Busch / Hördler / van Pelt: "Das Höcker-Album"

Wie die Auschwitz-Täter feierten

Ein undatiertes Foto aus dem Fotoalbum des SS-Offiziers Karl Hoecker.
Ein undatiertes Foto aus dem Fotoalbum des SS-Offiziers Karl Hoecker © picture alliance / dpa / U.S._HOLOCAUST_MEMORIAL_MUSEUM
Von Eva Hepper · 08.06.2016
Auschwitz gehört zu den meistfotografierten Konzentrationslagern überhaupt. Vor etwa zehn Jahren tauchten plötzlich neue Bilder auf - solche, die die Täter zeigen. Sie stammen aus der Fotosammlung des SS-Obersturmführers Karl Höcker und wurden nun in einer umfassenden Publikation herausgebracht.
Auf dem Bild herrscht ausgelassene Fröhlichkeit. Junge Frauen in Rock und Bluse, manche Hand in Hand, manche untergehakt, sitzen Seite an Seite auf dem Geländer einer Terrasse – ihr Blick geht zu dem freundlichen Mann, der ein Tablett mit Blaubeerschälchen herumträgt. Auch er ist sichtlich vergnügt.
2007 wurde die Fotografie weltweit bekannt. Sie zeigt Karl Höcker, den Adjutanten des Lagerkommandanten von Auschwitz "gemeinsam mit den SS-Maiden auf der Solahütte 22.7.44". Das Bild und der handgeschriebene, akkurat mit Lineal unterstrichene Titel stammen aus Höckers privatem Fotoalbum. Von dessen Existenz war nichts bekannt, bis es ein ehemaliger US-amerikanischer Nachrichtenoffizier dem "United States Holocaust Memorial Museum" übergab – 60 Jahre nachdem er es in den letzten Kriegstagen an sich genommen hatte. Nun liegt die Fotosammlung erstmals in einer wissenschaftlich edierten Publikation auch auf Deutsch vor.
116 Fotografien von Mai 1944 bis Januar 1945 sind im "Höcker-Album" versammelt. Das Besondere: Sie zeigen SS-Personal, Wachleute und hochrangige Besucher des Vernichtungslagers bei Freizeitaktivitäten - auf der 30 Kilometer entfernten Solahütte beim Sonnen, Musizieren, bei der Jagd, beim Feiern oder auf dem Schießstand. Abgebildet sind unter vielen anderen die Lagerkommandanten Richard Baer und Rudolf Höß oder der KZ-Arzt Josef Mengele, von dem es zuvor kein einziges bekanntes Bild aus Auschwitz gab.
Jede Fotografie ist seitenfüllend und mit einer ausführlichen Legende abgedruckt. Dem Bildteil vorangestellt sind neun Texte von international renommierten Wissenschaftlern. Sie berichten von Erhalt und Edition des Albums, dechiffrieren die Fotografien und beschreiben Täterbiografien, -karrieren und Beziehungsgeflechte, die erstmals überhaupt durch diese Bilder erkennbar werden.

Morden ohne Unrechtsbewusstsein

So erläutert Stefan Hördler (Leiter der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora) die Personalpolitik und das Sozialgefüge innerhalb des Konzentrationslagers. Sarah M. Cushman (Holocaust Memorial and Tolerance Center, Nassau County, NY) legt die Funktion der bislang in ihrer Bedeutung unterschätzen SS-Helferinnen dar. Und Christophe Busch (Direktor der Kazerne Dossin, Belgien) identifiziert die Freizeitaktivitäten und Ausflüge als Stiftungsmomente eines Referenzrahmens und eines damit verknüpften Gruppenzusammenhalts, der das hundertausendfache Morden ohne Unrechtsbewusstsein erst ermöglicht hätte.
Tatsächlich sagte SS-Obersturmführer Karl Höcker, der schließlich zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde, 1963 im Frankfurter Auschwitzprozess: "Ich habe keinem Menschen etwas zuleide getan, noch ist jemand durch mich in Auschwitz umgekommen."
Die Aussage ist im Buch direkt neben seinen Zyklon-B-Bestellformularen abgedruckt. Sie ist ebenso erschütternd, wie die Fotografien, die einen fröhlichen Lager-Alltag parallel zum (hier gänzlich ausgesparten) Massenmord zeigen.
Eine bedrückende und beeindruckende Publikation: unverzichtbar für die Forschung und hoch interessant für den Laien.

Christophe Busch/Stefan Hördler/Robert Jan van Pelt (Hrsg.): Das Höcker-Album. Auschwitz durch die Linse der SS
Philipp von Zabern Verlag, Mainz 2016
336 Seiten, 45,95 Euro

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