Büchner-Preis für Felicitas Hoppe

15.05.2012
Als lakonisch, lyrisch, eigensinnig und uneitel beschreibt die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung die Literatur von Felicitas Hoppe. Als Büchner-Preisträgerin steht die in Berlin lebende Schriftstellerin nun in einer Reihe mit Gottfried Benn, Günter Grass, Christa Wolf und Erich Fried.
Joachim Scholl: Der Büchnerpreis ist der bedeutendste deutsche Literaturpreis. Wer ihn von der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung zugesprochen bekommt, gehört definitiv zur Literaturgeschichte, und darüber kann sich ab heute die Schriftstellerin Felicitas Hoppe freuen. Sie ist Jahrgang 1960, geboren in Hameln, lebt in Berlin und hat seit Mitte der 90er-Jahre eine weit gespannte, vielbändige Prosa entfaltet, in der, wie es in der Begründung der Jury heute heißt, die Welt der Abenteurer und der Hochstapler, der Entdecker und der Taugenichtse erkundet wird. Am Telefon ist jetzt die Büchner-Preisträgerin 2012, Felicitas Hoppe – guten Tag!

Felicitas Hoppe: Ja, guten Tag!

Scholl: Zunächst natürlich unseren, den herzlichsten Glückwunsch von Deutschlandradio Kultur. Wie doll freuen Sie sich denn, Frau Hoppe?

Hoppe: Ich freue mich riesig, ich freue mich wirklich unbändig. Die Kehrseite der Freude ist allerdings auch so eine gewisse Last, denn das ist schon … das ist ein großer Preis, und irgendwie fragt man sich natürlich auch: Huch, wo kommt das her? Aber die Freude ist wirklich groß.

Scholl: Wie erfährt man eigentlich als Preisträgerin davon? In den Medien geht so eine Meldung, kaum verkündet, in Minuten durchs Netz – hat bei Ihnen heute früh erst mal so traditionell das Telefon geklingelt?

Hoppe: Ich habe tatsächlich die Nachricht über das Telefon erhalten und sicher ein bisschen früher als die Presse, aber natürlich wird dichtgehalten. Ich selber hab auch bis heute Morgen um halb zehn dichtgehalten, und das war, glaube ich, das Schwierigste.

Scholl: Die Jury hat Ihren erzählerischen Stil, Frau Hoppe, besonders hervorgehoben: lakonisch, lyrisch, eigensinnig und uneitel nennt die Darmstädter Akademie Ihre Prosa. Wer je ein Buch von Ihnen gelesen hat, würde sagen, keine schlechte Wortwahl. Fühlen Sie sich selbst auch gut getroffen?

Hoppe: Ja, das ist immer sehr schwierig, denn Selbstbeschreibungen decken sich ja nicht immer mit Fremdbeschreibungen, aber ich glaube, damit kann ich ganz gut leben. Es ist natürlich schön, wenn das Ganze als uneitel angesehen wird, weil ich glaube, dass das einer der größten Knackpunkte ist – das ist beim Schreiben einfach schwierig. Denn Schreiben ist doch ein sehr selbstbezügliches Geschäft, und wenn man da den Fallen von der Schippe springen kann, ist es schön.

Scholl: Selbstbezüglich sagen Sie, aber Sie haben auch gern Fernbezügliches. Sie sind eine große Reisende unter den Schriftstellern, vielleicht sogar die Reisende der deutschen Gegenwartsliteratur. Heute schon legendär ist Ihre Weltreise auf einem Containerschiff, 1997 war das, da sind Sie rund um die Globus gefahren. Dieses Abenteurer-Gen, von dem jetzt auch die Jury der Darmstädter Akademie spricht, das man oft in Ihren Helden findet und in Ihren Figuren, dieses Gen hatten Sie von Anfang an selbst, nicht wahr?

Hoppe: Ich bin mir gar nicht so sicher, ob ich das hatte oder ob ich es habe. Es hat sich da so eine Art Mythos von der reisenden Schriftstellerin ausgebreitet, das hat sicher mit der Schiffsreise zu tun – aber mein Leben und Arbeiten würde ich eigentlich als Gegenbewegung beschreiben, nämlich ein Hinausgezogensein und zugleich auch ein Zu-Hause-bleiben-Wollen. Und ohne dieses Zu-Hause-bleiben-Wollen, glaube ich, könnte man gar kein Schriftsteller sein. Man muss halt doch drinnen sitzen und dort seine Dinge tun, und es ist ein Angezogen- und auch ein Abgestoßensein vom Reisen. Das Reisen ist anstrengend, aber es ist der Moment der Bewegung, der mir beim Schreiben wichtig ist – und dazu hilft das Reisen.

Scholl: Warum viele Kritiker Sie auch mögen, Frau Hoppe, liegt daran, dass Sie eine literaturhistorisch sehr gebildete Frau sind, da steckt ganz viel Geist, Zitat, literarische Anspielung in Ihren Texten. Sie sind studierte Literaturwissenschaftlerin – was bedeutet denn so diese Kenntnis der großen Literatur ja für das eigene Schreiben?

Hoppe: Also da muss ich ganz ehrlich sagen, dass ich im Vergleich zu vielen anderen, auch Kollegen und Kolleginnen, die ich kenne und schätze, dann doch eher zu den Unbelesenen gehöre – ich bin ja eine Schmalspurgermanistin mit amerikanischem Examen. Natürlich habe ich vieles gelesen, aber ich glaube, dass das Selberschreiben bedeutet, dass man letzten Endes auch immer wieder kurzfristig vergessen muss, was man gelesen hat, sonst ging es gar nicht. Also wenn das eigene Schreiben nur noch ein Anspielungssystem auf das, was man gelesen hat, wäre, dann würde es nicht gelingen, dann hätte es keinen eigenen Kern, dann wäre es sozusagen nur so eine Art literarisches Rätselspiel.

Scholl: Wenn man Ihre literarische Biografie verfolgt, dann wirkt sie von außen wie so ein steter, mit ganz viel freundlicher Aufmerksamkeit auch begleiteter Weg zum Erfolg. Ich kann mich zum Beispiel an gar keinen Verriss erinnern oder ein richtig böses Wort über Sie, Frau Hoppe, und vermutlich werden wir morgen in vielen Zeitungen lesen: Ja, ganz prima Entscheidung, es lag ja in der Luft. Sind Sie so etwas wie vielleicht ein literarisches Glückskind, fühlen Sie sich selbst so?

Hoppe: Das ist eine sehr, sehr schwierige Frage. Ich fühle mich in dem Sinn als Glückskind, als ich natürlich sagen kann, es ist mir sicherlich nicht viel Böses widerfahren. Es gibt übrigens einige sehr knackige Verrisse, aber die gehören wirklich der Minderheit an. Es gibt aber auch große Distanz, und es gibt aber einen Respekt vor diesem Hoppe-Kosmos, und das ist für mich eigentlich das Wichtigste. Also es geht gar nicht darum, gefällt es oder gefällt es nicht, aber dass einer Welt, mit der auch nicht jeder etwas anfangen kann, ein Respekt entgegengebracht wird, und in diesem Sinn, im Sinne dieses Respektes bin ich ein absolutes literarisches Glückskind.

Scholl: Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit der Schriftstellerin Felicitas Hoppe, sie erhält in diesem Jahr den Büchnerpreis, die bedeutendste literarische Auszeichnung hierzulande. Was bedeutet Ihnen eigentlich Georg Büchner, Frau Hoppe?

Hoppe: Georg Büchner ist natürlich ein Autor, den jeder kennt. Ich hab hier sofort, als ich die Nachricht erhielt, meinen Georg-Büchner-Band aus dem Regal geholt. Das ist eine Erinnerung natürlich auch an meine Schulzeit, ich habe damals zum Abitur die gesammelten Büchner-Werke geschenkt bekommen von der Schulleitung. Warum genau diese Wahl, weiß ich nicht, aber es gibt einige Sätze von Büchner, die man nicht vergisst. Es gibt den "Lenz", den man nicht vergisst, und da das Werk ja klein und überschaubar ist, ist es etwas, dass wie so eine Art Kern in den anderen Dingen mit drinsteckt. Und das ist eigentlich das, was ich zu Büchner sagen kann.

Scholl: Ich glaube, das, was Sie gerade erzählen, würden wahrscheinlich viele andere Büchner-Preisträger auch von sich sagen: Ich bin zuerst mal ans Regal gerannt und hab meinen Büchner rausgeholt, weil man bei der Verleihung in Darmstadt ja auch immer eine Rede halten muss. Damit verewigt man sich in der Literaturgeschichte, und Büchner muss in irgendeiner Form doch eine Rolle spielen oder spielt meistens eine. Haben Sie schon eine Idee?

Hoppe: Ich habe eigentlich noch keine Idee, beziehungsweise ich bin mir eigentlich relativ sicher, dass ich mich in Sachen Büchner, glaube ich, eher zurückhalten möchte, weil ich denke, hier ist auch Vorsicht geboten. Denn manchmal denke ich, Büchner ist ein Autor, der sehr, sehr für sich steht, der natürlich weder erklärungsbedürftig ist noch irgendwie die Vertretung oder Wiederaufrufung braucht. Und vielleicht ist es in dem Sinn am besten, sich an Büchner zu halten, indem man genau wie er tut, was man für richtig hält und das sagt, was einen selbst ausmacht. Das wäre kein Mangel an Respekt, sondern vielleicht eine besondere Form des Respektes für einen anderen Autor.

Scholl: Der Preisträger darf sich auch immer denjenigen aussuchen, der die Laudatio bei der Preisverleihung auf einen hält. Wünschen Sie sich wen Speziellen?

Hoppe: Nein! Nein, nein. Habe ich, ehrlich gesagt, überhaupt noch nicht darüber nachgedacht, und da muss ich mal gucken, vielleicht wird mir auch jemand angetragen. Ich halte ja die Laudatio sowie auch das Genre der Dankrede für eines der schwierigsten und … mal sehen. Es sollte jemand sein, der es wirklich gerne tut und auf keinen Fall genötigt werden.

Scholl: Bei aller Feierstimmung, Felicitas Hoppe, jeder Schriftsteller wird in diesen Tagen über eine richtig ungute Sache nachgedacht haben und Sie mit Sicherheit auch: Die Debatte über das Urheberrecht ist eskaliert in den letzten Tagen. Es gab einen Aufruf von über hundert Autoren, das geistige Eigentum zu schützen, Ihr Name stand auch ganz vorne auf der Liste. Und jetzt haben anonyme Täter Adresse und Telefonnummer von Ihnen, Frau Hoppe, und anderen Unterzeichnern ins Netz und Sie, ja, gewissermaßen an den Pranger gestellt. Wie reagieren Sie auf diesen Vorgang, wie denken Sie drüber?

Hoppe: Ich habe jetzt erst vor Kurzem darüber erfahren, mir war das gar nicht bewusst, welche Folgen das hatte, weil ich im Moment nonstop auf Lesereise bin und vieles überhaupt nicht mitbekomme. Das ist natürlich ein großes, großes Ärgernis, aber es bestätigt mich eigentlich nur in dem Tun, nämlich in dem Sinn, dass ich diese Unterschrift dort geleistet habe. Ich bin nämlich jemand, der sich zehnmal überlegt, ob er für etwas unterschreibt, und in diesem Fall habe ich überhaupt nicht gezögert. Und es erfüllt mich sogar mit einer gewissen Genugtuung, denn ich kann nur sagen, viel Feind, viel Ehr, und offensichtlich scheinen da ja Leute zu sein, denen das wirklich ein Ärgernis ist.

Und abgesehen davon denke ich, ist es sehr, sehr wichtig, hervorzuheben, was vielen Menschen nicht klar ist, nämlich dass wir doch immer noch als Schriftsteller von einer Infrastruktur eines Verwertungs- und Vertriebssystems profitieren, die außerordentlich ist und von der letzten Endes nicht nur wir Schriftsteller, sondern das gesamte Publikum profitiert. Und da finde ich, ist es einfach wichtig, Flagge zu zeigen. Und ich werde das jetzt weiterverfolgen und gucken, was passiert.

Scholl: Sie reagieren jetzt sehr versöhnlich fast auf diesen Vorgang, den ja doch viele unglaublich finden, und etliche Verleger und Schriftsteller wollen wirklich auch teilweise juristisch dagegen vorgehen. Haben Sie jetzt keine Angst, dass jetzt jeder Dödel, sag ich mal, mit Ihrer E-Mail-Adresse, mit Ihrer Adresse, mit Ihrer Telefonnummer Sie jetzt kontaktieren kann und Sie vielleicht wirklich belästigen?

Hoppe: Na ja, es ist jetzt weniger versöhnlich gemeint als offensiv, was ich gesagt habe, und ich werde das natürlich mit dem Verlag auch entsprechend besprechen und schauen, wie man dann damit am besten umzugehen hat. Natürlich ist das Ganze ja nicht nur ein Ärgernis, sondern es zeigt natürlich auch, dass es da Fronten gibt, die doch relativ unversöhnlich sind. Und was eigentlich das Irritierendste ist: An Argumentation scheint ja kein Interesse zu bestehen. Also das ist etwas, wenn ich’s mal polemisch sagen soll, es verblüfft einen doch auch diese Form der gesteigerten Dummheit, das kann man nicht anders sagen.

Scholl: Freiheit, das war auch das Lebensthema von Georg Büchner. Wäre diese pervertierte Freiheit im Netz nicht vielleicht doch etwas für Ihre Rede im Herbst?

Hoppe: Das ist eine Idee, die mir noch nicht gekommen ist, aber jetzt hab' ich sie.

Scholl: Ich danke Ihnen, Felicitas Hoppe! Sie erhält in diesem Jahr den Büchnerpreis. Wir wünschen Ihnen noch einen wundervollen Tag!

Hoppe: Vielen Dank!



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