Bruno Latour: "Kampf um Gaia"

Ein Traktat ohne Kohärenz und Klarheit

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Der Philosoph Bruno Latour © Bild: picture alliance, dpa / Cover: Suhrkamp / Combo: Deutschlandradio
Von Marko Martin · 26.06.2017
Unsere Begriffe sind zu unscharf, um den Klimawandel zu begreifen, behauptet der französische Philosoph Bruno Latour. Und so setzt er in Hegel'scher Manier an, neue Begriffe zu entwickeln - doch er scheitert kläglich daran.
Was sind die mentalen Herausforderungen des Klimawandels? Mit dieser Frage beschäftigt sich Bruno Latour in seinem neuen Buch "Kampf um Gaia". Der 1947 geborene französische Sozialwissenschaftler und Philosoph ist eine international anerkannte Koryphäe, der Zeitung Le Monde gilt er sogar als "Hegel unserer Zeit".
Weshalb jedoch der rätselhafte Titel, der auf die griechische Göttin Gaia anspielt? Folgt man Latours Argumentation, hat die Menschheit die Konsequenzen des Klimawandels noch nicht einmal ansatzweise begriffen und benötigt deshalb ein neues Denken, beginnend mit neuer Begrifflichkeit. Da jedoch "Erde" und "Natur" stets etwas Harmonisches und Einlullendes assoziieren, sollte besser der oszillierende, in Unruhe versetzende Begriff "Gaia" Anwendung finden.

GAIAS Provokationspotenzial

Dabei predigt Latour keineswegs ein Neuheidentum, sondern will den Namen als Provokationspotenzial verstanden wissen - und als Anregung, der alten bequemen Natur/Kultur-Dichotomie Adieu zu sagen:
"GAIA ist weder wissenschaftlich im alten Stil noch ist sie ein heidnischer Ersatz für die SCHÖPFUNG. GAIA misstraut aller Transzendenz... Vermeiden wir also, die Natur als etwas universell Selbstverständiches zu behandeln, von dem sich die kodierte Kategorie Kultur abhebt."
Denn nur wenn wir begreifen, so das Fazit, dass unser Handeln ebenso wie unser Nicht-Handeln pausenlos irreversible Tatsachen schaffen, könnte ein neues Klima-Bewusstsein entstehen.
Freilich dauert es zweihundert Seiten, ehe die Konsequenz dieses "neuen ökologischen Denkens" sichtbar zu werden scheint:
"Der Mensch muss als einheitlicher Akteur in mehrere voneinander getrennte Völker aufgelöst werden, deren Interessen divergieren, deren Territorien einander bekämpfen. Der Anthropos des Anthropozäns? Das ist Babel nach dem Einsturz des Riesenturms! Endlich ist der Mensch auf keine Einheit mehr reduzierbar! Endlich ist er nicht mehr bodenlos!"

Schmitt und Sloterdijk bleiben Zierrat

Das klingt reichlich nebulös, doch wenn dann noch Carl Schmitt, der einstige Kronjurist des Dritten Reichs, mit seinem "tellurischen Denken" und manichäistischen Freund-Feind-Weltbild ins Spiel kommt, liegt der Verdacht nahe, der renommierte Wissenschaftler liebäugle mit einer Art kollektiver Öko-Diktatur.
Doch weit gefehlt! Schmitt, "der toxische Denker", bleibt letztlich ebenso Zierrat wie Peter Sloterdijk oder der Anti-Atomkraft-Philosoph Günther Anders, von dessen "prophylaktischem Gebrauch der Apokalypse" sich das wortmächtige - man könnte auch sagen: redselige - Buch hat inspirieren lassen.
Dass Latour, um die Plausibilität von "Gaia" zu erklären, immer wieder neu ansetzt, höher und tiefer greift, dann abschweift und auch Ausflüge in professorale Scherze nicht verschmäht, lässt den Leser doppelt irritiert zurück. Ethische geschweige denn konkrete politische Handlungsvorschläge gibt es in diesem sich doch derart alarmistisch gebenden Text keine, während die philosophischen Reflexionen derart von verspielter Didaktik durchzogen sind, dass Klarheit und Kohärenz auf der Strecke bleiben.
Schade um das hochexplosive Thema. Schade vor allem die Bäume, die sterben mussten, damit dieses seltsame Orakel als Buchform erscheint.

Bruno Latour: Kampf um Gaia. Acht Vorträge über das Neue Klimaregime
Aus dem Französischen von Achim Russer und Bernd Schwibs
Suhrkamp Verlag, Berlin 2017
523 Seiten, 32 Euro

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