C.H. Beck Verlag

Lektor verteidigt Autoren gegen Plagiatsvorwurf

Teilnehmer der dreitägigen WikiCon 2013 sitzen im Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in Karlsruhe (Baden-Württemberg) zusammen.
Teilnehmer der dreitägigen WikiCon 2013 sitzen im Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in Karlsruhe (Baden-Württemberg) zusammen. © picture alliance / dpa / Uli Deck
Ulrich Nolte im Gespräch mit Ulrike Timm · 24.04.2014
Der Lektor des C.H. Beck Verlags, Ulrich Nolte, glaubt nicht, dass zwei seiner Autoren "absichtlich" bei Wikipedia abgeschrieben haben. Ohnehin sei es bei Faktenwissen schwer, von einer "Urheberrechtsverletzung" zu sprechen.
Ulrike Timm: Zwei Autoren des renommierten C.-H.-Beck-Verlages haben die Wendepunkte der Weltgeschichte aus Wikipedia entwendet und in großem Umfang für ihr Buch schlicht und einfach kopiert. "Große Seeschlachten. Wendepunkte der Weltgeschichte", so heißt ein Historienschinken, ein großes geschichtliches Sachbuch, in dem sich viele Sätze direkt auch auf Wikipedia finden lassen. Einem Facebook-Nutzer war das aufgefallen, und nach 30 wortgleich gefundenen Stellen – von Rumpfgeschwindigkeit bis Wasserverdrängung – machte er seinem Ärger Luft und seine Entdeckung öffentlich. Das sorgt jetzt im übertragenem Sinne für hohe See beim Verlag, der hinsichtlich der Sachlichkeit und Seriosität seiner Bücher doch stets ganz vorne liegt. Wird nun aus dem Wendepunkt der Weltgeschichte nun ein Wendepunkt in der Verlagsgeschichte? Am Telefon begrüße ich Ulrich Nolte, Lektor beim Beck-Verlag. Schönen guten Tag, Herr Nolte!
Ulrich Nolte: Ja, guten Tag, Frau Timm!
Timm: Das war für Sie wahrscheinlich ein Riesenschreck, wie gehen Sie denn jetzt mit den Vorwürfen um?
Nolte: Also, wir gehen jetzt erst mal ganz ruhig und sachlich daran. Ich muss auch sagen, das, was bisher an Vorwürfen publiziert worden ist oder an Belegen dafür, ist ja gar nicht so viel, wie Sie jetzt angedeutet haben. Im Facebook-Artikel steht, das ganze Buch sei zusammengeschustert aus Wikipedia-Einträgen. Dann heißt es, es gibt 30 Stellen, aber als Beleg werden dann nur fünf Stellen angeführt, die sich insgesamt auf eine gute halbe Seite addieren, verteilt auf ein 420- bis 450-Seiten-Buch. Also, das ist erst mal sehr wenig an Beleg. Eine dieser fünf Stellen ist auch noch so zusammengekürzt, damit man die Ähnlichkeiten sieht, aber man sieht, es ist eben gekürzt worden. Also, das ist für mich jetzt erst mal ein sehr zwiespältiger Befund. Und eins ist für uns ganz klar, wir müssen das jetzt ganz genau prüfen im Verlag: Was steckt dahinter? Ich habe auch denjenigen, der das bei Facebook gepostet hat, gebeten, mir die anderen 30 Stellen zu schicken, das will er auch machen. Da bin ich jetzt gespannt drauf, und natürlich prüfen wir jetzt auch selber ganz sorgfältig, was dahintersteckt. Da gibt es ja Methoden und Techniken, das zu tun.
Plagiatsvorwürfe gibt es immer wieder
Timm: Das verstehe ich gut, dass Sie erst mal Zeit brauchen, um das gut zu prüfen. Trotzdem: Ob nun 30 oder das ganze Buch, gut ist es ja nicht. Hatten Sie überhaupt als Verlag – also, Beck ist wirklich ein renommierter Sachbuchverlag, wo man sagt, die checken doppelt und dreifach –, hatten Sie überhaupt mit Plagiatsvorwürfen schon mal zu tun?
Nolte: Ja, solche Vorwürfe gibt es immer mal wieder. Also, früher waren die halt anders strukturiert. Früher liefen die sozusagen eher nach dem Muster, Wissenschaftler A wirft Wissenschaftler B vor, hier was abgeschrieben zu haben oder was nicht sauber zitiert zu haben oder eine These übernommen zu haben ohne Nachweise, so was gab es immer. Da musste man dann unterschiedlich mit umgehen. Sehr selten, alle paar Jahre vielleicht mal so ein Fall. Wir hatten letztes Jahr noch so einen Fall, wo ein Wissenschaftler einem anderen was angekreidet hat, was sich alles in Luft aufgelöst hat dann. Aber dass jetzt jemand sagt, hier sind einzelne Stellen aus Wikipedia-Artikeln, das hatten wir noch nicht so.
Timm: Wie machen Sie das überhaupt als Lektor, wenn Sie nun ein sehr fachspezifisches, aber ein populärwissenschaftliches Buch haben und es um die Details geht? Das können Sie im Einzelnen – ja, wie prüfen Sie das überhaupt nach, ob der Autor selbst formuliert hat oder irgendwo abgeschrieben hat? Wie machen Sie das?
"Wir vertrauen unseren Autoren zunächst"
Nolte: Im Prinzip gar nicht, muss ich sagen. Also, ich meine, wenn es fachspezifisch ist, gibt es bestimmte Themen, bei denen man etwas genauer prüft. Wir haben manchmal auch geradezu Fakt-Checker am Werk, die Fakten prüfen mit allen möglichen Mitteln, das ist relativ aufwändig, das macht man aber eher bei sensiblen Themen, wenn es jetzt ums Dritte Reich geht oder so, um Opferzahlen oder so was, wo man wirklich sehr aufpassen muss. Aber jetzt bei Bruttoregistertonnen oder Rumpfgeschwindigkeiten, die Sie vorhin genannt haben, haben wir das jetzt nicht gemacht. Da habe ich mich auf die Autoren verlassen, auf deren Recherchen, die ja auch im Großen und Ganzen richtig waren. Ob die jetzt ihr Wissen irgendwo abgeschrieben haben, haben wir nicht geprüft. Wir vertrauen unseren Autoren zunächst.
Timm: Das heißt, Büchermachen ist auch Vertrauenssache? Ist das Vertrauen jetzt grunderschüttert nach so einem Vorwurf? Der noch nicht geprüft ist, aber der doch mit einigen Beispielen sehr präsent im Raum steht.
Den Autoren vielleicht "mehr auf die Finger schauen"
Nolte: Sicher, eine gewisse Erschütterung gibt es, sonst würden wir ja jetzt nicht selber prüfen. Ich war erst mal erschrocken, als ich das hörte. Und als ich diese fünf Stellen sah, habe ich mir auch gedacht, okay, da ist wohl, sind einzelne Sätze wörtlich übernommen worden. Einzelne Sätze, muss man sagen, es ist nicht das halbe Buch, auch 30 Stellen habe ich noch nicht gesehen, ich habe bisher fünf Stellen gezeigt bekommen, wo das passiert ist, aber wir prüfen jetzt natürlich. Und wir müssen natürlich auch in der Zukunft überlegen, wie wir damit umgehen. Ich will den … Man kann den … Vertrauen erschüttert ist auch ein blödes Wort, weil ich auch gar nicht glaube, dass irgendeiner unserer Autoren so etwas absichtlich macht, das passiert wahrscheinlich, wenn man sich irgendwelche Fakten erst mal in eine Datei kopiert und dann sich selber gar nicht mehr kenntlich macht, woher man es hat, woher man einen Halbsatz hat oder irgendeine Formulierung. Und das ist natürlich schlecht, das darf nicht passieren. Und wahrscheinlich muss man da vielleicht den Autoren mehr auf die Finger schauen, weil die neuen Arbeitstechniken es natürlich erleichtern, dass so etwas passiert. Es ist eine neue Situation im Grunde, auf die man sich wahrscheinlich doch wird einstellen müssen.
Timm: Bisher ging es bei Plagiaten ja immer um wissenschaftliche Arbeiten, um Dissertationen, gern auch um Dissertationen von Prominenten. Nun ist dieses Buch keine wissenschaftliche Arbeit. Macht das einen Unterschied?
Nolte: Da muss ich Ihnen widersprechen, das Buch ist eine wissenschaftliche Arbeit.
Timm: Ja, aber keine, mit der man Titel erlangen will, das meinte ich.
Nolte: Nein, das nicht, es ist jetzt keine wissenschaftliche Qualifikationsschrift, aber es ist von zwei Wissenschaftlern geschrieben worden, die eine eigene These vertreten, die Weltgeschichte – wie Sie es ja auch in der Anmoderation gesagt haben – aus der Perspektive der Meere, aus der Perspektive der Seeschlachten darstellen und die eine ganz bestimmte These dazu haben, welche Rolle die Seeschlachten und die Meere für die Weltgeschichte spielen. Also, das ist schon eine wissenschaftliche Leistung. Und was wir machen, sind eigentlich wissenschaftliche Bücher, aber lesbar für eine große Leserschaft. Das ist schon unser Anspruch. Und ich würde sagen, dieser Anspruch wird von diesem Buch auch absolut erfüllt. Es ist ein wissenschaftliches Buch für eine eigentlich möglichst große Leserschaft.
Übernahme ist das eine, Urheberrechtsverletzung mitunter etwas anderes
Timm: Nun kann man natürlich auch konter. Ein gewitzter Mensch, der schrieb sofort auf Facebook: Fein, wenn ich für eine Arbeit bei rarer Quellenangabe mangels Masse aus Wikipedia abschreibe, dann publiziere ich doch gleich mein Buch dazu. Waren Sie womöglich ein bisschen sorglos? Ich meine, ein Image-Schaden ist es ja doch für den Verlag sehr.
Nolte: Ja, das ist es schon, ja, das kann sein. Aber gerade solche Stellungnahmen, wie Sie sie jetzt zitieren, die verkennen im Grunde, dass diese Angaben zu Bruttoregistertonnen und Rumpfgeschwindigkeiten, das ist ja sozusagen der Faktenunterbau eines Buches, das mit diesen Angaben dann ja wissenschaftlich arbeitet, sie interpretiert, sie in einen großen Zusammenhang stellt. Also, es ist ja nicht so, dass man jetzt ein Beck-Buch aus Lexikoneinträgen komponieren könnte. Gerade solche … Unsere Bücher sollen ja gerade nicht solche reinen Faktenschleudern sein.
Timm: Darauf wollte ich gerade noch zu sprechen kommen: Ich kann die Grenze ja auch sehr schwer bestimmen. Wenn man schreibt zum Beispiel, ein rohes Ei hat diesen Durchmesser, jenes durchschnittliche Gewicht und soundso viel Kalorien, dann hat das garantiert schon mal jemand geschrieben. Wo läuft denn die Linie von geistigem Eigentum hin zu verfügbarem Detailwissen?
Nolte: Ja, das ist eine gute Frage. Und da muss man eigentlich jetzt auch eine Differenzierung machen. Also, das eine ist ja die Frage, was ist wissenschaftlich erlaubt, was ist sozusagen, was gehört zu den wissenschaftlichen Gepflogenheiten. Und natürlich widerspricht es wissenschaftlichen Gepflogenheiten, wenn ein Satz wörtlich übernommen ist, würde ich jetzt einfach mal zugestehen, da hat dieser Facebook-Poster recht, da sind vier oder fünf Sätze, die ich jetzt kenne, wörtlich übernommen worden und das darf nicht passieren. Ob das jetzt aber eine Urheberrechtsverletzung ist, das ist eine andere Frage. Denn dafür müsste man den urheberrechtlichen Status der Quelle wieder prüfen, und in diesen Fällen sagen mir unsere Juristen jetzt – wir haben natürlich auch mit unserem Hausjuristen gesprochen –, eine Urheberrechtsverletzung ist es nicht, weil solche einzelnen Sätze, die eigentlich Faktenwissen zusammenfassen in einer Art, wie sie auch gar nicht groß variierbar ist, wenn ich sage, wie viele Geschütze das Schiff hat, welche Geschwindigkeit und so weiter, dann ist es als einzelner Satz oder als zwei einzelne Sätze gar nicht urheberrechtlich geschützt, zumal man ja auch nicht weiß, woher der Wikipedia-Artikel das Wissen wiederum hat, auch dem müsste man dann wieder nachgehen.
Timm: Sie haben jetzt viel Arbeit, und ich finde es auch schlicht und einfach mutig, dass Sie hier so offen sagen, wir waren vielleicht ein bisschen sorglos. Darf ich Sie zum Schluss unseres Gesprächs ganz gefühlsmäßig fragen: Sind Sie stinksauer?
In Zukunft sehen, wie man sich besser absichert
Nolte: Ehrlich gesagt, nicht. Das liegt vielleicht an so einer gewissen Dickfelligkeit, die mir angeboren ist … Nein, ich bin nicht sauer. Ich habe den Herrn Janning, der das gepostet hat, auch angerufen. Ich habe mich bei ihm bedankt für den Hinweis und habe ihm gesagt, wir prüfen das jetzt, habe ihn auch gebeten, mit die Stellen, die er sonst noch hat, zu schicken, damit wir an einem Strang ziehen. Denn ich meine, er hat ja schon einen Punkt erwischt, das muss man zugestehen, und wir müssen jetzt prüfen und wir müssen natürlich – Ihre Fragen zielen ja auch in die Richtung – für die Zukunft sehen, wie wir uns in der Hinsicht noch besser absichern können. Es ist was Neues, muss ich sagen, weil, früher hat ein Wissenschaftler dem anderen Wissenschaftler vorgeworfen, eine These geklaut zu haben, irgendwas Originelles, aber die Bruttoregistertonnen eines Schiffes sind nichts Originelles. Und das ist das Neue daran.
Timm: Ulrich Nolte, Lektor beim C.-H.-Beck-Verlag, ein ganz renommierter Sachbuchverlag, der plötzlich mit Vorwürfen konfrontiert wird, Autoren hätten zumindest Artikel aus Wikipedia doch in großen Teilen abgeschrieben. Herzlichen Dank, Herr Nolte, für das Gespräch!
Nolte: Ja, bitte schön, Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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