Buchmesse-Direktor: Buchhandel muss Inhalte verkaufen

Moderation: Dieter Kassel · 10.10.2007
Der Direktor der Frankfurter Buchmesse, Jürgen Boos, glaubt, dass vom derzeitigen Umsatzplus in der Buchbranche vor allem der Online-Handel und große Ketten profitieren. Kleinere Unternehmen müssten sich spezialisieren, um zu überleben. Kerngeschäft sei immer noch der Inhalt von Büchern, nicht das Merchandising.
Kassel: Mehr Aussteller, mehr Quadratmeter, mehr neue Bücher und am Ende vermutlich auch mehr Besucher. Die gestern Abend offiziell eröffnete Frankfurter Buchmesse wartet mit neuen Rekorden auf. Und das passt zu einem Trend in der deutschen Buchbranche. Um vier Prozent haben da die Umsätze zugenommen in den ersten drei Quartalen dieses Jahres. Ein Erfolg, den einige in Verbindung bringen mit dem wachsenden Interesse an deutschsprachiger Literatur. Ein Interesse, das nicht zuletzt durch den (vor)gestern verliehenen Deutschen Buchpreis auch im Ausland wächst. Das sagt der Vorstehender des Börsenvereins Gottfried Honnefelder, und das sagte vorgestern hier in unserem Programm auch der Chef des Hanser-Verlages Michael Krüger. Wie groß aber ist das Interesse an deutschsprachiger Literatur auf der größten Buchmesse der Welt? Unter anderem darüber wollen wir jetzt reden mit dem Direktor der Frankfurter Buchmesse Jürgen Boss. Schönen guten Morgen, Herr Boss!

Jürgen Boos: Guten Morgen!

Kassel: Die Frankfurter Buchmesse ist traditionell ja auch eine Geschäfts- und Lizenzmesse. Da haben die Geschäfte längst begonnen in vielen Frankfurter Hotels. Kommen denn inzwischen die Vertreter der ausländischen Verlage auch ganz stark nach Frankfurt, um die Lizenzen deutscher Bücher zu kaufen oder ist es doch eher umgekehrt?

Boos: Nein. Es ist doch eher umgekehrt. Also Deutschland ist ein Käufermarkt. Die deutschen Agenten, die Rechtehändler kaufen in erster Linie im Ausland ein und natürlich sehr stark im englischsprachigen Ausland.

Kassel: Ist denn da überhaupt ein ganz leichter Trend in die andere Richtung zu spüren? Denn die Euphorie wegen des ja doch gelungenen Deutschen Buchpreises ist groß. Aber ist es wahr, dass der auch eine so große Ausstrahlung ins Ausland hat?

Boos: Doch, der hat inzwischen und wir sind jetzt erst im dritten Jahr mit dem Buchpreis, da gibt es tatsächlich eine große Ausstrahlung. Das heißt Bücher, die auf der Shortlist sind, die werden in der Regel auch ins Ausland verkauft. Und die werden auch in die englischsprachige Welt verkauft. Und es ist natürlich toll. Das ist was Neues.

Kassel: Woran liegt es denn, dass das Interesse, man kennt ja die berühmten Zahlen, ich glaube, 2006 29 deutsche Bücher, deutschsprachige Bücher, ins Englische übersetzt, ungefähr 1.600 in die andere Richtung. Das ist ja eine eindeutige Sprache, die diese Zahlen sprechen. Woran liegt das? Liegt das wirklich an den deutschen Büchern? Liegt das daran, dass in der englischen Welt Übersetzungen ja gar nicht sonderlich üblich sind? Was ist der Grund?

Boos: Sicher Letzteres, dass relativ wenig übersetzt wird, weil man will sich einfach auch die Kosten sparen, die mit einer Übersetzung verbunden sind. Und literarische Übersetzer sind auch dünn gesät. Sie wollen ja auch dem Buch gerecht werden, indem sie eine qualitativ hochwertige Übersetzung haben. Das Andere ist, das man immer versucht, auf den sicheren Erfolg zu schielen. Und da hilft jetzt natürlich so ein deutscher Buchpreis, wenn der Lizenzhändler sagen kann, das hat sich allein in Deutschland 200.000 Mal verkauft. Dann ist das natürlich eine Sensation. Und damit lässt sich der Markt eher stimulieren.

Kassel: Ist das ein Trend, mit dem Sie jetzt in nächster Zeit wirklich rechnen? Ich denke mal, dass wir jeweils hier darüber reden, 1.600 Bücher in die eine Richtung übersetzt, 1.400 Bücher in die andere. Das ist Quatsch. Soweit werden wir nicht kommen. Dazu sind die Märkte auch nicht vergleichbar. Aber dass wir in ein paar Jahren mal sagen können, über 100 Bücher würden übersetzt. Halten Sie so etwas für realistisch?

Boos: Das halte ich durchaus für realistisch. Wir sehen ja auch, dass sich etwas bewegt. Es ist ja nicht nur der Titel, der ganz oben auf den Bestsellerlisten steht, der übersetzt wird, oder vom deutschen Buchpreis, sondern das ist durchaus auch breiter. Und wir versuchen auch viel dafür zu tun. Der deutsche Buchhandel hat extra ein Büro in New York aufgebaut, das sich ausschließlich um die Vermarktung, um die Kontaktanbahnung kümmert. Und das hat die ersten Erfolge.

Kassel: Dem deutschen Buchhandel, na ja, sagen wir es lieber breiter, der deutschen Buchbranche geht es wieder recht gut. Ich habe es ja erwähnt. Vier Prozent Umsatzplus. Das ist nun ein Durchschnitt. Wenn man sich die Details anguckt, sieht man über elf Prozent Umsatzplus im Online-Buchhandel in den ersten drei Quartalen. Wenn dann der Durchschnitt vier Prozent rauskommt, heißt das natürlich, andere stehen schlechter da. Dieser Aufschwung, den es im Moment in der Buchbranche gibt, kriegen den wirklich alle mit?

Boos: Nein. Ganz bestimmt nicht. Sie sagen selbst, der Online-Buchhandel profitiert überproportional. Es ist sicher auch so, dass die großen Buchhandlungen, denke ich, überproportional davon profitieren, dass dabei im mittleren und kleineren Segment längst nicht so zugelegt wird, wie das jetzt die vier Prozent vermuten lassen.

Kassel: Kann man denn überhaupt noch verhindern, dass die kleinen und von größeren Ketten und Konzernen unabhängigen Buchhandlungen mehr und mehr verschwinden?

Boos: Ich denke, es wird immer schwieriger. Und der Einsatz des Buchhändlers, der wird immer größer, um neben den Großen zu bestehen. Auf der anderen Seite wird man auch immer kreativer und da entstehen ganz neue Möglichkeiten. Und das ist eigentlich sehr gut. Ich glaube, je stärker man sich auch spezialisiert, desto einfacher fällt es als mittlere, kleinere Buchhandlung in diesem Konzert der Großen zu überleben.

Kassel: Ich laviere ja bei diesen vier Prozent, das ist ein eindeutiger Wert, aber immer so ein bisschen herum und sage Buchbranche. Das heißt ja nicht, dass vier Prozent mehr oder teurere oder was auch immer Bücher verkauft wurden. Wie stark ist denn für den kommerziellen Erfolg der Buchbranche das klassische Buch überhaupt noch verantwortlich? Und wie stark sind es andere Produkte?

Boos: Na, ja. Das klassische Buch zieht erst mal den Käufer in die Buchhandlung. Das klassische Buch ist das wichtigste, schauen Sie sich Harry Potter an. Da ist die Verwertungskette zwar komplett. Da gibt's das Computerspiel. Da gibt's alles. Da gibt's die Tasse, das T-Shirt, die Mütze, was weiß ich, alles dazu. Aber erst mal war das Buch da, das all das ausgelöst hat. Und das ist eigentlich fast überall der Fall. Ich gehe nicht hin und kaufe Merchandising-Produkte oder anderes. Sondern ich kaufe erst mal den Inhalt eines Buches und dann die Produkte um diesen Inhalt herum.

Kassel: Und jetzt spätestens, Herr Boos, reden wir wirklich über die Messe, die ja heute so richtig beginnt. Das heißt, ab heute können die Fachbesucher durch die Hallen laufen. Am Wochenende darf das dann auch jedermann. Sie haben im Vorfeld mehrmals darauf hingewiesen, dass in Ihren Augen diese Buchmesse jetzt wieder auch eine politischere Veranstaltung wird, eine seriösere in einigen Ecken. Wenn ich heute, ich werde es heute nicht schaffen, aber wenn ich heute über die Messe laufen würde, würde mir das sofort auffallen?

Boos: Das wird Ihnen sicher auffallen. Wir haben zweieinhalbtausend Veranstaltungen jetzt in diesen fünf Tagen. Aber ich würde sagen, dass ein Teil, zwei-, dreihundert Veranstaltungen sich dezidiert mit politischen Themen beschäftigen. Und das natürlich insbesondere mit internationalen Themen. Aber man muss auch überlegen, inwieweit zum Beispiel Leseförderung auch ein politisches Thema ist. Insbesondere hier in Deutschland. Wenn wir die noch dazunehmen, dann ist die Messe noch wesentlich politischer.

Kassel: Nun war allerdings gerade die Frankfurter Buchmesse in den letzten Jahren auch unter Ihrem Vorgänger eine Messe, die immer stärker, und dazu standen viele auch, zu einer Event-Messe wurde, die einzelne Buch-Events in den Vordergrund rückte. Manche haben dann auch böse gesagt, es ist auch ein Büchershow geworden, keine Messe mehr. Wollen Sie davon komplett weg? Das hat doch eigentlich gut funktioniert.

Boos: Nein. Das steht nebeneinander. Gott bewahre! Nein. Der Event muss auch sein. Wir brauchen die Aufmerksamkeit für das einzelne Buch. Und das einzelne Buch hilft dann allen Büchern wieder. Und ich finde es auch toll, wenn Veranstaltungen sind, die wirklich großes Interesse finden. Aber parallel dazu dürfen wir nicht vergessen, dass Bücher auch eine andere Funktion haben. Und das ist auf jeden Fall neben der Unterhaltung auch eine politische Funktion. Bücher erweitern das Denken. Bücher machen Denken möglich. Und daran müssen wir immer wieder erinnern. Bücher sind kein austauschbares Produkt.

Kassel: Ist dieser Trend zu wieder mehr Politik in den Büchern, wir kennen das von Filmen, bei den letzten drei, vier Berliner Festspielen wurde immer wieder gesagt, die Realität ist wieder stärker in den Filmen? Ist das, was Sie bei der Messe jetzt mit Veranstaltungen machen, Sie haben es ja selber angedeutet, da geht es von einem großen Programm zur Alphabetisierung bis hin zu Symposien über Meinungsfreiheit überall auf der Welt, ist das ein Trend, der auch in den Büchern steckt? Nehmen wir zum Beispiel Julia Franck, Buchpreisträgerin, ein Buch, das sich mit deutscher Geschichte ja doch beschäftigt hat, hat sie so in ihren Vorgängerwerken nicht getan. Ist das auch in den Büchern drin, was Sie da mit einigen Veranstaltungen in den Hallen schaffen?

Boos: Ich denke ja. Vor allen Dingen ist es auffällig. Es sind ja junge Autoren, die, sagen wir mal, über diese Themen schreiben. Und diese Themen gehen nicht nur in die Vergangenheit, sondern sie weisen aus der Vergangenheit in die Zukunft hinein. Wir erleben das auch insbesondere hier bei uns im Gastland-Auftritt, katalanische Kultur. Natürlich schwingt da auch eine Diskussion über Europa mit. Da schwingt mit die Franco-Diktatur, die '75 zu Ende war, eine unterdrückte Sprache. Und jetzt geht es aber darum, wie entwickelt sich diese Region innerhalb Europas. Und das ist bei vielen, vielen Büchern hier zu bemerken, dass die Autoren sich mit aktuellen Themen auseinandersetzen.

Kassel: Frank Schirrmacher schreibt heute in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", dass für ihn die Zukunft des Buches auch in "spirituellen" Büchern liegt. Das habe ich jetzt sehr verkürzt. Man kann es nachlesen, wenn man will. Andere in den Feuilletons haben längst ihren Frieden geschlossen mit relativ jungen Führungspersönlichkeiten in unterschiedlichen Verlagen. Das wurde, wir lassen jetzt mal Suhrkamp außen vor, aber bei anderen kritisiert. Und inzwischen ist bei vielen Verlagen Frieden und die Feuilleton-Kollegen schreiben, eigentlich ist das super, die Leute, die da zugange sind. Haben Sie auch dieses Gefühl, dass dieser Optimismus berechtigt ist, dass nicht nur wirtschaftlich es der Branche besser geht, sondern dass die Zukunft des Buches wirklich in einem doch eher seriösen Inhalt liegt und eben nicht im Buch zur Fernsehserie?

Boos: Ich glaube ja und ich glaube, dass das durchaus einfach auch mit Trends zu tun hat, also mit Trends im Moment zur Digitalisierung. Sie werden überfordert. Sie erhalten so viele Inhalte online über unterschiedlichste Medien. Sie erhalten zusätzliche Inhalte. Das heißt, man muss sich besinnen. Man muss zurück zur Qualität. Man muss in der Lage sein auszuwählen und sich zu konzentrieren.