Brücken zwischen Philosophie und Physik

Wissenschaftler, Philosoph und Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker
Wissenschaftler, Philosoph und Friedensforscher Carl Friedrich von Weizsäcker © picture alliance / dpa / Roland Witschel
20.08.2012
Carl Friedrich von Weizsäcker führte ein akademisches Leben zwischen Physik, Philosophie und Politik. Ino Weber versucht, dem Leser Brücken zwischen den Disziplinen zu bauen und so einen Überblick über Weizsäckers intellektuelles Schaffen zu geben.
"Aber vergiss es nie, größer als das Weltall ist dein Geist, der das Weltall zu denken vermag," soll ein Lehrer in Kopenhagen einst zu Carl Friedrich von Weizsäcker gesagt haben, als dieser wieder einmal über die Dimensionen und Wunder des Kosmos in Begeisterung geriet. Zwar wird selbst der große Physiker und Philosoph das Weltall gedanklich nicht komplett durchdrungen haben, aber er hatte sicher wie kaum ein anderer einen exzellenten Überblick über die Umbrüche der Physik im 20. Jahrhundert, wie Ino Weber in seinem neuen Buch darlegt.

Begonnen hatte alles mit der Physik, für die Weizsäcker schon an Schüler reges Interesse zeigte. Eine Begegnung mit dem jungen Physiker Werner Heisenberg sollte seinen beruflichen Werdegang entscheidend prägen. Denn Heisenberg riet dem zehn Jahre jüngeren Carl Friedrich von Weizsäcker, Physik am besten vor dem 30. Lebensjahr zu betreiben, für die Philosophie käme dann die Zeit jenseits der 50 in Betracht. Weizsäcker befolgte den Rat - und es entstand eine intensive Freundschaft.

Ende der 30er Jahre hat Carl Friedrich von Weizsäcker entdeckt, wie Sterne durch das Verschmelzen von Atomkernen Energie gewinnen. Gleichzeitig war der aus Deutschland stammende Physiker Hans Bethe in den USA auf diesen Prozess gestoßen, der heute in den Lehrbüchern Bethe-Weizsäcker-Zyklus heißt, für den 1967 aber nur Hans Bethe mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Ino Weber geht kurz und prägnant die Entdeckungsgeschichte der Quantentheorie durch, die den Forschern die Welt der kleinsten Teilchen offenbart hat - und die Carl Friedrich von Weizsäcker in ein fürchterliches Dilemma stürzte.

Denn im 2. Weltkrieg war er plötzlich in einer Arbeitsgruppe tätig, die die kurz zuvor von Otto Hahn entdeckte Kernspaltung für den Bau einer Atombombe nutzen sollte. Zwar war den Forschern bald klar, dass sie das Projekt rein technisch niemals würden zum Erfolg bringen können, doch offenen Widerstand gegen das Regime gab es auch nicht. Ino Weber zeichnet anhand zahlreicher Zitate ein vielschichtiges Bild davon, was Weizsäckers Handeln damals bestimmt haben mag: wissenschaftliche Neugier ebenso wie eine gewisse Überforderung und die Chance, das eigene Leben im Krieg zu retten.

Ino Weber ist von Haus aus Mineraloge, war viele Jahre im sozialen Bereich tätig und ist nun Schriftsteller mit einer Vorliebe für philosophische und wissenschaftliche Themen. Zum 100. Geburtstag von Carl Friedrich von Weizsäcker hat er nun ein Buch verfasst, das an vielen Stellen von etwas zu starker Bewunderung für den großen Forscher getragen wird.

Ino Weber stützt sich vor allem auf die vielen Texte, die Weizsäcker selbst verfasst hat und die einen Einblick in seine Gedankenwelt erlauben. Er legt dar, wie sich Weizsäcker nach dem Krieg der Friedenspolitik zuwandte, eine Professur für Philosophie übernahm und in den 70er Jahren das Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt leitete. Allerdings blieb diesem Institut für unbequeme Fragestellungen, wie es Weizsäcker selbst bezeichnet hat, größerer Einfluss versagt.

Ino Webers Buch ist keine klassische Biografie. Es ist vor allem für Physiker geeignet, die etwas über Philosophie lernen wollen und für Philosophen, die mehr von Physik verstehen möchten. Ino Weber baut - ganz im Sinne Carl Friedrich von Weizsäckers - eine Brücke zwischen diesen beiden Welten, die zumindest im 20. Jahrhundert eng verknüpft sind.
Besprochen von Dirk Lorenzen

Ino Weber: Carl Friedrich von Weizsäcker: Ein Leben zwischen Physik und Philosophie
Crotona Verlag 2012, 248 Seiten, 19,95 Euro

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- Von Weizsäcker wollte mit der Bombe "den Führer führen" - Wissenschaftshistoriker über die Rolle von Carl Friedrich von Weizsäcker bei der Entdeckung der Kernspaltung
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