Buddhistische Meditation

Die Dinge annehmen, statt gegen sie anzurennen

07:27 Minuten
Silhouetten von sitzenden Menschen, die während der Dämmerung auf einer Düne meditieren.
Viel Kraft geht dabei verloren, dass wir versuchen, das Unabänderliche zu verändern, sagt die Buddhismus-Lehrerin Sylvia Kolk. © picture alliance / Godong / Philippe Lissac
Von Mechthild Klein · 31.10.2021
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Annehmen, was ist – diese Idee gibt es auch in Teilen der buddhistischen Meditationspraxis. In der Achtsamkeitsmeditation wird ein Erkenntnisvorgang eingeübt, der auf Annahme und Akzeptanz beruht. Um dann mit den Erkenntnissen zu arbeiten.
Die Buddhismus-Lehrerin Sylvia Kolk unterweist seit 25 Jahren Schülerinnen und Schüler in Achtsamkeit. Sie sagt, Annehmen sei im Grunde ein wesentlicher Schritt, um das, was ist, überhaupt wahrnehmen zu können:
"Wenn Buddha heißt, der Erwachte, dann ist das ein Erwachen in die Realität. Und wir erwachen auch in das, was jetzt ist in diesem Moment. Die Wirklichkeit sehen, wie sie werdend ist."
Kolk steht in der Tradition der Theravada-Nonne Ayya Khema und wurde von ihr autorisiert. Auf dem Meditationskissen untersucht man zunächst, welche Gedanken und Gefühle entstehen und vergehen, erklärt Kolk. Es geht um eine Präsenz, ein Gewahrwerden von "ich bin jetzt enttäuscht" oder "ich will das haben" – was auch immer.
Darin sei die Akzeptanz enthalten: "Akzeptieren, annehmen, was da ist, wie es ist. Es erforschen. Und ganz wichtig: nicht identifizieren. Oder loslassen von dieser Identifikation. Das ist der Prozess, der permanent abläuft in der Meditation."
In der Meditation wird zum Beispiel geübt, wenn die Schulter zwickt, dieses Gefühl anzunehmen. Das heißt: beobachten und die ständige Reaktion auf einen Reiz unterbinden. Es ist eine Übung. In der Praxis heißt das irgendwann, dass der eigene Geist die permanente Identifikation durchbricht mit dem, was man ablehnt oder wie man glaubt zu sein.
Daraus kann eine Freiheit erwachsen, das Gefängnis des ganzen Reiz-Reaktions-Mechanismus mit all den eingewobenen Emotionen wie Ablehnen oder Haben wollen zu durchbrechen. Es geht um eine Haltung der Geistesgegenwart, die es ermöglicht, Gewohnheitsmuster abzulegen.
"Diese Präsenz sagt nicht: 'Oh Scheiße! Widerstand!' Oder: 'Oh, so ein blöder Widerstand. Den will ich nicht haben!' Sondern mit Neugier und Interesse: 'Oh, dieser Widerstand! Ja, da ist ein Kampf, da verengt sich was. Das fühlt sich auch unangenehm im Körper an. Und das erschöpft auch!' Und dann merkst du im Grunde, wie es ja auch heißt, das Erkannte. Nur das Erkannte kann sich ändern und ändert sich."

Woher kommen Leid und Frust?

Und dann untersucht man, was die Ursachen für dieses Leid, für diese Frustrationen sind. Wie entstehen die Gefühle Begehren, Ablehnung oder Traurigkeit und wie vergehen sie wieder.
"Buddha hat ja gesagt, ich lehre nur eins: Ich lehre die ganze Frustration, die du hast und wie du davon frei werden kannst. Das Einzige, was ich sozusagen zu vermitteln habe", so Kolk. "Also, wie kommt es denn zu Frustrationen? Haben Frustrationen Ursachen? Denn wenn etwas eine Ursache hat und die Ursache weg ist, habe ich auch die Wirkung nicht mehr."
Frustration ist die moderne Übersetzung für den Pali-Begriff "dukkha". Das heißt, dass das Leben leidvoll und unbeständig ist. Und Buddha lehrte, wie dieses Leiden oder eben die Frustration aufzuheben sei, wie die Ursachen davon beseitigt werden. Über diesen Prozess können aber Missverständnisse entstehen, sagt Sylvia Kolk.
"Wenn wir also sagen, das Annehmen führt auch dazu, dass Menschen auch anfangen, Dinge wie Ungerechtigkeiten gutzuheißen, dass sie vielleicht anfangen, lethargisch zu werden. Ich nehme alles so an, wie es ist. Und da sagt der Buddha: 'Nein!'"

Annehmen heißt nicht, die Dinge laufen zu lassen

Denn nach der buddhistischen Ethik ist man an verschiedene Prinzipien gebunden: Beispielsweise Ahimsa, das heißt, man soll Lebewesen nicht verletzen. Außerdem soll man nicht lügen, nicht stehlen usw. Mitgefühl gegenüber den Menschen und Lebewesen ist ein wesentlicher Teil der Lehre, so Kolk.
"Und natürlich habe ich die Fähigkeit, meine Intelligenz einzusetzen. Und Dinge, die ungünstig laufen, wenn ich sie verändern kann, verändere ich sie. Aber ich habe zuvor innegehalten. Ich habe erkannt, wie der Geist arbeitet. Dass es da gerade sozusagen eine Ablehnung gibt oder ein Begehren."
Achtsamkeit ist zunächst einmal nur eine Methode, eigene Reaktionsmuster zu erkennen und zu durchbrechen. Wenn man die Prinzipien der Ethik außer acht lässt, könnte man auch achtsam klauen oder achtsam andere manipulieren. Davor warnt die Buddhismus-Lehrerin.
"Und dann kommt es auch zu diesen ganzen verdammten Missverständnissen. Wenn es also heißt Annehmen! Annehmen, was ist, wie es ist. Dann macht unser Geist, der nicht praktiziert ist, daraus. "Oh, ich darf nicht mehr ablehnen!" Ja, dann sind wir schon wieder sozusagen im Fettnapf drin."

An den richtigen Stellschrauben drehen

Jeder hat Konzepte, wie das Leben oder auch das Wetter sein soll, sagt Kolk. Und wenn es nicht so verläuft, dann kommt Frust auf. Und viele beginnen dann, an den falschen Stellschrauben zu drehen. Und zwar so:
"Also muss ich gucken, dass ich das Wetter manipuliere, meinen Freund manipuliere, meine Frau manipuliere. Und das ist eben, sagt der Buddha: 'Du bist in einem Gefängnis. Du hast was nicht kapiert. Du musst erst mal gucken, was da eigentlich passiert.' Und wenn du auf Veränderung aus bist; Das Einzige, was du verändern kannst, ist das, was in dir ist. Also deine Reaktion, deine Art und Weise, in Resonanz mit dem Leben zu sein."
Auf diese Weise kann man komplexe Konfliktsituation auflösen. Sylvia Kolk erzählt das Beispiel einer Schülerin, die lange unter der Ablehnung ihrer Mutter gelitten hatte. Die Ablehnung, die die Frau als Kind von ihrer Mutter erfahren hatte, lebte in ihr fort, als ein Gefühl, nicht gut genug zu sein. Am Ende eines langen Prozesses konnte die Frau ihre alte kranke Mutter mit deren eigener Geschichte annehmen. Sie schaffte es, sich aus ihrer Selbstablehnung herauslösen und ihren Frieden damit zu machen.
"Wie viel Kraft geht verloren, indem wir anrennen gegen Dinge, die einfach so sind, wie sie sind! Dann bleibt nichts mehr über für ein Engagement bei den Dingen, wo wir wirklich was ändern sollten."
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