Brücken über den großen Teich

01.05.2012
Eine konsequente Dramaturgie: Im vergangenen Jahr widmete sich das Festival "Acht Brücken – Musik für Köln" Pierre Boulez. In diesem Jahr steht dessen einstiger Weggefährte und späterer Gegenspieler John Cage im Mittelpunkt. Nach dem Zweiten Weltkrieg suchten Komponisten neue Ordnungsprinzipien für die Musik, darunter Pierre Boulez und John Cage, an dessen 100. Geburtstag erinnert wird.
Der heißblütige Franzose und der abgeklärte Amerikaner freundeten sich 1949 in Paris an und führten diese Freundschaft bis Mitte der 1950er Jahre fort, gottlob dokumentiert in einem eindrucksvollen Briefwechsel. Zwischen Cages Freiheitswillen und Boulez’ Ordnungsliebe offenbarte sich bald jedoch eine unüberbrückbare Kluft: Während Cage die Unbestimmtheit, ja Zufälligkeit der Kunst predigte, rang Boulez um die totale Durchorganisation des musikalischen Materials. Beide brachen damit den klassischen Werkbegriff auf – und beide schrieben zeitweilig ähnlich klingende Musik: Im Unendlichen schneiden sich die Parallelen.

Im vergangenen Jahr stand Pierre Boulez im Mittelpunkt der "Acht Brücken", in diesem Jahr fragt das Musikfestival rund um die Kölner Philharmonie, was sich jenseits von Boulez in der musikalischen Moderne getan hat. "John Cage – Amerika. Eine Vision" heißt das Motto des Festivals – und amerikanischer könnte das Eröffnungskonzert mit dem WDR Sinfonieorchester Köln unter Leitung von Jonathan Stockhammer nicht sein: Am Anfang steht Leopold Stokowskis unverschämt plüschige Orchesterfassung der berühmten Orgel-Toccata nebst Fuge in d-Moll von Johann Sebastian Bach. Es folgt ein Orgelwerk von John Cage, anschließend die fulminante Toccata für Orgel und Orchester des Neoromantikers Samuel Barber – größere Unterschiede zum nur zwei Jahre jüngeren Cage sind nicht denkbar!

Rhythmischer Drive löst die Spannung des ersten Teils auf: Martin Grubinger, einer der zentralen Künstler des Festivals, spielt das Schlagzeugkonzert "Frozen in Time" von Avner Dorman, am Ende versöhnt Leonard Bernstein die Gegensätze in seinem Divertimento. Dieses Konzertprogramm ist ein wahrhafter "melting pot" – und ein großer Brückenschlag zur amerikanischen Musiktradition.

Acht Brücken – Musik für Köln
Eröffnungskonzert
Kölner Philharmonie
Aufzeichnung vom 29.4.12

Johann Sebastian Bach
Toccata und Fuge d-Moll für Orgel BWV 565, für Orchester bearbeitet von Leopold Stokowski

John Cage
"Souvenir" für Orgel

Samuel Barber
"Toccata festiva" für Orgel und Orchester op. 36

ca. 20:45 Uhr Konzertpause mit Nachrichten
Olaf Wilhelmer im Gespräch mit Louwrens Langevoort

Charles Ives
Variationen über "America" für Orgel solo

Avner Dorman
"Frozen in Time" für Percussion und Orchester

Leonard Bernstein
Divertimento für Orchester

Martin Grubinger, Schlagzeug
Iveta Apkalna, Orgel
WDR Sinfonieorchester Köln
Leitung: Jonathan Stockhammer