Candidus: Ärztestreik folgerichtig nach jahrelanger Unterbezahlung

Wolfram-Arnim Candidus im Gespräch mut Marietta Schwarz · 09.04.2010
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten, Wolfram-Arnim Candidus, hält den im Mai drohenden Ärztestreik nach den gescheiterten Tarifverhandlungen für Klinikärzte an kommunalen Krankenhäusern für "allemal berechtigt".
Marietta Schwarz: Gestern sind die Tarifverhandlungen über höhere Ärztegehälter gescheitertund es sieht ganz danach aus, als ob die Ärzte ab Mitte Mai streiken würden. Über die wird ja in diesen Tagen viel diskutiert, über die Ärzte. Dabei geht es weniger ums Einkommen, als um die Verteilung. Auf dem Land gibt es bekanntlich zu wenige Mediziner und die schwarz-gelbe Koalition möchte das gerne ändern. An Ideen mangelt es Gesundheitsminister Rösler nicht: Eine Quote soll es richten, der Zugang für zukünftige Landärzte zum Studium erleichtert werden, außerdem könnten Kommunen oder die Kassenärztliche Vereinigung eigene Praxen betreiben. Die CDU geht noch einen Schritt weiter und schlägt vor, Ambulanzen und Krankenhäuser in die hausärztliche Versorgung mit einzubinden. Politiker und Ärztevertreter sind unterschiedlicher Meinung, was diese Vorschläge betrifft. Über die Patientenperspektive, über die wurde bisher wenig geredet, und dafür ist mir jetzt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Patienten und Versicherte zugeschaltet, Wolfram-Arnim Candidus. Guten Morgen!

Wolfram-Arnim Candidus: Einen wunderschönen guten Morgen!

Schwarz: Herr Candidus, zunächst ein Wort zu den gescheiterten Tarifverhandlungen. Sind die nun drohenden Streiks der Ärzte berechtigt?

Candidus: Die sind allemal berechtigt, weil wir über Jahre hinweg in diesem Bereich, nicht bei den Herren Chefärzten, sondern im unteren Bereich, Assistenzärzten und Oberärzten, eine schlechte Vergütung haben für die einzelne Arbeitsstunde und für die Gesamtleistung, und hier müssen Änderungen geschaffen werden. Dies ist aber auch wie in allen anderen Bereichen des Gesundheitswesens auf dem Altar der Ökonomie und der Kostensenkung geopfert worden, und deshalb führt das zum Streik, wie wir vor drei, vier Jahren ja auch schon mal hatten, als Herr Montgomery mit seinen Ärzten auf die Berliner Walz gegangen ist, um zu protestieren, und dann 30 Prozent durchgesetzt hat.

Schwarz: Probleme für die Versorgung der Patienten, die ergeben sich ja auch aus diesen Streiks, aber die ergeben sich nicht nur aus diesen Streiks, sondern derzeit wird ja auch viel über tiefergehende Ursachen diskutiert, Stichwort Ärztemangel. Wie bekommen diesen denn Patienten auf dem Land zu spüren?

Candidus: Die Patienten müssen Wartezeiten in Anspruch nehmen, werden schlecht behandelt, Hausbesuche gibt es nur noch selten, und deshalb brauchen wir Anreizsysteme in der Vergütung der Mediziner, die im ländlichen Bereich als Landarzt tätig werden. Diese Anreizsysteme müssen in einer guten regionalen Berücksichtigung dessen sein, was dort geleistet werden muss. Also wenn große Distanzen geleistet werden müssen von einem Patienten zum nächsten, dann muss mehr vergütet werden, wenn es engere, kleinere Distanzen gibt wie in den Städten, dort muss die Reduzierung der Vergütung erfolgen. Und damit würden wir eine Regelung kriegen, dass auch Ärzte wieder aufs Land gehen, wobei die Infrastruktur auf dem Land bekanntlicherweise ja schlechter ist. Das heißt, die Frau muss überzeugt werden wegen der Schule, wegen der Kinder, wegen des Gymnasiums, wegen des Kindergartens und so weiter und so fort, und deshalb muss man hier auch anders vergüten. Da hilft kein Numerus clausus herabsetzen alleine. Das ist ein Punkt, der schon interessant ist, aber nicht alleine. Und es bedarf einer effektiveren Selektion der Menschen, die Arzt werden wollen, durch Gespräche, durch qualifizierte Gespräche, wie wir es in allen anderen Berufsgruppen auch haben.

Schwarz: Würde es denn vielleicht helfen, Krankenhäuser – das ist ja auch ein Vorschlag – in die ambulante Versorgung stärker einzubinden?

Candidus: Ich finde diesen Vorschlag schrecklich, weil wir wissen haargenau – und ich bin seit 1957 im Gesundheitswesen -, dass jede stationäre Einrichtung teuerer ist wie ein freiberuflicher Arzt. Und jetzt will man die Freiberuflichkeit schädigen, schon durch die MVZ oder jetzt den Vorschlag der Angliederung an die Kliniken, indem man diese anbindet an eine Klinik, die teuerer ist alleine von den Overhead-Kosten teuerer sein muss. Das ist doch kein Vorwurf, sondern einfach eine Feststellung. Dann lasse ich doch lieber die Freiberuflichkeit der Ärzte bestehen und lasse die sich frei entfalten mit einer adäquat angepassten Vergütung für die erbrachte Leistung.

Schwarz: Herr Candidus, Sie haben das Stichwort Numerus clausus schon angesprochen. Schulnoten allein machen noch keinen guten Arzt aus, das sagt Philipp Rösler, deshalb sollen Abgänger mit schlechterem Abitur-Durchschnitt einen Studienplatz bekommen, wenn sie später in die Provinz gehen. Würde sich das möglicherweise auch auf die Qualität der Ärzte auf dem Land auswirken?

Candidus: Ich war immer noch der Meinung, dass wir in Deutschland in einer Demokratie eine freie Berufswahl und eine freie Standortwahl haben für unseren Beruf. Und das sollten wir bei den Ärzten auch erhalten. Und es ist dumm, davon auszugehen, dass man sagt, wenn jemand jetzt studiert, dass er sich von vornherein festlegt, er geht aufs Land, er wird Dorfarzt. Der soll doch sich entfalten können, der muss doch erst mal feststellen, wenn er sich für den medizinischen Beruf entschieden hat, in welche Richtung will er denn gehen, will er Anästhesist werden, will er Chirurg werden, will er Orthopäde werden, oder will er lieber praktischer Arzt werden, oder Internist werden. Das sind Themen, davon geht es aus, was man tun sollte, und das wird gesteuert heute im Wesentlichen dadurch, wo kann ich heute mehr Geld verdienen, und das sind meistens die technischen medizinischen Berufe, und das sollte auch umgestellt werden. Wir sollten die Mediziner viel, viel stärker für das Gespräch vergüten, um Patienten-Compliance, um den Patienten auch über das Gespräch einzubinden in die Behandlung. Und damit würden wir auch Folgekosten verhindern und würden den Mediziner wieder zu dem machen, was er sein sollte für uns, nämlich Vertrauensperson in der Betreuung und Behandlung von Krankheit.

Schwarz: Schlechter versorgte Gebiete haben wir ja eigentlich auch nicht mehr auf dem platten Land, sondern – das ist immer wieder zu lesen – auch in den ärmeren Stadtteilen. Das hat also auch mit Einkommensmöglichkeiten der Ärzte zu tun. Müssten da nicht auch ganz andere Stellschrauben gedreht werden?

Candidus: Ja. Die Stellschraube, die hier gedreht werden muss, ist ganz einfach die, dass in Stadtteilen, wo weniger betagte oder betuchte Bürger sind, weniger Geld über die private Krankenversicherung eingenommen werden kann, weil alleine mit den Vergütungen der gesetzlichen Krankenkasse können viele Arztpraxen nicht mehr existieren. Hier muss die Vergütungsform geändert werden, auch weg von der technischen Seite in die Gesprächsseite, um auch in Sozialbereichen adäquat eine gute Versorgung und Betreuung der Patienten vornehmen zu können. Das ist nicht eine Frage des bösartigen Willens der Mediziner, sondern einfach die Frage der ausreichenden Vergütung, die nicht abhängig sein darf von den Vergütungen der privaten Krankenversicherung.

Schwarz: Also auch mehr Diskussion über Qualität. – Derzeit führen wir ja nur eine Diskussion über Quantität?

Candidus: Ja, das ist richtig, richtig. Quantität ist in der Regel, über Kosten vor allen Dingen, über Einnahmen und Ausgaben wird diskutiert bis zum geht nicht mehr, aber um strukturelle Veränderungen, die notwendig sind, da geht auch Herr Dr. Rösler nicht heran und das müsste sein, denn sonst setzen wir, wie das jetzt im Moment eigentlich aussieht, die Politik der Ulla Schmidt weiter fort, nämlich der zentralen Steuerung, und wir brauchen eine regionale Steuerung im Gesundheitsversorgungsbereich. Das heißt, regional muss festgelegt werden, sowohl im Land als auch auf der Stadt, wie müssen die Versorgungsstrukturen aussehen, und da muss die Politik nur noch Rahmenbedingungen schaffen. Das heißt, adäquate Verpflichtungen der Krankenkassen, der gesetzlichen Krankenkassen, zur ausreichenden Vergütung der Ärzte und auch des Pflegepersonals unter anderem.

Schwarz: Im Interview war das Wolfram-Arnim Candidus, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Patienten und Versicherte. Vielen Dank Ihnen!

Candidus: Ja, danke sehr!