Bühne

Nummerngirls im Opernhaus

Ein Bühnenbild aus dem Stück "Verlobung im Traum" von Hans Krása während einer Probe im Badischen Staatstheater Karlsruhe.
Eine musikalisch gelungene Aufführung inszenierte Justin Brown, Generalmusikdirektor des Badischen Staatstheaters Karlsruhe © picture alliance / dpa
Von Bernhard Doppler · 18.10.2014
Bekannt ist Hans Krása für seine Kinderoper "Brundibár", die im KZ Theresienstadt aufgeführt wurde. Seine selten gespielte Oper "Verlobung im Traum" hat nun das Staatstheater Karlsruhe inszeniert: pointiert, voll Wärme – und mit Varieté-Flair.
Hans Krásas Oper "Verlobung im Traum", 1933 in Prag uraufgeführt, ist ein guter Beleg dafür, wie geistreich, amüsant, wie anspruchsvoll, vielfältig und selbstverständlich sich das moderne Musiktheater in den 20er- und frühen 30er-Jahren gestaltet hat, ehe diese Entwicklung von den Nationalsozialisten nachhaltig zerstört wurde.
Hans Krása ist vor allem durch seine im Konzentrationslager Theresienstadt aufgeführte Kinderoper "Brundibár" nach 1990 wieder bekannt geworden – doch "Verlobung im Traum", Krásas einzige große Oper, ist musikalisch bei Weitem anspruchsvoller. In den 90er-Jahren wurde sie in einer Koproduktion der Prager Staatsoper und des Theaters Mannheim wiederausgegraben und auch in der Reihe "Entartete Musik" eingespielt. Doch die Karlsruher Aufführung zeigt nun nach wiederum 20 Jahren, dass "Verlobung im Traum" es durchaus verdient hätte, allgemein ins Repertoire aufgenommen zu werden.
Ein hektisch aufgeregter Strawinski
Krása nannte sich zwar selbst auch einmal "Arnold Schönberg nahe", aber geprägt ist er wohl eher von seinem Prager Lehrer Alexander Zemlinsky, einem Musiker und Dirigenten voller musiktheatralischer Lust. Auch geht Krása bestenfalls an die Grenzen der Tonalität, doch man meint manchmal hektisch aufgeregten Strawinski zu hören, dann wieder Mahler, dann wieder Kurt Weill, aber auch Walzer à la Richard Strauß, und große traditionelle Oper: Ein Racheduett zum Beispiel, ja ein Quartett wird sogar direkt aus einer Belcanto-Arie, aus "Casta diva" von Vincenzo Bellini entwickelt.
Geistreich und berührend auch das Libretto, das die Prager Journalisten Rudolf Fuchs und Rudolf Thomas aus Dostojewskis Roman "Onkelchens Traum" gemacht haben. Eine Wirklichkeit, die für den alten senilen Fürsten, das Onkelchen, so schön ist, dass man ihm sofort einreden kann, er habe sie nur geträumt. Nicht der Traum ist Wunscherfüllung (wie bei Freud), sondern die Realität, aber die ist eben zu wunderbar, als das man sich ihr zu stellen traut. Tatsächlich hatte es nämlich Mutter Marja zunächst geschafft, dass sich ihre Tochter Sina mit dem alten Mann verlobt. Die Mutter als Kupplerin wird bald zum Gespött der russischen Kleinstadt.
Psychologische Charakterisierung der Figuren mit Schwächen
Regisseur Ingo Kerkhof lässt das Geschehen aber nicht im Russland Mitte des 19. Jahrhunderts spielen, sondern in einem Varieté der 20er-Jahre. Mit 800 Glühbirnen hat Ausstatter Dirk Becker das Bühnenportal geschmückt und Nummern- und Zirkusgirls mischen sich immer wieder in die Szene. Statt eines Stadtarchivars singt ein Conférencier Epilog und Prolog.
Die Geschichte nicht realistisch zu erzählen, sondern an das Absurde und Groteske der 20er-Jahre, ja an Surreales und "Kafkaeskes" anzuschließen, leuchtet ein, wenngleich man wünschte, dass die psychologische Charakterisierung der Personen dennoch hätte manchmal etwas genauer vorgenommen werden können. Die von Anfang an präsenten Zirkusgirls relativieren auch die Struktur der Oper; ein das Geschehen beschwatzender Frauenchor mischt sich kommentierend nämlich erst im zweiten Teil in das Geschehen ein und eröffnet erst damit eine neue Perspektive.
Die Badische Staatskapelle unter Justin Brown präsentiert die Musik pointiert, aber auch voll Wärme. Jaco Venter berührt als gedächtnisschwacher, aber stimmstarker Fürst, Agnieszka Tomaszewska ist die "Casta diva" Sina, von der der Fürst sich nur träumen traut. Und Jaco Venter Paul, der Neffe des Fürsten, der sich selbst Sina als Braut wünscht. Sina träumt aber insgeheim vom politischen Revolutionär Fedja als Liebhaber. Fedja tritt allerdings nie auf, er stirbt, so wird berichtet, während des Stücks an Schwindsucht. Auch dieser Traum ist zu Ende. "Fedja tot!" ist der letzte Satz der Handlung.