Bushs Irak-Abenteuer ist desaströs gescheitert

Von Sabine Rosenbladt, "Europaarchiv" · 09.12.2006
Als Robert Gates, Amerikas neuer Verteidigungsminister, am Dienstag im Senat gefragt wurde, ob die USA den Irakkrieg gewinnen würden, antwortete er zweisilbig: "No, Sir".
Knapper lässt es sich nicht auf den Punkt bringen: George W. Bushs Irak-Abenteuer ist desaströs gescheitert. Dreieinhalb Jahre nach dem triumphalen "Mission Accomplished"-Auftritt des Präsidenten muss das politische Washington sich eingestehen, dass die teuerste Militäraktion in der amerikanischen Geschichte ein Fehlschlag war – und, das ist schlimmer, ein Fehlschlag mit unabsehbaren Folgen für das Machtgefüge des Nahen Ostens. Die Weltordnungsmacht USA ist total desavouiert. Wenn sie den Scherbenhaufen nicht aufräumt, den sie angerichtet hat, wird die gesamte Region im blutigen Chaos versinken.

Der Bericht der überparteilichen "Iraq Study Group" unter der Leitung des ehemaligen Außenministers James Baker hat dies am Mittwoch unmissverständlich klargemacht. In 79 Empfehlungen verlangen die zehn hochrangigen Mitglieder der Gruppe nichts weniger als eine völlige Neuaufstellung der amerikanischen Nahostpolitik. Wichtigster Punkt: Ohne Einbeziehung der Nachbarn – sprich ohne Gespräche auch mit den von der Bush-Regierung inbrünstig gehassten "Schurkenstaaten" Iran und Syrien – wird sich keine Lösung für das Irak-Desaster finden lassen. Eine "diplomatische Offensive" fordert die Baker-Kommission nun – nicht nur für den Irak, sondern auch für den Israel-Palästina-Konflikt.

Militärisch schlägt die Study Group einen abgestuften Truppenabzug aus dem Irak bis zum ersten Quartal 2008 vor. Danach sollen amerikanische Kampftruppen nur noch "eingebettet" in Einheiten irakischer Streitkräfte eingesetzt werden. Doch an diesem Punkt zeigt sich sofort ein weiteres Dilemma: Weder die irakischen Politiker noch die irakischen Ordnungskräfte haben bisher in irgendeiner Weise gezeigt, dass sie fähig wären, den täglich eskalierenden Bürgerkrieg zwischen Schiiten und Sunniten einzudämmen. Im Gegenteil: Schiitische wie sunnitische Regierungsparteien haben enge Verbindungen zu den schiitischen und sunnitischen Milizen, die sich gegenseitig immer blutrünstiger massakrieren. Es ist schwer vorstellbar, wie ein Staatswesen funktionieren soll, in dem schiitische Polizeikräfte bei Straßenkontrollen Iraker mit sunnitisch klingenden Namen einfach aus dem Auto zerren und erschießen. Aber das gehört inzwischen zum traurigen Alltag im "befreiten" Irak.

Daher hat auch die Baker-Kommission kein Patentrezept zur Lösung des Irakproblems anzubieten, sondern bestenfalls Vorschläge zur Schadensbegrenzung. Wenn nämlich der schiitisch-sunnitische Konflikt weiter eskaliert, werden sich die Nachbarstaaten auch militärisch einmischen: Saudi-Arabien hat schon angekündigt, aktiv auf Seite der Sunniten einzugreifen. Ähnliche Signale kommen aus den sunnitisch regierten Ländern Ägypten und Jordanien. Denn nichts fürchten diese Regierungen mehr als einen Aufstand ihrer eigenen schiitischen Minderheiten. Im Libanon ist derzeit gerade zu besichtigen, wie die schiitische Hisbollah versucht, die demokratisch gewählte Regierung von Fuad Siniora zu Fall zu bringen.

Zudem scheint der schiitische Iran kurz davor zu stehen, Atomwaffenstaat zu werden. Mehrere arabische Länder wollen deshalb ihre eigene Nuklearoption neu erwägen. Das alles sind so furchterregende Perspektiven, dass die Bush-Regierung gar keine andere Wahl haben wird, als die Baker-Empfehlungen möglichst buchstabengetreu umzusetzen. Zwar ziert sich Bush derzeit noch, was Gespräche mit dem Iran und Syrien angeht. Aber in Wahrheit sitzt er in einer ausweglosen Klemme. Robert Gates, sein neuer Verteidigungsminister, hat in der Kommission selbst mitgearbeitet; er weiß, was auf dem Spiel steht.

"You brake it, you own it", soll Colin Powell im Vorfeld des Irakkrieges zu George Bush gesagt haben: "Wenn Sie das Land zerbrechen, gehört es Ihnen." Das berühmte Bonmot trifft es ziemlich genau: Der Irak ist zerstört, das Projekt Demokratisierung gescheitert, aber Washington muss nun trotzdem versuchen, zu retten, was zu retten ist. Das gilt im übrigen für den gesamten Westen: Auch Berlin stellt sich schon darauf ein, dass sehr bald gefragt werden wird, was denn Deutschland dazu beitragen kann, um den Nahen Osten wieder zu stabilisieren. Und niemand sollte sich täuschen: Mit ein paar Polizeiausbildern und ein paar Schiffen vor Libanons Küste wird es dieses Mal nicht getan sein.