach 20 Jahren Aufbau Ost gucken müssen, dass wir auch die finanziellen Voraussetzungen für die westdeutschen Flächenländer schaffen, ihre Infrastruktur wieder in Ordnung zu bringen. Das gilt für die öffentlichen Gebäude, das gilt für die Straßen, das gilt aber auch beispielsweise für die Altersversorgung der Beamtinnen und Beamten, da haben die westdeutschen Flächenländer wesentlich größere Lasten als die ostdeutschen.

Stucke: Also, Sie sagen, wir brauchen einen "Solidaritätszuschlag West"?

Kühl: Wir brauchen keinen "Solidaritätszuschlag West", sondern wir müssen die bestehenden finanziellen Mittel – und dazu gehört der bestehende Solidaritätszuschlag – neu ordnen. Und dass bei dieser Neuordnung auch ein Stück weit etwas getan werden muss, um die über viele Jahre wegen des Aufbau Ost vernachlässigte westdeutsche Infrastruktur zu verbessern, ja, das gehört dazu.

Stucke: Noch mal kurz zum Zeitplan, Herr Kühl: Sie haben gesagt, bis Ende 2019 muss das geregelt werden, weil dann eben der Soli ausläuft und weil dann die Finanzbeziehungen neu geregelt sein müssen. Haben die Länder denn wirklich großes Interesse, das jetzt auch schnell anzugehen, oder warten sie lieber bis zum nächsten Bundestagswahlkampf?

Kühl: Nein, das muss schnell angegangen werden, das muss vor der nächsten Bundestagswahl entschieden werden, meines Erachtens ein halbes, Dreivierteljahr vor der nächsten Bundestagswahl, damit das nicht Gegenstand des Bundestagswahlkampfs wird. Also konkret bis Ende 2016. Denn würde man es erst nach der nächsten Bundestagswahl beginnen, dann wäre die Zeit viel zu knapp.

So etwas muss ja auch gesetzestechnisch umgesetzt werden. Und wenn man Verteilungsentscheidungen trifft - und hier geht es um Verteilungsentscheidungen –, dann sind häufig Übergangslösungen notwendig. Also, wer da jetzt zögern würde oder sagen würde, das schieben wir beiseite, es ist ja noch ein paar Jahre Zeit, der würde sich an diesem wichtigen System des Föderalismus versündigen.

Stucke: Sagt Carsten Kühl, rheinland-pfälzischer Finanzminister von der SPD. Herr Kühl, danke und einen schönen Freitag!

Kühl: Gerne!


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