Care erwartet noch Jahrzehnte der Nothilfe für Haiti

Beat Rohr im Gespräch mit Christopher Ricke · 12.01.2012
Der Care-Länderdirektor für Haiti, Beat Rohr, zeigt sich zufrieden mit den bisherigen Wiederaufbaumaßnahmen im Land. Man könne von einem Land wie Haiti, in dem bereits vorher nicht alles perfekt war, nicht erwarten, dass nach zwei Jahren alles wieder steht.
Christopher Ricke: Sie hören Deutschlandradio Kultur, und wir sprechen über einen Wiederaufbau, der nicht so erfolgreich ist, wie ihn sich viele vorgestellt haben. Vor zwei Jahren bebte in Haiti die Erde, viele Tote gab es, verheerende Zerstörungen, aber auch viel internationale Solidarität und Hilfe. In zwei Jahren hätte sehr viel passieren können, vieles passiert, aber nicht all das, was man wollte. Noch immer leben eine halbe Million Menschen in Zelten, fehlt es an Infrastruktur, fehlt es an funktionierender Verwaltung, und es gibt wohl auch hin und wieder immer noch Probleme bei der Verteilung der Hilfe. Die Hilfsorganisation CARE ist in Haiti sehr engagiert. Ich habe mit dem Länderdirektor Beat Rohr in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince gesprochen und ihn gefragt: Herr Rohr, wo steht den Haiti zwei Jahre nach dem Beben?

Beat Rohr: Ja, im Großen und ganzen finde ich, den Fortschritt schon wirklich gut. Man kann sehr viel mehr erwarten, aber man muss jetzt nicht vollkommen vergessen, das Haiti auch, als das Erdbeben kam, nicht ein perfektes Land war. Da waren viele Defizite, da waren viele Sachen, die nicht funktionierten, und diesem Sinne hat man viel Progess gemacht.

Ricke: Mit welchen Problemen kämpfen Sie aktuell?

Rohr: Ja, ich glaube, das größte Problem, das wir alle haben, ist, dass die Infrastrukturen in Haiti und die Kapazitäten der Regierung ziemlich limitiert sind.

Ricke: Wie wirkt sich das aus?

Rohr: Ja, das sieht man in diesem Sinne, das viele Sachen, die man in anderen Ländern für eine Realität nimmt, dass zum Beispiel alle Kinder in die Schule gehen, oder dass die Elektrizität 24 Stunden funktioniert, sind keine Realitäten in Haiti. Ein großer Teil der Kinder geht immer noch nicht in die Schule, die waren nicht in der Schule vor dem Erdbeben. Viele Infrastrukturen - Wasser, Elektrizität - funktionieren nicht oder funktionieren nur sporadisch.

Ricke: Es hat doch sehr viel Hilfsgelder gegeben in den vergangenen zwei Jahren. Es sind Milliarden geflossen. Warum ist es nicht gelungen, mit diesem vielen Geld all das, was fehlt, aufzubauen?

Rohr: Na, ich glaube, man hat viel erreicht. Ich glaube, da hat man immer eine Illusion, dass ein Erdbeben von der Magnitude, die man in Haiti gehabt hat, dass nach zwei Jahren alles wieder perfekt ist. Und dann muss man sich immer wieder erinnern, dass es nicht perfekt war vorher, und dass zum Beispiel Häuser zu bauen, 200.000 Häuser zu bauen, ist viel, viel mehr Arbeit als zwei Jahre.
Ricke: Auf wen kann man in Haiti denn vertrauen, wenn es mit der Politik so schwierig ist?

Rohr: Ich glaube, wir haben jetzt eine neue Regierung. Diese Regierung ist seit vier, fünf Monaten hier. Ich glaube, die Leute versuchen, einen neuen Anfang zu machen. Die Politik in diesem Land ist nicht einfach, aber man muss auch nicht sagen, dass man niemandem vertrauen kann. Wir als Organisation arbeiten natürlich viel mehr direkt mit den Leuten, mit Frauen, mit Kindern, mit Männern, die produzieren und so, und auf diesem Niveau gibt es viel Enthusiasmus. Viele Leute arbeiten mit einem Kompromiss, der stark ist, und die versuchen, immer das Beste zu machen in einer komplizierten Situation, nicht wahr? Aber wir haben jetzt alle Hoffnung, dass diese Regierung ein neuer Anfang ist für dieses Land.

Ricke: Sie beschreiben einen langen Weg, der noch gegangen werden muss in Haiti. Nach großen Schritten sieht es ja nicht aus, also müssen es wohl kleine Schritte sein. Welche kleinen Schritte müssen jetzt gegangen werden?

Rohr: Ich glaube, jetzt das Wichtigste in diesem Jahr, was kommt, muss man wirklich versuchen, dass die ungefähr 500.000 Leute, die immer noch in Zelten leben, dass die eine bessere Solution haben können, ob das ein Temporary Shelter ist oder ob das ein kleines Haus ist oder eine Mietung von einer Wohnung ist. Aber man muss wirklich versuchen, dass dieses Jahr das Jahr ist, wo wir viele, viele Leute von diesen Zelten wegbringen können.

Ricke: Gerade beim Hausbau gibt es ja Kritik auch von anderen Hilfsorganisationen. Die sagen, der Import von Fertighäusern oder auch die eingeführten Lebensmittel würden die Eigeninitiative der Menschen in Haiti lähmen. Erleben Sie das auch so?

Rohr: Ich sehe das nicht als ein ganz großes Problem, weil die Anzahl Häuser, die reinkommen und so, ist ganz, ganz klein, verglichen zu Problemen im Land.

Ricke: Wagen Sie einen Ausblick, wann Haiti einmal ohne Hilfe aus dem Ausland wieder ordentlich funktionieren kann?

Rohr: Ich glaube, da muss man von zehn, 20 Jahren sprechen. Und das hat nicht nur mit dem Erdbeben zu tun. Das hat wirklich zu tun, wie das Land ist zurzeit. Und wir haben ein großes Land, das wenig produziert, eine Bevölkerung hat, in der 50 Prozent nicht schreiben können und lesen können. Und das kann man nicht in - ich glaube, die Ambition ist, dass man das in einer Generation korrigieren kann. Aber man kann nicht von ein, zwei Jahren glauben, dass das wirklich verschieden sein wird.

Ricke: Heißt das, dass die Hilfsorganisationen noch Jahrzehnte bleiben müssen?

Rohr: Ich glaube, dass viele Hilfsorganisationen noch da bleiben müssen. Wir arbeiten eigentlich viel mehr an Entwicklungshilfe, Leuten zu helfen, dass sie ein gutes Einkommen haben, dass sie ein Geschäft machen können, dass die Kinder in die Schule gehen können und so weiter, und wir hoffen, dass es nicht jedes Jahr wieder einen Zyklon gibt, der viele Sachen zerstört. Wir hoffen jetzt einfach, dass das Land irgendwie politisch und klimatisch stabil sein kann, und dann kann man sehr viel Progress erwarten in den nächsten zwei, drei Jahren.

Ricke: Beat Rohr von CARE in Haiti. Vielen Dank, Herr Rohr!

Rohr: Okay, vielen Dank!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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