Carsten Brosda: "Die Kunst der Demokratie"

Vergoldete Ziegel oder Geld für die Kita?

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Buchcover zu Carsten Brosda: Die Kunst der Demokratie
In Debatten gehe es immer weniger um das Allgemeine und Verbindende, kritisiert Carsten Brosda, sondern um exklusive Empfindungen einzelner sozialer Gruppen. © Hoffmann und Campe
Von Paul Stänner · 01.02.2020
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Kultursenatoren sollen möglichst Intellektuelle sein. Doch welcher Politiker hat schon Zeit, sein Arbeitsfeld publizistisch zu reflektieren? Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda ist das zumindest zeitlich gelungen.
2017 hatte der Künstler Boran Burchardt in einem der ärmsten Viertel Hamburgs die Ziegel einer Hauswand mit Blattgold belegt. Echtem Blattgold! "Veddel vergolden" hießt das Projekt, das mit 85.000 Euro von der Kulturbehörde subventioniert worden war. Es entbrannte eine furiose Debatte in Hamburg, ob es angemessen sei, so viel Geld für Kunst auszugeben, solange noch Lücken im Sozialbereich klafften?
"Diese Debatte mutete von Anfang an kleingeistig an. Wer Mittel für Kunst gegen Mittel für Kitaplätze (...) aufrechnet, der kann gleich die Kulturförderung im Ganzen abschaffen", schreibt Carsten Brosda.

Ein Mann mit vielen Parteifunktionen

Brosda ist ein Mann des Parteiapparats der Sozialdemokratie. Er ist seit 2017 Senator für Kultur und Medien in Hamburg, er ist Vorsitzender des Kulturforums der Sozialdemokratie und Co-Vorsitzender der Medien- und Netzpolitischen Kommission des SPD-Parteivorstandes. Der Mann ist also ganz und gar im Thema. Das Thema lautet: "Die Kunst der Demokratie" − was sich auf zweierlei Weise lesen lässt: Zum einen befasst sich Brosda mit der Kunst in der Demokratie, dann aber auch mit der Kunst, eine Demokratie zu gestalten. Alle beide, Demokratie wie auch die Kunst, sind nach der Diagnose von Brosda von links und rechts unter Feuer geraten.
Von rechts: Da wären die zahlreichen Angriffe von Seiten der AfD, die mit Fragen zum Beispiel nach der Nationalität von Balletttänzern eine nationalstaatliche Tanzkultur durchsetzen will. Auf der anderen Seite erwähnt Brosda den Kampf des Asta einer Berliner Hochschule, dem ein Gedicht an der Hauswand nicht als Bewunderung von Frauen, sondern als bedrohlicher Ausdruck von Sexismus erschien. Das Gedicht musste entfernt werden.
Von beiden Seiten greifen so genannte "Affektgemeinschaften" an, also Gruppen, denen aus politischen Gründen eine bestimmte Kunst nicht passt – und die also zu verschwinden hat.

Rückzug in Interessengemeinschaften

Fasst man die Analysen Brosdas aus verschiedenen Bereichen zusammen, dann besteht das Grundübel im öffentlichen Raum in der Segmentierung. Es besteht darin, dass sich Interessengemeinschaften in exklusiven Blasen zusammenfinden, die nur noch in sich selbst kreisen, die ausschließlich damit beschäftigt sind, ihre Meinungen zu stabilisieren und sich durch keine anderen Gesichtspunkte irritieren lassen: "Wenn es in der Debatte schleichend kaum mehr um das Allgemeine und Verbindende geht, (…) sondern zunehmend um die exklusiven Empfindungen einzelner sozialer Gruppen, dann hat das Konsequenzen nicht für die Offenheit gesellschaftlicher Diskurse, sondern auch für die Freiheit künstlerischer Strategien."
Gegen diese Abschottung sich absolutistisch gebärdender sozialer Körperschaften setzt Brosda Kultur. Beispiel: Je mehr Mitteilungskanäle es in den sozialen Medien gibt, in denen jeder seine Wahrheiten über die Welt verbreiten kann, desto wichtiger ist unabhängiger Journalismus, der in der Lage ist, Meinung von Fakten zu trennen. Je wichtiger Bilder in der öffentlichen Debatte geworden sind, desto wichtiger ist Medienkompetenz, um zu erkennen, dass ein Bild nicht – wie früher angenommen – wahr ist, sondern nur eine Meinung ausdrückt.

Vakante Position des SPD-Kulturintellektuellen

Das Buch ist eine anspruchsvolle Lektüre. Über Strecken hat man das Gefühl, der promovierte Politikwissenschaftler wolle sich mit einer Habilitationsschrift um eine Professur bewerben. Ich erspare uns entsprechende Zitate im Akademiesprech. Dann wieder scheint es, als beabsichtige Carsten Brosda, der sich nicht zum ersten Mal mit einem Buch zur Diskussion stellt, so etwas wie die Position des politischen Kulturintellektuellen in der SPD zu besetzen, die seit dem Tod von Peter Glotz vakant ist.
Da muss man ihn warnen, schon Glotz hatte nicht viel Vergnügen an seiner Partei.
Aber recht hat Senator Brosda schon, die Welt ist beweglicher geworden. Die gesellschaftlichen Muster aus den Zeiten der alten Technologien sind neuen Konstellationen gewichen. Milieus haben sich verändert. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander: "Nicht mehr die Gewerkschaft und der Arbeitsgeberverband, sondern Fridays for Future und Rocket Internet bestimmen den eingenommen Platz im gesellschaftlichen Gefüge. (…) Ganz offensichtlich hat sich die gewollte und gewünschte Durchlässigkeit einer Gesellschaft, in der es Chancengleichheit für alle und fließende Übergänge gibt, verändert: Die Durchlässigkeit wendet sich ins Prekäre."

Kultur ist nur gut, wenn man sie nicht funktionalisiert

Da liegt die Chance für die Kultur. Sie ist es, die neue Ideen hervorbringen kann, weil sie Gespräche und Auseinandersetzungen ermöglicht. Brosda wendet sich dabei gern an die bildenden und darstellenden Künste, auch an den Journalismus, meidet aber die Themenfelder Film und Literatur. Brosda kann – und will wohl auch nicht – das Grunddilemma beseitigen, das entsteht, wenn man die Kultur, und vor allem die öffentlichen Ausgaben dafür, zu verteidigen versucht. Es besteht darin, dass man der Kultur zur Rechtfertigung der öffentlichen Kosten eine Funktion zuschreiben will. Zum Beispiel, dass Kultur wichtig sei, um Neubürgern und Neubürgerinnen bei der Integration behilflich zu sein. Die Aufgabenstellung bedeutet aber, die Kunst zu beschädigen, weil sie ja nur eben dann frei ist, wenn sie nicht von gewünschten Zielen eingezwängt ist.
Weil er Senator für Kultur und Medien ist, nimmt Brosda auch die Kreativwirtschaft in seine Rechnung auf, was einerseits gesellschaftlich richtig ist und was andererseits wichtig ist für die in kulturellen Fragen stets etwas behäbige Sozialdemokratie. Damit auch all diejenigen zufriedengestellt sind, die Fördergelder nur ausgeben wollen, wenn sie hinterher neues Geld zurückbekommen.
Das Buch ist eine gelegentlich zähe Lektüre. Es enthält auch bestreitbare Thesen, wie die, dass der seriöse Journalismus sich stärker einmischen müsse. Nein, muss er nicht, würde ich als Journalist dagegen halten. Journalismus soll mit kritischem Abstand berichten und analysieren – und sich nicht mit der einen oder anderen Blase gemein machen.

In Kultur investieren – aber worin genau?

Jedoch: Wenn wir konstatieren, dass sich die Welt in einem dramatischen und schnellen Wandel befindet und Gesellschaften in verfeindete Kleingruppen zu zersplittern drohen, dann muss man Brosda wohl zustimmen. Dann sind Kunst und Kultur wahrscheinlich der einzig verbliebene neutrale Boden, auf dem man sich treffen und austauschen kann. Und dann muss hier kraftvoll investiert werden. Erinnern wir uns an die Vergoldung von Ziegelmauern in einem Hamburger prekären Viertel.
Hat die Provokation geholfen? Man weiß es nicht, man weiß nur, es wurde viel gestritten über die Aktion und über die Weisheit des Hamburger Senats, dafür Geld auszugeben. In diesem Streit könnte sich herauskristallisieren, was für eine Mehrheit der Teilnehmer an der Demokratie akzeptabel ist und was nicht. Ist das 85.000 Euro wert? Frage ich Sie! Und Sie müssen nachdenken.
Das ist dann wohl Kultur.
Für mich, der ich gerade schreibe, und für Sie, die Sie gerade lesen, noch ein Hinweis von Carsten Brosda. Einer seiner Lehrer an der Universität habe ihm die Wirkung von Medien mit einer alten Boxerweisheit zusammengefasst: "Einer aufs Auge ist besser als acht aufs Ohr."
Was der akademische Kampfsportler damit sagen wollte: Ein Bild schauen hat eine größere Wirkung als ein paar Minuten Radio hören.
Wie dramatisch kann sich ein Professor irren.

Carsten Brosda: "Die Kunst der Demokratie. Die Bedeutung der Kultur für eine offene Gesellschaft"
Hoffmann und Campe
280 Seiten, 24 Euro

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