Bund der Deutschen Katholischen Jugend

"Die Kirche ist eine Täterorganisation"

07:08 Minuten
Ein einzelner Mensch sitzt in den ansonsten leeren Kirchenbänken.
Die Kirchenaustritte sind kein neues Phänomen. Allerdings hätten die deutschen Bischöfe wenig darauf reagiert, kritisiert der Bund der Deutschen Katholischen Jugend. © picture alliance / dpa / Franziska Kraufmann
Gregor Podschun im Gespräch mit Ute Welty · 23.02.2021
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Die Zahl der Kirchenaustritte ist enorm hoch. Der Vorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend kann das gut verstehen. Vor allem im Umgang mit sexualisierter Gewalt werde die Kirche dem Evangelium nicht gerecht. Viele Gläubige merkten das.
Ute Welty: Der Kölner Erzbischof unter Druck. Der Verdacht von Machtmissbrauch, sexualisierter Gewalt und pädophilen Verbrechen, Frauen, die aufbegehren – und im Rekordjahr 2019 erklären mehr als 250.000 Menschen in Deutschland ihren Austritt aus der katholischen Kirche.
All das thematisiert die Deutsche Bischofskonferenz ab heute auf ihrer digitalen Frühjahrsvollversammlung, und dass der Reformprozess dringend an Fahrt aufnehmen muss, das meint Gregor Podschun. Er ist seit 2020 Vorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend. Was erwarten Sie denn von dieser Frühjahrsvollversammlung der deutschen Bischöfe?
Podschun: Ich kann schon mal sagen, dass ich nicht erwarte, dass jetzt natürlich von heute auf morgen innerhalb der Bischofskonferenz große Reformen beschlossen werden, ich glaube, das ist äußerst unrealistisch. Ich erwarte aber schon von den deutschen Bischöfen, dass sie die sogenannten Zeichen der Zeit erkennen und merken, dass die katholische Kirche vor großen Herausforderungen steht, und mutig Schritte vorangehen.

Letzte große Möglickeit auf Veränderung

Welty: Hat denn die katholische Kirche überhaupt noch eine Chance, sich grundlegend zu verändern? Mit Besserung geloben und dann in den nächsten Skandal stolpern, lässt sich ja kein Vertrauen zurückgewinnen.
Podschun: Das ist vollkommen korrekt. Ich sehe tatsächlich den Reformprozess, der jetzt in der katholischen Kirche läuft, als einen der letzten großen Schritte oder die letzte große Möglichkeit, die die katholische Kirche hat, sich zu verändern und tatsächlich eine menschengerechte und eine menschenwürdige Kirche zu werden.
Welty: Inwieweit spielt dieses fehlende Vertrauen auch eine große Rolle, wenn es eben um die Entscheidung für einen Kirchenaustritt geht?
Podschun: Ich glaube schon, dass die Ereignisse, insbesondere um die sexualisierte Gewalt, eine große Rolle spielen für Menschen, aus der Kirche auszutreten, weil sie eine große Differenz sehen zwischen der Institution der Kirche und ihrem persönlichen Glauben und dem Evangelium, das sie leben.
Ich glaube, dass die Kirche diesem Evangelium nicht gerecht wird, obwohl es genau ihr Auftrag ist, und das merken auch Gläubige und entschließen sich auszutreten. Ich möchte aber auch sagen, dass Kirchenaustritte ja kein neues Phänomen sind, sondern dass schon seit über zehn Jahren die Austrittszahlen aus der Kirche sehr, sehr groß sind und bisher die deutschen Bischöfe wenig drauf reagiert haben.

Eine Kirche für alle Menschen

Welty: Wie sähe denn eine angemessene Reaktion aus?
Podschun: Ich glaube, die Kirche muss sich den Reformen annehmen, die von ihr gefordert werden. Wir brauchen eine Kirche, die demokratisch strukturiert sein muss, die ihre Gläubigen beteiligen muss und die vor allen Dingen für die Menschen da sein muss, und zwar für alle Menschen, egal welchen Geschlechts sie sind, egal welcher sexuellen Orientierung sie sind – wie wir das von Gesellschaften kennen, weil das auch Menschenrechte sind, die Menschen einfach haben, und das setzt die Kirche bis heute nicht um. Das merken die Gläubigen und wenden deswegen der Kirche den Rücken zu.
Welty: Wenn Sie von Bekannten hören, dass sie mit ihrer Kirche hadern, fallen Ihnen dann noch gute Argumente ein, in der katholischen Kirche zu bleiben und auch für die katholische Kirche zu werben?
Podschun: Ich hab tatsächlich Bekannte, die auch jetzt ausgetreten sind aus der katholischen Kirche, und hab Gespräche mit ihnen geführt. Ich kann jedem Menschen, der sagt, ich verlasse jetzt die Kirche, sehr, sehr gut verstehen, weil die Kirche tatsächlich ja ein System von Macht und auch von Missbrauch ist und eine Täterorganisation, die nicht die Bereitschaft zur Veränderung zeigt, wie ich sie mir wünschen würde – da könnten sie weitaus forscher sein.
Deswegen ist es vollkommen korrekt, dass auch Menschen gehen. Gleichzeitig kann ich aber auch alle Menschen verstehen, die sagen, ja, ich bin nun mal gläubig, und der Glaube ist mir so wichtig, dass ich mich dafür einsetze, dass die Kirche sich verändert, und deswegen bleiben. Es gibt für beide, fürs Bleiben und fürs Gehen, sehr gute Argumente.

"Wir brauchen eine unabhängige Aufklärung"

Welty: Die Gegenwart der Kirche wird ja bestimmt vom schwierigen Umgang mit sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen durch katholische Würdenträger. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der gibt sich für die Aufarbeitungsbestrebungen der Kirche eine Drei. Welche Schulnote fänden Sie angemessen?
Podschun: Eine Drei bedeutet ja, dass es ausreichend ist in den Schulnoten…
Welty: Befriedigend sogar.
Podschun: Befriedigend sogar, genau. Das würde ich auf gar keinen Fall unterstützen. Wir haben eine Aufarbeitung, die sehr zerstückelt ist, also jede Diözese macht eine eigene Aufarbeitung – manche machen es historisch, manche machen es juristisch, andere wieder ganz anders, es ist überhaupt gar keine Vergleichbarkeit zwischen den Diözesen gegeben.
Und man muss ja auch sehen, dass man die Kirche jetzt nicht für kleine Schritte loben muss, die eigentlich selbstverständlich sind, sondern es müssen ja noch viel größere Schritte getan werden. Was ich auch sehe, dass wir ganz dringend in der katholischen Kirche eine unabhängige, vielleicht sogar staatliche Aufklärung brauchen, weil wenn Kirchenleitungen sich sozusagen selbst aufarbeiten und selbst kontrollieren, wie das ja bisher geschieht, und Zugriffsrechte auf Aufarbeitungskommissionen, auf Unterlagen, auf Veröffentlichungen von Gutachten und Studien haben, dann kann das nicht gut sein, sondern es braucht dringend ein Durchgriffsrecht des Staates und eine wirklich staatlich unabhängige Kommission, die sich verbindliche Mindeststandards in der Aufarbeitung gibt.

Gleichberechtigung bei den Jugendverbänden

Welty: Der BDKJ fordert ja seit Langem die Gleichstellung der Geschlechter in der Kirche und die Segnung auch gleichgeschlechtlicher Paare. Wie frustrierend ist es, dass die Fortschritte da so langsam sind?
Podschun: Ich kann jeden Menschen verstehen, der Frustration hat, und die Fortschritte sind wirklich sehr, sehr langsam. Auch das wird ein Grund sein, warum seit Jahren Menschen die Kirche verlassen. Ich hab die Hoffnung noch nicht aufgegeben und viele Jugendliche in der katholischen Kirche auch noch nicht, und sie setzen sich dafür ein, dass eben Frauen gleichberechtigt sind in der katholischen Kirche.
Und was man, glaube ich, auch noch mal sagen muss, dass man viele kirchliche Institutionen, die es außer den Diözesen noch gibt, auch trennen muss von der institutionalisierten Kirche. Wir als Jugendverbände verstehen uns auch als Teil der Kirche und wir sind Teil der Kirche. Bei uns herrscht Gleichberechtigung zwischen allen Geschlechtern, bei uns herrschen demokratische Strukturen, und wir sind trotzdem Kirche.
Welty: Sie sind Jahrgang 1990… Wie sieht die katholische Kirche aus, wenn Sie 50 werden?
Podschun: Ich hoffe, dass die katholische Kirche sich groß weiterentwickelt hat, dass sie tatsächlich erkannt hat, dass Menschenrechte ein Leitprinzip auch für die katholische Kirche sein muss und Strukturen geschaffen hat, in der sie demokratisch ist, in der sie Beteiligung zulässt, in der sie Männer und Frauen gleichberechtigt und Menschen jedes Geschlechts und jeder sexuellen Orientierung gleichberechtigt.
Ich glaube aber auch, dass Menschen weiterhin aus der Kirche austreten werden, so ehrlich muss man sein. Entweder treten halt Menschen aus, die dringend Reformen sich wünschen und sehen, dass sie nicht kommen, oder wenn die Reformen kommen, werden Menschen austreten, die sich wünschen, dass alles so bleibt, wie es ist. Bei Letzterem ist es allerdings besser dann, weil die Kirche natürlich sich den Menschen zuwendet und endlich auch den Menschenrechten gerecht wird.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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