Bundespräsident Joachim Gauck

Im Amt war er ein reisender Demokratielehrer

Bundespräsident Joachim Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt besichtigen in Peking in China den Sommerpalast.
Bundespräsident Joachim Gauck und seine Lebensgefährtin Daniela Schadt besichtigen in Peking in China den Sommerpalast; Aufnahme vom März 2016 © picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm
Von Birgit Wentzien, Deutschlandfunk-Chefredakteurin · 06.06.2016
Mit seinem Verzicht auf eine zweite Amtsperiode durchkreuze der scheidende Bundespräsident Joachim Gauck machtpolitische Interessen der Großen Koalition, meint Brigitte Wentzien. In Zeiten, in denen die Demokratie offen angefeindet werde, fehle nun auch im Schloss Bellevue der ruhende Pol.
Im nächsten Frühjahr ist Schluss im Schloss. Da geht ein Mann im Zenit seines Ansehens, dem mancher so viel Unabhängigkeit nicht zugetraut hätte. Sollen sie nur machen ohne ihn. Das Amt ist nach zwei Havarien wieder würdevoll, die Verfasstheit und das Ansehen sind rekonstruiert. Diese Erwartungen nach den Episoden Christian Wulff und Horst Köhler hat der Bundespräsident erfüllt. Und nun kann er gehen, sagt sich Joachim Gauck. Er nimmt sich seine Freiheit.
Der Moment seiner Entscheidung ist prekär und kommt in der politischen Kampfzone der regierenden Großen Koalition zur Unzeit. Die Kanzlerin hätte diesen Bundespräsidenten gern zu einer zweiten Amtszeit überredet. Der SPD wäre eine solche Verlängerung auch gelegen gekommen. Allein aus einem Grund: Bellevue als ruhender Pol mit Gauck als Staatsoberhaupt in Fortsetzung. Wenigstens ein Pol in Ruhe und ein Problem weniger.

Merkel wollte Gauck nicht

Diese machtpolitischen Überlegungen durchkreuzt der gelernte Pastor. Joachim Gauck geht, wie er kam. Ungeplant und nur sich selbst verpflichtet. Wir erinnern uns. Die FDP nutzte anno 2012 die Präsidentensuche zur Profilierung. Der Parteichef hieß damals Philipp Rösler. Die Demütigung der Kanzlerin war perfekt. Angela Merkel wollte Joachim Gauck nicht. Die Koalition stand kurz vor dem Aus. Die FDP ist inzwischen außerparlamentarisch und Merkel lernte Gauck inzwischen schätzen in einer Zeit, in der Legitimität und Legalität von Regierungshandeln und von demokratischer Repräsentation nicht nur in Frage stehen, sondern auch bestritten werden.
Moralisch, aufrecht, glaubwürdig und eigen ist Joachim Gauck mit sehr viel Kraft und fröhlicher Gelassenheit als erster Mann im Staat immer für die Unabhängigkeit der Parteien als Organisationseinheiten politischer Interessen eingetreten. Ein reisender Demokratielehrer ist er im Amt geblieben - immer auf Vermittlung bedacht zwischen Regierten und Regierenden. Zu dieser Verständigung beizutragen war bitter nötig und diese Aufgabe wird bleiben.

Sein Lieblingssatz wird von Rechtsdemagogen missbraucht

Und Gaucks Credo im Amt bleibt auch: Deutschland ist für ihn eine unerwartet demokratische und rechtsstaatliche Republik. Mehr als er als Vertreter seiner Generation erwartet hätte. Mehr Verantwortung stehe dem Land gut zu Gesicht. Das Land sei stark und stabil, auch wenn der Ton der Auseinandersetzungen angespannt sei. Und - in Erinnerung an die Bürgerrechtler der DDR in Leipzig und anderswo - wurde der Bundespräsident nachdenklich und vorausschauend zugleich: Das Ideal einer liberalen Ordnung mit allen Errungenschaften der Aufklärung begeistere nicht mehr so wie früher. Schließlich – und fast schon bitter: Ausgerechnet sein Lieblingssatz in der deutschen Geschichte "Wir sind das Volk" wird inzwischen von Rechtsdemagogen missbraucht.
Zu verteidigen ist auf dem Posten im Schloss nicht mehr und nicht weniger als demokratische Repräsentation in diesem Land - gegen Stimmungsmacher, Vereinfacher und Hysteriker. Viele von ihnen haben für den demokratischen Diskurs nur noch kalte Verachtung übrig. Joachim Gaucks Nachfolger oder seine Nachfolgerin wird Kraft und Rückgrat haben müssen.
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