Car-Styling-Trend

Mattlack-Tarnung im Dschungel der Großstadt

Ein mit matter Folie beklebter SUV auf einer Automesse in Erfurt, aufgenommen am 27.1.2012
Ein mit matter Folie beklebter SUV auf einer Automesse in Erfurt © imago / Karina Hessland
Von Simone Reber · 22.11.2016
Matt lackierte Autos: Seit einiger Zeit stechen sie immer öfter aus der Masse hochglanzpolierter Karosserien hervor. Mattlack kennt man historisch vor allem aus dem militärischen Bereich, wo er der Tarnung dient. Was steckt hinter dem Styling-Trend?
In der Folier-Werkstatt von Jan Schegel steht ein Cabriolet, das einmal feuerrot geglänzt hat. Jetzt soll es matt anthrazit verkleidet werden. Stoßstange und Kofferraum sind schon dunkel. Gerade zieht Jan Schegel wie ein Künstler mit dem Rakel, einer Art Spachtel, die zugeschnittene Folie über den vorderen Kotflügel.
"Man sieht quasi beim Fahrzeug, die viele Sicken, Ecken und Kanten haben, dass diese Strukturen von dem Fahrzeug mehr rausgeformt werden, dadurch das das Licht sich anders bricht. Bei den matten Folien kommt das wirklich noch mehr raus."
Können Sie mir da ein Beispiel zeigen, wo das mehr raus kommt?
"Na zum Beispiel sieht man das wunderschön an den Radkästen, da haben wir hier einen relativ weichen Übergang, zu einer ziemlich harten Kante, Sicke, und die kommt nachher dann, wenn der Wagen im Sonnenlicht steht, sieht man die richtig extrem herausgearbeitet, als wenn man es wirklich modelliert hätte, ein Fahrzeug."

Ein Sportwagen wird ruppiger

Sicken nennen die Autobauer die Vertiefungen in der Karosserie, die das Blech stabilisieren sollen, aber längst zum Design des Autos gehören. An dem Sportwagen lässt sich schon erkennen, wie die matte Oberfläche die Anmutung des Autos verändert. In glänzendem Rot hatte das Cabrio noch eine liebenswürdig temperamentvolle Ausstrahlung, matt anthrazit bekommt es eine ruppige Note. Auch bei der Fahrt spiegelt die glänzende Oberfläche die Umgebung.
Auf dem Lack erscheinen die Bäume, der Himmel, die anderen Autos, das Gefährt integriert sich. Die matte Karosserie schluckt das Licht, der Wagen isoliert sich im Egoshooter-Stil. Anfangs war das stumpfe Äußere denn auch mit einem Bad Boy Image verbunden:
"Ich denke mal, dass das so ein bisschen mit der Rap-Kultur zusammenhängt. Wo etwas mehr oder weniger hoffähig geworden ist. Wo man früher sagte, um Gottes Willen, das gibt es nicht, da gibt es heute irgendwelche Rapper, die tatsächlich in den Medien auch präsent sind, und die natürlich teure Luxusautos haben und die meistens in schwarzen, matten Farben daher kommen. Was einfach brachialer aussieht und ein bisschen martialischer."

Stattlicher Aufpreis ab Werk

Die Automobilindustrie hat längst auf die Nachfrage reagiert und bietet gegen einen stattlichen Aufpreis Mattlackierung an. Bei Mercedes beschreiben die Designer die Wirkung mit luxuriös, sportlich, Hi-Tec. Die Folierung ermöglicht allerdings ein breiteres Farbspektrum.
Bei Jan Schegel stehen Rollen mit changierenden Mustern, Alligator-Prägung oder in matt Orange, aber natürlich auch die Kampffarben:
"Das hier ist die sogenannte Gunpowder, ist auch im Anthrazit-Bereich, ist matt, oder wir haben auch das nennt sich dann Battleship-Grey, also auch etwas martialisches, das klassische NATO-Oliv, also da gibt es tatsächlich sehr viele Möglichkeiten."
Haben Sie auch Tarnmuster, das habe ich letztens gesehen?
"Ja, genau, wir haben auch Tarnmuster, tatsächlich, die werden allerdings individuell gestaltet, also das ist ein Projekt, das man erstmal am Rechner durchführt, wo man sich das Fahrzeug auf den Monitor zieht und dann wirklich die einzelnen Tarnflecken rausarbeitet, das umsetzt im digitalen Bereich und danach wird es dann erst gedruckt."
Warum will jemand ein Tarnmuster?
"Weil er auffallen will wahrscheinlich. Tarnen wird er sich damit nicht, der möchte sich schon darstellen."

Bezüge zu zeitgenössischer Kunst

Ursprünglich wurden Militär-Fahrzeuge matt lackiert, damit sie keine Sonnenstrahlen reflektieren. Im Straßenverkehr scheint sich der Sportwagen in dunklem Anthrazit zu ducken und prägt sich doch in das Bildgedächtnis ein. Der amerikanische Künstler Richard Artschwager hat sich mit diesem umgekehrten Aufmerksamkeitseffekt in seinem Markenzeichen beschäftigt, dem "blp", einem ovalen Signal, das der 2013 gestorbene Künstler in Straßen, Museen und Galerien wie ein Ausrufezeichen installierte.
Artschwager war im Zweiten Weltkrieg in der Spionageabwehr eingesetzt. Blip heißt das Signal auf dem Radarschirm, wenn ein Objekt geortet wird. Er wollte, beschrieb der Künstler später seine Idee, etwas erschaffen mit einem "festen, dichten, schweren Nachbild". Deshalb bezog er seine "blps" mit lichtschluckendem Material, Filz, Roßhaar oder Bürstenborsten.

Ein optisches Paradox des Wohlstands

Auch Jan Schegel hat seinen Sportwagen auffällig getarnt:
"Der ist mit einer Oberfläche beklebt, das ist ein Bild, das wir von einer Agentur bekommen haben, das soll eine verrostete und vergammelte Stahlplatte darstellen, und der Wagen soll eigentlich so aussehen, als ob der in die Spree gefallen ist und nach drei Monaten wieder rausgezogen wurde. Dass der wirklich ruiniert aussieht."
Liebhaberstücke in Rostoptik, Luxuslimousinen glanzlos verpackt und Geländewagen mit Camouflage-Muster getarnt. Auffallen können diese Autos nur, weil ihre Umgebung glänzt. So ist die Mattlackierung ein Paradox des Wohlstands.
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