Bücherhotel und Buchpaket

Von Heinz-Jörg Graf und Susanne von Schenk · 17.04.2007
Im Gutshotel in Groß Breesen, einer 60-Seelen-Gemeinde in Mecklenburg-Vorpommern, findet der Gast bis zu 80.000 Bücher in den Hotelzimmern, in Gängen, in Kellern und in Scheunen. Ein Gast, der zwei Bücher mitbringt, darf eines nach Hause mitnehmen.
Lesung: " Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Leute, wie dieser Kerl vergiften einem das ganze Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen, bloß, weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht´s mir aber wirklich. Und so stürmt er hinüber, läutet. Der Nachbar öffnet, lächelt, doch noch bevor er guten Tag sagen kann, schreit ihn unser Mann an: Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel. "

Im Frühstücksraum des Gutshotels Groß Breesen in Mecklenburg-Vorpommern liest Konny Weiss, die Hoteldirektorin, aus der "Anleitung zum Unglücklichsein" von Paul Watzlawick. Ein Mann will ein Bild aufhängen, den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Er will sich das Werkzeug vom Nachbarn ausleihen. Aber was ist, wenn der Nachbar ihm den Hammer nicht leihen will? Die Zuhörer, Männer und Frauen einer Elektrofirma, die im Gutshotel zu einem Teamentwicklungswochenende angereist sind, lachen anerkennend.

Vorlesestunden sind im Gutshotel Groß Breesen üblich. Es ist ein Bücherhotel, das 1. Bücherhotel Deutschlands. Viele Regalmeter unterschiedlichster Druckwerke sind hier gelagert und überall im Haus ausgestellt: in den Gängen, auf den Zimmern, auch draußen in der Scheune. Jeder Gast soll, wann und wie es ihm beliebt, zugreifen können. 300.000 Bücher haben Hausgäste einmal gezählt und dann mit dem Zählen aufgehört. Über ihre Gäste erzählt Konny Weiss:

" Viele ... kommen im Sommer ... erstmalig hier her und beschließen dann, im November unbedingt wiederzukommen, weil ... dann genau das Wetter ist, was sie brauchen, wenn es bei uns im November hier kalt ... und grau ist, dann kommen die Bücherwürmer ja so richtig ans Tageslicht und dann sitzen sie in allen möglichen Ecken ... in der Bibliothek, im Wohnzimmer, in den Bücherstuben, trinken morgens schon ihr Gläschen Rotwein ... und lesen. ... wenn man sich dort trifft und einer sitzt auf dem einen Sofa und der andere sitzt auf dem anderen Sofa und überall ist es kuschelig warm, dann reden die auch miteinander über die Bücher ... irgendwann liest man sich vor, irgendwann unterhält man sich über das, was man gelesen hat ... oder wir sitzen beim Essen plötzlich in großer Runde, obwohl wir uns am Morgen alle noch nicht gekannt haben. "

Die Bücher im Gutshotel Groß Breesen stehen unsortiert in den Regalen. Ein Affront für manche Besucher, die gewohnt sind, zielgerichtet nach ihrer Lektüre
zu suchen. Das ist im 1. Bücherhotel Deutschlands nicht möglich. Hier muss man sein Wollen und Streben loslassen, hier kann man keine Bücher finden, sondern sich nur von ihnen finden lassen. Von den "Armenischen Jagderzählungen" zum Beispiel, den "Schnellen Frisuren für Mädchen" oder dem "Neuen Testament". Vielleicht sind auch die "Lebenserinnerungen von Yehudi Menuhin" spannend oder die "Kleine Enzyklopädie über die Frau". Mmh! Vielleicht doch besser das "Wintermärchen" von Heinrich Heine? Die Lektürevielfalt zieht die meisten Gäste in den Bann, aus dem sie erst erwachen, sobald ihnen ein Titel ins Auge springt. Dann greifen sie zu. Wenn ein Packen Bücher beieinander ist, trollen sie sich fort, verziehen sich in eine Leseecke, beginnen, zu schmökern und vergessen oft die Zeit.

" Mir geschah das einmal, da war die ganze Gesellschaft zum Essen schon da und einer fehlte und den haben wir gesucht, der saß tatsächlich in der Bibliothek in einer Ecke, völlig vertieft in sein Buch und als wir auf den Titel schauten, da war das Margret Honecker, und der lachte selber darüber, das hätte der nie gelesen von alleine, aber es war dran. "

Die Bücherberge in Groß Breesen wachsen und wachsen. Das liegt an dem Tauschprinzip. Ein Gast, der zwei Bücher mitbringt, darf eins nach Hause mitnehmen. An manchen Wochenenden kommen bis zu dreieinhalbtausend Bücher im Gutshotel an. Nicht alle können dort untergebracht werden. Viele werden erst einmal in der Scheune abgestellt. Manchen Besucher trifft dort der Schock. Neben den Regalen liegen – lose und in Kisten verpackt -, haufenweise Bücher auf dem Boden herum, wie acht- und lieblos gewordene Dinge auf einer Müllhalde. Ein merkwürdiger Kontrast zum gepflegten Ambiente des Hotels.

Konny Weiss zuckt bedauernd die Achseln. Wenn der Bücherandrang groß sei, fehle einfach die Zeit zum Bauen neuer Regale und Einräumen der Bücher. Manchmal greifen Hotelgäste schon selbst zu Hammer und Schraubenzieher und helfen mit. Das Chaos in der Scheune scheint Bücherflaneure aber nicht von Streifzügen abzuhalten, auch im Winter nicht. Am Eingang liegen Handschuhe bereit und Zeitungspapier. Daraus werden Sohlen gefaltet und in die Schuhe gelegt, damit die Füße nicht kalt werden.

Das Bücherhotel in Groß Breesen lockt auch Schnäppchenjäger an.

" Die Philosophie des Hauses ist ..., Bücher zu tauschen und sich in diesem Ambiente der Bücher wohlzufühlen und sich einfach fallenzulassen und bei sich selbst einmal anzukommen. Das ist das, was ... mit Herz und Seele leben. Die anderen ... das sind ganz oft die Flohmarktjäger ... das sind diejenigen, die versuchen, aus dem Buchbestand, den wir ... haben und pflegen, Geld zu schlagen ... die bringen uns zum Teil das, was sie nirgendswo mehr loswerden, was auch so aussieht und riecht, und da sie ja tauschen können, zwei zu eins, nehmen sie sich gute Bücher wieder mit und verkaufen die auf dem nächsten Flohmarkt ... "

Konny Weiss hat Deutsch und Russisch in Güstrow studiert, einem Städtchen, zwischen Rostock und Berlin gelegen. Sie wollte promovieren. Doch der Doktorhut wurde ihr verweigert; die Studentin war nicht bereit, Genossin zu werden. Dann kam die Wende. Zunächst machte sich die Lehrerin als Reiseunternehmerin selbstständig. Sie stellte sich in Güstrow auf den Markt und hängte sich ein Schild um: "Ich bin ein Reisebüro." Das Reisebüro florierte und der Radius der Reisen erweiterte sich. In England lernte Konny Weiss das Bücherdorf Hay-on-Wye in der Nähe von Oxford kennen. Sie war begeistert. Irgendwas mit Büchern wollte sie auch unternehmen. Langsam nahm die Idee eines Bücherhotels Gestalt an. Die belletristische Grundausstattung dazu erhielt Konny Weiss ausgerechnet von ihrer alten Alma Mater, der Pädagogischen Hochschule in Güstrow, als die ihre Bibliothek auflöste.

Das Bücherhotel ist gut gebucht – dank der Kreativität seiner Chefin.

" Im vorletzten Jahr haben wir ein großes Dalí-Wochenende gemacht, wo wir Original Dalí-Rezepte gekocht haben, zwei Drittel waren essbar, ein Drittel davon nicht, waren nur verkostbar ... wir haben Wochenenden gestaltet zu Tucholsky und Kästner ... zu Harry Potter ... wobei das Haus ... inzwischen ... gut gebucht ist und die Leute bis aus dem Ruhrpott herreisen ... und wir haben ein Highlight jedes Jahr, das ist unsere Silvesterfeier ... drei Tage lang und hat jedes Mal ein literarisches Thema. Dieses Jahr war es Umberto Eco, der Name der Rose ... und dieses Jahr wissen wir, dass wir uns ins Reich der Feen ... Trolle ... Kobolde und Wichtelmänner begeben, aber das literarische Thema steht noch nicht. "

Mit ihren Ideen und ihrer Herzlichkeit, die natürlich und unaufgesetzt wirkt, hat Conny Weiss inzwischen nicht nur ihre Gäste hinter sich gebracht, sondern auch das Dorf. Groß Breesen hat etwa 60 Einwohner. Die, die Arbeit haben, müssen dafür weit fahren. In Zukunft soll auch Geld im Dorf verdient werden. Einige Dorfbewohner wollen Kurse im Papierschöpfen anbieten oder im Buchbinden.

" Das gesamte Dorf hat sich am Lagerfeuer hier bei uns auf dem Hof getroffen und sie sind auch wirklich alle gekommen und wir haben erzählt, was wir vorhaben, welche Visionen wir haben mit dem Dorf und seitdem ist es ... so, dass die ganz dicht zusammengerückt sind und überlegen, was sie ... tun können ... und was das Schöne ist, dass die Jugend sich auch zusammenrauft und ... herkommt und der größte Respekt, den sie einem ... zollen, ist, dass alles heil bleibt, auf dem Hof, in den Häusern, wir leben ja Tag und Nacht offen ... dass sie zeigen, dass sie Respekt haben vor unserer Arbeit und auch mitmachen möchten. "

Die Männer und Frauen, die zu einem Teamentwicklungswochenende in Groß Breesen angereist sind, ruhen sich abends am Lagerfeuer aus. Am Nachmittag haben sie mit Konny Weiss draußen in der Landschaft eine Bücherralley veranstaltet. Rainer Schmidt berichtet über eine Aufgabe, die das Team näher zusammengebracht hat:

" Wir waren plötzlich mit Literatur konfrontiert ...und wenn ich ehrlich bin, wir hatten zuerst alle so ein bisschen Ressentiments, was kommt da auf uns zu und wir wurden ... immer lockerer ... dann haben wir aus Titeln eine Geschichte formuliert. Wir haben einen Kilometer lang vier Bücher getragen, ja, das war echt schwere Literatur und am Ende mussten wir aus den Titeln eine Geschichte formulieren ... der Gaudi war enorm ... Plötzlich haben wir auch gemerkt, dass Literatur richtig Spaß machen kann "

Während in Groß Breesen an einem Bücherparadies gestrickt und gewebt wird, schrumpft im Land Mecklenburg-Vorpommern die Zahl der öffentlichen Bibliotheken. Weil kein Geld da ist, werden Büchereien zusammengelegt und Fahrbibliotheken, wenn die Busse ausgedient haben, nicht erneuert. Bücher werden nur noch dosiert angeschafft. Im öffentlichen Raum verkümmert das Bibliothekswesen. Es aufzufrischen, täte not. Vielleicht sollten die Verantwortlichen einmal das 1. Bücherhotel Deutschlands in ihrem Bundesland besuchen. Sie bekämen eine Ahnung, was Leselust ist und wie man sie entfachen kann – auch bei knappen Mitteln.

Das Projekt "Buchstart" in Hamburg

In England ist es ein großer Erfolg: "bookstart". "Alle Kinder sollen die Chance haben, mit Büchern aufzuwachsen!", hatte Wendy Cooling, eine unermüdliche Aktivistin in Sachen Leseförderung, bereits 1992 in England gefordert. Was als Privatinitiative begann, ist zu einem Projekt der britischen Regierung geworden. Bücher für alle. Von Anfang an! Die Kulturbehörde der Hansestadt Hamburg hat sich "Bookstart" nun zum Vorbild genommen und im Januar "Buchstart" ins Leben gerufen - um allen Hamburger Kindern den frühen Kontakt zu Büchern zu ermöglichen. Buchstart-Taschen, gefüllt mit Büchern und nützlichen Tipps, werden an Eltern verteilt. Denn Kinder, die von Anfang an mit Büchern aufwachsen, sind im Vorteil, vor allem beim Spracherwerb. Susanne von Schenck hat sich den Hamburger "Buchstart" angeschaut.

Samira und ihre zehn Monate alte Tochter Amelia sind zur U6, zur Standarduntersuchung für Kinder zwischen neun und zwölf Monaten, beim Kinderarzt. Mutter und Tochter stammen aus Quebec und leben erst seit wenigen Monaten in Hamburg. Sie haben Glück: Hans Ulrich Neumann spricht französisch. Zusammen mit zwei Kollegen betreibt der Mittfünfziger eine große Kinderarztpraxis im Hamburger Stadtteil Eimsbüttel. Statt eines Warteraums eine Spielwiese mit gelbem Kletterhäuschen, statt nüchterner Behandlungsräume helle Zimmer voller Plüschtiere, bunter Bilder und Bücher.

Hans Ulrich Neumann, leger mit kariertem Hemd und heller Cordhose gekleidet, strahlt genauso wie die kleine Amelia, als er das Buch "Finn, der Fuchs" aus der Tasche zieht. Ein kleines, lustiges Plüschwesen, eine Fingerpuppe, schaut mitten aus dem Buch heraus und lässt sich bewegen. Das quadratische Büchlein ist neben mehrsprachigen Tipps zum ‚Umgang mit Büchern Teil der Buchstart-Tasche, die der Kinderarzt verteilt. Denn Hans Ulrich Neumann, Vorsitzender des Hamburger Landesverbandes der Kinder- und Jugendärzte, drückt jeder Mutter bei der Untersuchung ihres Kindes einen solchen bedruckten Leinenbeutel in die Hand, wie auch seine 140 Kollegen in der Stadt.

Neumann: " Was will denn ein Kind mit einem Jahr schon mit einem Buch? Das kann ja noch gar nicht lesen. Natürlich kann es nicht lesen, aber es kann vorgelesen bekommen und dieses Vorlesen führt eben dazu, dass die Kinder Sprache lernen, in der Regel sind sie dabei auf dem Arm, sie knuddeln mit Mutter oder Vater, ein intensiver Körperkontakt ist da…. Sprache und Bild wird zusammengeführt und das ist das Medium Buch, das begleitet sie dann hoffentlich auch durchs ganze Leben. "

Den Spracherwerb so früh wie möglich fördern – das ist das Ziel der Hamburger Kulturbehörde. Untersuchungen haben ergeben, dass 20 bis 30 Prozent der Grundschulkinder massive Sprachdefizite haben. In zwei Dritteln aller Familien spielt das Vorlesen keine Rolle mehr. Das entscheidende Alter, in dem die Weichen für den Spracherwerb gestellt werden, so Kinderpsychologen, liege zwischen einem und drei Jahren. Genau an diese Altersgruppe richtet sich "Buchstart", bei dem Kinder spielerisch schon früh mit Büchern – und dadurch mit Sprache - vertraut gemacht werden sollen.

Die Fäden von "Buchstart" laufen im Hamburger Literaturkontor zusammen. Die kleine Agentur liegt im vierten Stock der Hamburger Zentralbibliothek. Drei engagierte Frauen betreuen dort im Auftrag der Kulturbehörde das Projekt. Annette Huber, selbst Kinderbuchautorin, ist eine von ihnen.

Huber: " Natürlich wird es so sein wie mit allen neuen Sachen, dass zuerst diejenigen kommen, die sowieso schon ein Vorwissen haben in dem Bereich, dass zuerst die Mütter kommen, die ohnehin schon zu Hause einen großen Korb mit Bilderbüchern haben und was überhaupt nicht schlimm ist – wir freuen uns über jeden, aber wir würden uns besonders auch freuen, wenn wir im Laufe der Zeit Gruppen auf Türkisch, auf Dari, also afghanisch, also die verschiedenen Sprachen, die in Hamburg gesprochen werden, auch Angebote machen können, dass wir auch viele Mütter erreichen, die aus diesen Familien kommen. "

Allein in den ersten zwölf Monaten des auf sechs Jahre angelegten Projekts sollen 16.000 Buchstart-Taschen über die Kinderarztpraxen verteilt werden. Die Idee ist erfolgversprechend. Denn über den Kinderarzt ist die größte Erreichbarkeit garantiert: 95 Prozent aller Kinder zwischen neun und zwölf Monaten nehmen an der ärztlichen Untersuchung teil, Kinderärzte sind Vertrauenspersonen, und ihre Empfehlung wird meist angenommen. Bisher jedenfalls sind die Rückmeldungen sehr positiv. Bücherhallen, gemeinnützige Einrichtungen oder Stadtteilzentren arbeiten ebenfalls bei Buchstart mit.

Nur sieben Minuten dauert die S-Bahn Fahrt vom Hamburger Hauptbahnhof über die Elbe auf die Veddel. Die Veddel hat einen schlechten Ruf in Hamburg: ein Problemviertel, heißt es, in dem vor allem Migranten leben, fast 5000.

Beinahe dörflich wirkt es dort: die begrünten Straßen mit den für Hamburg so typischen roten Backsteinbauten sind gepflegt. Vor dem Bistro sitzen ein paar Männer in der Sonne, der türkische Gemüseladen ist geöffnet und am Straßenrand poliert ein Anwohner seinen Wagen. Vor allem türkische, russische, arabische und afrikanische Sprachen sind zu hören.

Im Immanuelstieg liegen die Räumlichkeiten des Vereins "Veddel Aktiv", des Stadtteilladens. Am Fenster zahlreiche Zettel: der Mieterverein lädt zu einem Treffen ein, der Jungs-Leseclub ebenfalls, ein afrikanischer Trommelkurs startet demnächst. Ganz in der Nähe befindet sich die Bücherei.

Lammar: " Die deutschen Familien, die es hier noch gibt, sind eher Unterschicht Familien, und wir haben hier im Wesentlichen mit etwas gebildeteren migrantischen Familien zu tun, man muß schon sagen, dass die Menschen, die bei uns in die Bücherhalle kommen, eher zu denen gehören, die eine höhere Schulbildung in den Heimatländern hatten und ein sehr hohes Interesse daran haben, dass die Kinder schulisch und sprachlich optimal gefördert werden. "

Francine Lammar ist Geschäftsführerin des Vereins Veddel Aktiv. Sie hat auch darum gekämpft, dass die Bücherei in der Slomannstraße nicht Opfer von Sparmaßnahmen wurde – mit Erfolg. Inzwischen ist sie zu einem wichtigen Anlaufpunkt in dem an Abwechslungen armen Stadtteil geworden. Dort sind ab Mai auch Aktionen zu Buchstart geplant.

" Dies Buchstart-Programm setzt ja eigentlich voraus, dass dies ein Wissen ist, über das jeder verfügt: die Tatsache, dass es wichtig ist, Gute Nacht Geschichten vorzulesen oder wie man sie vorzulesen hat. Das ist deutschen Mittelschichtmüttern selbstverständlich klar und wir machen die Erfahrung, dass man wirklich viel erklären muß und die Frauen auch sehr unsicher sind, ob sie überhaupt in der Lage sind, schön vorzulesen und wir haben auch überlegt, dass wir das trainieren werden, wenn wir jetzt mit dem Buchstart Programm anfangen. "

Das Vorbild für die Hamburger Buchstart Aktion, das englische "Bookstart" Projekt, hat sich bewährt. Fast 90 Prozent aller Kinder werden damit erreicht. Fest steht: Wer bei Bookstart mitmacht, hat deutlich bessere Sprachfähigkeiten als Nichtteilnehmer. Der Erfolg mag die britische Regierung auch dazu bewogen haben, diese Form der Leseförderung staatlich zu finanzieren. In Hamburg gibt der Senat, zusammen mit dem Verlag Gruner und Jahr, 350.000 Euro für "Buchstart", die Bücher liefern die Verlage zum Selbstkostenpreis.

Auch in der Hansestadt wird das Projekt wissenschaftlich begleitet, unter anderem von Professor Michael Schulte-Markwort. Er ist ärztlicher Direktor der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychosomatik am Universitätskrankenhaus Hamburg Eppendorf.

Schulte-Markwort: " Also wenn man die Ergebnisse aus England ernst nimmt und wenn man das überträgt, dann kann man schon davon ausgehen, dass erstens eine globale Bücherfreundlichkeit bei den Kindern und den Familien erzeugt wird, das ist an sich ein positiver Effekt, den wir uns ja alle gerne wünschen und darüber hinaus gibt es tatsächlich Hinweise, dass diese Kinder, denen mehr vorgelesen wird, das ist ja im wesentlichen der Effekt, dass diese Kinder auch mehr Interesse an Büchern haben, dass dann auch selber mehr lesen, ne bessere Sprachentwicklung haben und sich insgesamt sich kognitiv besser entwickeln. "

Dienstagnachmittag im Stadtteilzentrum Kölibri auf St. Pauli, nicht weit von der Reeperbahn entfernt. In dem großen Raum mit den ockerfarben gestrichenen Säulen stehen Tische und Sitzgelegenheiten am Fenster, eine moderne Bar gehört auch zur Einrichtung. An den Wänden Regale voller Bücher. Denn das Kölibiri versteht sich vor allem als Lesecafe für die Anwohner.

Ein paar Mütter mit ihren Kindern sind schon eingetroffen. Während der Kaffee noch durch die Maschine läuft, stellen sie Obst und Kekse auf den langen Tisch. Dana, die um die Ecke wohnt, hat sich schon hingesetzt, ihr Sohn Miguel schläft noch in der Kinderkarre.

" Also mit Müttern von hier, die hierher kommen, wir haben da alle so dieselben Richtungen schon, wir lesen viel, aber andere Bekannte, die Kinder haben, da seh ich das nicht so. "

Von Buchstart hat Dana noch nicht gehört. Die Idee findet sie gut. Eine Buchstart-Tasche hätte sie auch gerne, aber ihr Sohn Miguel hat die U6, die Standarduntersuchung für Kinder zwischen neun und zwölf Monaten, schon hinter sich. Dana kauft meist die Bücher für ihn auf dem Flohmarkt, andere kann sie sich nicht leisten. Um so mehr freut sie sich über Anregungen aus dem Lesecafe.

"Gedichte für Wichte" –Tatiana Köhne, die das Kölibri-Lesecafé in St. Pauli betreut, möchte den Müttern und Kindern das neue Lied von "Buchstart" beibringen – eine Einladung zu Gedichten und Fingerspielen. Die Erzieherin hat schon viel Erfahrung mit früher Leseförderung gesammelt und hofft auf zahlreiche Teilnehmer der Buchstart Aktionen. Im Lesecafe selbst liegen dazu schon Flyer aus, Plakate sollen folgen. Meistens kommen deutsche Mütter zu ihren Treffen, aber Migranten, die vor allem auf St. Pauli wohnen, sind selten. Dabei richtet sich Buchstart besonders an Familien mit Migrationshintergrund. Die zu gewinnen, so Tatiana Köhne, ist die große Aufgabe des nachahmenswerten Projekts.

" Gerade in den türkischen Familien gibt es meistens gar keine Bücher zu Hause. Es gibt vielleicht mal den Koran, aber es gibt auch keine türkischen Bücher. Das Buch gehört in die Schule. Hier zum Familiencafe kommen auch wenige Familien mit migrantischem Hintergrund. Wir versuchen immer wieder, sie anzusprechen, sie bleiben aber auch viel unter sich, sind aber offen dafür, freuen sich, wenn wir sie ansprechen, aber ich glaube, es braucht noch etwas Zeit, bis sie wirklich kommen. "