Can Dündar über Leben und Schreiben im Exil

"Wo immer ich schreibe, ist die Türkei!"

Can Dündar im Maxim Gorki Theater auf einer roten Treppe.
Die Wundmale seiner Verfolgung versteckt Can Dündar hinter einem Lächeln © imago / epd
Von Axel Schröder · 29.10.2018
Die Körber-Stiftung stellt in der Reihe „Tage des Exils“ Menschen vor, die ins Exil gezwungen wurden. Als ein Höhepunkt der Veranstaltungsserie wurde die Rede des türkischen Journalisten Can Dündar angekündigt. Er erzählt von einem zerrissenen Leben.
Agata Klaus betreut als Programmmanagerin das heute eröffnete "Exile Media Forum" der Hamburger Körber-Stiftung. Ziel der Konferenz, auf der ab morgen Journalisten aus ganz Europa diskutieren, ist, die Arbeit der geflüchteten Medienmacher und ihre Erfahrungen in den jeweiligen Exil-Ländern in den Fokus zu rücken, so Agata Klaus:
"Exil-Journalismus, so wie wir ihn betrachten auf der Konferenz, ist der Journalismus, der sich an die deutsche Leserschaft richtet von exilierten Journalisten, die eine Vielfalt in den Medienbetrieb reinbringen, die aufzeigen, dass es andere Sichtweisen gibt und dadurch dann die Medienlandschaft bereichern. Die zweite Perspektive ist diejenige der Exiljournalisten, die hier in Deutschland sind und suchen und finden und die in ihre Heimatländer hineinfunken sozusagen."

Staub der Gefängniszelle auf der Haut

Zum Auftakt der Konferenz hielt der einstige Chefredakteur der Cumhurriyet Can Dündar im Kleinen Saal der Elbphilharmonie seine "Rede zum Exil":
"Als ich hier in Deutschland ankam, hatte ich noch den Pulvergeruch des Anschlagsversuchs in der Nase. In meinen Ohren die Worte des Strafverfolgers, der lebenslange Haft forderte. Auf meiner Haut der Staub der Gefängniszelle."
Dündar erzählt die Geschichte vom Frosch im Wasser, der zunächst gar nicht merkt, wie ganz langsam die Temperatur erhöht wird. Und als das Tier es merkt, ist es längst zu spät. In der Türkei würde nun das Böse herrschen, nur fünf Jahre, so Dündar, dauerte der Übergang. Und auch als die ersten Anzeichen dafür schon unübersehbar waren, haben er selbst und viele seiner Kolleginnen und Kollegen noch gehofft, und die Hinweise übersehen.

Man gehört weder hier- noch dorthin

"Das erste, was Du hörst ist: ‚Du gehörst hier nicht her!‘ Und tragischerweise wartet dann im Zielland genau das Gleiche auf Dich. Und ganz bald denkst Du, Du wärst ein ewiger Außenseiter. Und dann fällt Dir Stefan Zweigs Satz ein: ‚Ich gehöre nirgends mehr hin.‘"
Can Dündar erzählt von den türkischen Filmemachern, Musikern und Schriftstellern, die das Leben im Exil nicht ausgehalten haben. Sie wurden "Homesick", krank vor Heimweh. Viele nahmen sich das Leben.
Das Leben im Exil biete zwar die Möglichkeit, sich kritisch zu äußern, in seinem Fall: den türkischen Staatschef Erdogan von Deutschland aus zu kritisieren. Aber mit jeder kritischen Äußerung wachse auch die Unmöglichkeit, in die Türkei zurückkehren zu können. Und trotzdem drehen sich die Gedanken oft genug ums Heimatland:

Heimweh, das einen zerreißt

"Wenn Du in engem Kontakt mit Deinem Heimatland bleibst, riskierst Du einen Unfall. Wie ein Autofahrer, der immer nur in den Rückspiegel schaut. Wenn Du aber nie zurückschaust, dann stolperst Du in eine Leerstelle und Deine Wurzeln werden schwächer. Wie ein guter Autofahrer musst Du die Straße im Blick behalten und gleichzeitig immer im Blick behalten, was hinter Dir liegt. Und das fällt gar nicht so leicht in einem Verkehrsgeschehen, das Du nicht kennst."

Im Exil finden sich Samen für neue Ideen

Anderseits eröffnet das Leben im Exil neue Wege, erzählt Can Dündar, die Exilliteratur wachse und hier werde der Samen gelegt für neue Ideen. Dündar erinnert an den Sozialdemokraten Ernst Reuter, der vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten in die Türkei geflohen war und dort Ideen entwickelte, wie sich ein Frieden verwirklichen lasse. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde Reuter Bürgermeister von Berlin.
In diesem Sinn will auch Can Dündar weniger in den Rückspiegel als vielmehr nach vorne schauen. Auch wenn er die Erinnerungen an seine Verfolgung in der Türkei nicht loswird. Er verstecke die Wundmale, die ihm zugefügt wurden, hinter einem Lächeln. Aber verschwinden tun sie deshalb nicht.
"Wenn Sie einem lächelnden Migranten begegnen, wenn Sie dieses Gebäude verlassen, denken Sie bitte über das Leiden hinter diesem Lächeln nach. Hören Sie an, was er für Erfahrungen gemacht hat, um niemals genauso leiden zu müssen. Es ist an uns, gegen dieses Leiden aufzustehen und es zu besiegen. Wir sollten weiter schreiben in unserem neuen Land, in unserem Land der Literatur.
Und zu jedem, der mir erzählt, ich sei zu weit von der Türkei entfernt, dem entgegne ich mit Thomas Mann: ‚Wo immer ich schreibe, ist die Türkei!‘"
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