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Informations-Management
Wissen bändigen - eine Mammutaufgabe

Auf einer Fachkonferenz in London stand am Wochenende das Wissen im Vordergrund beziehungsweise die Frage, wie dieses am besten von A nach B transferiert werden kann. Ein schlechter Wissenstransport kann im glimpflichen Fall zu Sicherheitslücken in IT-Systemen führen, im schlimmsten sogar die Feuerwehr behindern.

Von Maximilian Schönherr | 09.05.2016
    Eine Frau steht hüfthoch im Hochwasser und telefoniert per Handy
    Ein verbesserter Wissenstransfer soll Menschen zum Beispiel bei Naturkatastrophen nutzen (CHRISTOPHE ARCHAMBAULT / AFP)
    Diese Konferenz in einem Hotel im Londoner Stadtteil Strand war international besetzt. Die meisten Wissenschaftler kamen aus dem asiatischen Raum, wobei einige an englischen Universitäten arbeiten. Aber auch Frankreich, die Schweiz, Portugal und natürlich Großbritannien waren vertreten. Hier spricht Jeffrey Chang von der London South Bank Universität über den Wissenstransfer ins Ausland, genaugenommen die Auslagerung von Programmier-Dienstleistungen in Billiglohnländer. Dazu gibt es reichlich Erfahrung bei großen Konzernen, nicht aber bei mittleren und kleinen Betrieben, die sich diese Option zunehmend ansehen. Changs Paper handelt genau davon, die Begrifflichkeiten zu sortieren und eine Methodologie zu entwickeln, die Risiken dieses für einen kleinen Betrieb großen Schritts vorab einzuschätzen.
    Auch der Englische Informatikprofessor Alan Eardly von der Universität von Staffordshire, der den Asiatischen Raum gut kennt, setzte sich in seiner Keynote-Rede für mittlere und kleine Betriebe und einen Wissenstransfer nach Asien ein. Weil Eardly ein Urgestein der britischen Informatik ist, fragte ich ihn, warum auf der Konferenz Maschinenlernen und Big Data keine große Rolle spielen? Die sind schon wichtig, antwortete er, aber wozu nützen einem Big Data, wenn man daraus kein Wissen ziehen kann?
    "Für mich ist Wissen ein Schritt, um Daten zu Erkenntnis zu führen. Und Erkenntnis, Weisheit, ist eine sehr wichtige Qualität für die Gesellschaft und das Leben. Zwischen 2002 und 2016 hat sich die Wissenschaft des Wissensmanagements verändert. Anfangs wollte man Wissen aus Daten ableiten; heute geht es darum, das Wissen auf Probleme der realen Welt anzuwenden."
    Die an der Universität von Loughborough lehrende Wirtschaftsinformatikerin Lili Yang wendet solch ein Wissen auf die reale Welt an. Auf der Konferenz berichtete sie von Problemen bei Feuerwehreinsätzen, weil der Wissenstransfer nicht gut funktioniert. Sie hat jetzt in Mittelengland ein System entwickelt, wo die Informationen im Brandgebiet von Sensoren aufgenommen und zeitnah an die entscheidenden Stellen übermittelt werden. Dazu ist eine Sortierung der Datenflüsse wichtig, denn nicht jeder kann zu jeder Zeit mit allen Informationen etwas anfangen.
    Im Rahmen eines EU-Forschungsprojekts ermittelt Lili Yang jetzt eine Statistik zum Wasserverbrauch in Haushalten. Sie sagt, sie möchte herausfinden, wo genau wir Wasser einsparen können.
    "Wir bringen dazu Sensoren an Dusche, Waschbecken, Toilette an, um zu erfahren, wie die Bewohner mit dem Wasser umgehen. Wir erzeugen dazu ein Klassifizierungssystem, um heraus zu finden, welchen Zusammenhang es zwischen der Einstellung des Kunden zum Wasser und seinem tatsächlichen Verbrauch gibt."
    Sashi Kant Srivastava vom Institut für Management in Zentralindien hat sich angesehen, wie Empfehlungssysteme funktionieren - auch Formen des Wissenstransfers. Typisches Beispiel: Wir surfen ein Buchportal an und bekommen aufgrund der Bücher, die wir zuvor online angesehen haben, Vorschläge für andere Bücher. Srivastava sieht eine Möglichkeit, ein solches System bei Naturkatastrophen in Indien einzusetzen. Bei solchen Katastrophen ist die Zeit sehr begrenzt, und der richtige Informationsfluss ist extrem wichtig.
    "Wenn die Betroffenen rechtzeitig die richtige Information bekommen, kann das viele Leben retten. Die Menschen haben Mobiltelefone mit GPS-Ortung und bekommen nach meinem Vorschlag präzise Ratschläge, was sie wann tun sollen. Stellen Sie sich vor, eine Flutkatastrophe bahnt sich an, und Sie haben vier oder sechs Stunden Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Dann könnte das Empfehlungssystem bei den Behörden Ihnen eine SMS schicken, jetzt diese Notrufnummer anzurufen oder sich direkt zu der oder der Sammelstelle zu begeben."
    Die Konferenz mit etwa 40 Rednern deckte einen weiten Bereich der Möglichkeiten ab, wie Wissensmanagement heute aussieht. Dass es sich niemand mehr leisten kann, auf seinem Wissen hocken zu bleiben, und dass man nicht an den sozialen Netzen im Internet vorbeikommt, schwang in London laufend mit. Asien trat hier durchaus auf Augenhöhe mit Europa auf, wo das Sharing schon etwas länger auf der Agenda der wissenschaftlichen Forschung steht.