Bücherverbrennung 1933

Früher verbrannt, heute verbannt

Historisches Schwarzweißfoto einer großen Menschenmenge, die um einen brennenden Scheiterhaufen herumsteht.
Am 10. Mai 1933 verbrannten Studierende auf dem Berliner Opernplatz (dem heutigen Bebelplatz) Bücher von Autoren, die von den Nationalsozialisten verfemt wurden. © picture alliance / ASSOCIATED PRESS
10.05.2023
Sie war ein entscheidender Schritt auf dem Weg in die totale NS-Diktatur: die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten am 10. Mai 1933. Für die Vernichtung und Zensur von Literatur gab es historische Vorbilder - und auch heute ist sie traurige Praxis.
Am 10. Mai 1933 gehen in deutschen Städten Tausende Bücher in Flammen auf. Die Scheiterhaufen auf öffentlichen Plätzen sind Höhepunkt der Kampagne "Wider den undeutschen Geist", mit der – nur wenige Monate nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 – die systematische Verfolgung jüdischer, oppositioneller und politisch unliebsamer Schriftsteller, Journalistinnen und Wissenschaftler begann.

Was ist am 10. Mai 1933 passiert?

In Berlin und in etwa 20 weiteren deutschen Hochschulorten werden in der Nacht vom 10. auf den 11. Mai 1933 Tausende Bücher verbrannt. Organisiert werden die Verbrennungen von der Deutschen Studentenschaft (DSt), dem nationalsozialistisch dominierten Dachverband der studentischen Selbstverwaltung. Viele der an den Bücherverbrennungen Beteiligten tragen Uniformen von SA und SS, der paramilitärischen Organisationen der Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP).
Auf den Scheiterhaufen landen Werke zahlreicher bekannter Schriftsteller, Journalistinnen und Wissenschaftler; unter anderem von Bertolt Brecht, Erich Kästner, Alfred Döblin, Anna Seghers, Erich Maria Remarque, Else Lasker-Schüler, Sigmund Freud und Kurt Tucholsky. Nicht im Feuer landen die Schriften von Oskar Maria Graf. Er veröffentlicht aus Protest gegen die Bücherverbrennung am 12. Mai 1933 den Aufruf "Verbrennt mich".
Rund 20.000 Bücher werden allein in Berlin Opfer der Flammen. Zu der öffentlich inszenierten Verbrennung kommen geschätzt 80.000 Menschen am Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz, zusammen, darunter selbst Professoren. Nicht nur die Studierenden beteiligen sich aktiv, auch aus dem Publikum werden Bücher ins Feuer geworfen. Gegen Mitternacht tritt Propagandaminister Joseph Goebbels als Hauptredner auf.

Warum haben die Nazis Bücher verbrannt?

Die Bücherverbrennung ist der Höhepunkt der ebenfalls von der Deutschen Studentenschaft (DSt) initiierten vierwöchigen Kampagne "Wider den undeutschen Geist", die am 12. April 1933 begann. Angekündigt wird die Aktion als: „Öffentliche Verbrennung jüdischen zersetzenden Schrifttums durch die Studentenschaften der Hochschulen aus Anlass der schamlosen Hetze des Weltjudentums gegen Deutschland.“ Alles „Undeutsche“ solle dem Feuer übergeben werden.
Reichsweit werden „Zwölf Thesen wider den undeutschen Geist“ plakatiert. Sie umfassen unter anderem die Forderung, die deutsche Sprache müsse „reiner und unverfälschter Ausdruck“ des deutschen „Volkstums“ sein. Die deutsche Hochschule wird zur „Kampfstätte aus der Kraft des deutschen Geistes“ stilisiert.
Die Bücherverbrennung richtet sich jedoch nicht nur gegen jüdische, sondern auch gegen sozialistische und liberale Autorinnen und Autoren sowie gegen andere Gegner der Nationalsozialisten und deren Theorien und politische Positionen. Das machen die sogenannten Feuersprüche deutlich, mit denen Bücher auf die Scheiterhaufen geworfen werden.
Vor dem 10. Mai hatten Studierende „verbrennungswürdige“ Literatur in Bibliotheken und Buchläden aussortiert und eingesammelt. Grundlage für ihre Auswahl war eine Schwarze Liste, die der Berliner Bibliothekar Wolfgang Herrmann, ein überzeugter Nationalsozialist, erstellt hatte.

Was waren die Folgen der Bücherverbrennung?

Die Verbrennung ihrer Bücher war für viele damals in Deutschland lebende Schriftstellerinnen, Journalisten und Wissenschaftler der Auftakt für starke Repressionen. Unter anderem verhängten die Nationalsozialisten Schreibverbote, vertrieben Autoren aus dem Land, andere entschieden sich selbst zur Flucht. Rund 2.000 Schriftstellerinnen und Schriftsteller gingen ins Exil, einige wurden verhaftet, gefoltert und ermordet; andere begingen Suizid.
Die Folge für viele Autorinnen und Autoren: Sie gerieten in Vergessenheit, teilweise bis heute.

Gab es vor 1933 schon Bücherverbrennungen?

Mit der Verbrennung von Büchern griffen die Nazis eine jahrhundertealte Praxis auf.
Belege für Bücherverbrennungen gibt es etwa aus China um das Jahr 200 vor Christus. In Europa ließ der römische Kaiser Diokletian (284-305) einige Jahrhunderte später Schriften der Christen verbrennen, und während des gesamten Mittelalters ordneten Kaiser oder Bischöfe regelmäßig die Vernichtung von Schriften an, die als häretisch angesehen wurden. So wurden im Jahr 1242 auf Anordnung der katholischen Kirche jüdische Bücher aus ganz Westeuropa nach Paris gebracht und auf einem großen Scheiterhaufen angezündet.
Auch in der Frühen Neuzeit werden auf diese Weise immer wieder Schriften vernichtet. Aus Deutschland sind öffentliche Verbrennungen aus Köln im Jahr 1776 sowie aus Hamburg, Ulm und Dresden bekannt. Dabei wurden unter anderem Schriften des französischen Philosophen und Schriftstellers Voltaire und des antiken römischen Dichters Ovid verbrannt.
Auf dem Wartburgfest 1817 übergaben radikale Burschenschafter "reaktionäre" und "undeutsche" Schriften dem Scheiterhaufen. Ein Ereignis, auf das sich die nationalsozialistischen Studierenden bei ihrer Bücherverbrennung 1933 explizit beriefen.

Gibt es heute noch Bücherverbrennungen?

Bis heute werden immer wieder Bücher oder andere geistige Werke vernichtet oder zumindest aus Büchereien und Bibliotheken entfernt oder verbannt. Zwar kann diese Art der Zensur keinesfalls gleichgesetzt werden mit der NS-Bücherverbrennung von 1933. Doch die Beweggründe dahinter sind teils ähnlich: Bestimmte Ideen, Vorstellungen oder Gedanken sollen nicht für jeden zugänglich sein. Hier einige Beispiele, wie Gruppen oder Regierungen heutzutage versuchen, den öffentlichen Zugriff auf aus ihrer Sicht missliebige Bücher zu unterbinden.

Verbannung und Verbrennung in den USA

In den USA versuchen vor allem konservative Gruppen seit einigen Jahren verstärkt, bestimmte Bücher - insbesondere zu Themen wie Sexualität und Geschlechtsidentität - aus öffentlichen Bibliotheken und Schulbüchereien zu verbannen. Im vergangenen Jahr wurden laut dem US-Bibliothekenverbund ALA mehr als 2500 Bücher beanstandet. Das seien fünfmal so viele wie 2019. Im Jahr 2022 habe es demnach so viele Anträge auf Entfernung von Büchern aus Bibliotheken und Büchereien gegeben wie noch nie seit Beginn der Dokumentation vor 20 Jahren.
In den USA landete in der jüngeren Vergangenheit aber auch Literatur im Feuer. So verbrannten etwa 2001 christliche Fundamentalisten „Harry Potter“-Bücher der Kinder- und Jugendbuchautorin Joanne K. Rowling oder Werke des englischen Dramatikers William Shakespeare. Die Begründung: Die Darstellung von „Hexen- oder Satansriten“ könnte Kinder negativ beeinflussen. Einige Jahre später überantworteten ehemalige Rowling-Fans deren Werke ebenfalls den Flammen - diesmal wegen transphober Äußerungen der Autorin.

Russland zensiert "extremistische Inhalte"

In Russland geht die Regierung gegen aus ihrer Sicht „extremistische Inhalte“ vor. Die zu zensierenden Inhalte werden vom Justizministerium auf einer Liste festgehalten, die auf Gerichtsentscheidungen basiert. Sie umfasst inzwischen mehr als 4.000 Titel, darunter auch Bücher – vor allem solche mit nationalsozialistischen und islamistischen Inhalten, wie an der Universität Kassel festgestellt wurde. Die dort geführte „Kasseler Liste“ umfasst derzeit rund 120.000 Titel verbotener Literatur weltweit.
Einfluss auf die Publikation von Büchern in Russland dürfte auch das Ende 2022 verschärfte Gesetz gegen „LGBT-Propaganda“ haben. Damit wird das seit 2013 bestehende Verbot einer Verbreitung von "Propaganda für nichttraditionelle sexuelle Beziehungen", das erst nur in Bezug auf Minderjährigen bestand, auch auf Erwachsene ausgeweitet. Aufgrund des Verbots sind bereits zahlreiche Kinderbücher in Russland nicht mehr erhältlich.
Insgesamt erfolgt die Zensur jedoch sehr willkürlich und es gibt letztlich keine klaren Kriterien. Aus Moskau wurde zuletzt berichtet, dass Bücher regierungskritischer Autoren, die vom Kreml als „ausländische Agenten“ eingestuft wurden, aus Buchläden und Büchereien entfernt worden seien. Verlage, Bibliotheken und Buchhandlungen üben aber auch immer wieder Selbstzensur. So hat etwa ein Verlag einen Roman des Autors Max Falk in Teilen geschwärzt.

Kiew verbietet russische Bücher

Die Ukraine führte in Folge des russischen Angriffskriegs Beschränkungen für Kulturgüter ein, darunter auch Literatur. Das im Sommer 2022 verabschiedete Gesetz soll die "Entrussifizierung" der Ukraine vorantreiben und verbietet unter anderem alle Bücher in russischer Sprache. Sie dürfen nicht mehr ins Land eingeführt werden. Ausgenommen sind Werke, die nicht in Russland oder Belarus erschienen sind und keinen antiukrainischen Inhalt haben.
Zudem ordnete die Regierung in Kiew im Mai 2022 an, russischsprachige „Propaganda-Literatur“ aus den Bibliotheken zu entfernen. Darunter fallen demnach etwa Texte, die den russischen Krieg gegen die Ukraine leugnen oder die territoriale Integrität des Landes infrage stellen. Millionen Bücher sollen seither aus Bibliotheken verschwunden sein.
Quellen: Gode Japs, Deutsches Historisches Museum, KNA,  Universität Erlangen-Nürnberg, Bundeszentrale für politische Bildung, Deutscher Bundestag, Deutschlandfunk Kultur, Universität Kassel, Florian Kellermann, Sabine Adler, Verchovna Rada Ukraini, Sigrid Brinkmann, abr