Brüche und Klippen

Vorgestellt von Claus Koch · 10.09.2006
Vom liberalen Theologieprofessor und Vordenker zum Nachfolger der römischen Großinquisitoren und schließlich 2005 zum Papst: Aus Kardinal Ratzinger wird Papa Benedetto - eine steile und widersprüchliche Karriere. Der Theologe und Journalist Christian Feldmann schildert in seiner kritischen Biografie die Ängste und Visionen des deutschen Papstes.
Auch dieser Stellvertreter Christi, des verleibten Gottes, hat seine Herde durch die Wüste zu führen und zu geleiten. Die katholische Kirche bleibt auch unter ihm eine Gemeinschaft im Stillstand und der Verteidigung, sie kann nicht mehr nach vorne drängen wie es ihr durch die Schriften geboten ist: Also ist sie im Rückzug. Vor allem in Europa, wo sie einst im höchsten Glanz triumphierte, verliert sie weiterhin an Glaubenskraft.

Der Vorgänger Benedikts, der schwungvolle Karol Woytila, ließ die Not der Kirche immer wieder vergessen. Auch er hat sie nicht gewendet. Er konnte in der Zeit des großen Umbruchs als sieghafter Missionar und Hirte auftreten. Aber er machte sich nicht viele Skrupel darüber, dass er seine Erfolge nicht einfach einem neuen Elan katholischer Christlichkeit verdankte, sondern ebenso dem blinden Bedürfnis der westlichen Konsumentengesellschaft nach Begeisterung und Verehrung. Er hinterließ ein mächtiges Bild, aber keine gestärkte und selbstgewisse Glaubensgemeinschaft.

Papst Ratzinger, höchster Funktionär einer komplizierten und belasteten Hierarchie, muss ein schweres Erbe antreten. Es ist so schwer, weil es weithin entleert ist. Benedikt ist ein geistiger Oberherr in Resignation, und er kann sie in Würde gestalten. Womit sich die Frage stellt, ob er die Führungsfigur ist, die seiner Weltgemeinschaft Not täte. Und ob er für die Nichtgläubigen, die zumindest Erwartungen in ihn setzen, besser als andere ein legitimer Repräsentant sein kann, der die unbedingte Notwendigkeit seiner Religion verkörpert.

Nicht leicht, sich unter der Last solcher Fragen an eine Biografie des Mannes zu machen. Er ist kein Führer und Animator der fröhlichen und glaubensbedürftigen Weltmenschen, sondern zu allererst anspruchsvoller und ernsthafter Glaubenslenker für gelernte Katholiken, die geprüfte Urteile hören wollen. Das macht einstweilen Mühe, denn Ratzinger ist jetzt zugleich ein Mensch des Endes und des Anfangs.

Päpste erhalten in der Regel ihre ganze Bedeutung für die Kirche und die Welt erst am Ende ihres Lebens, wenn sie ihr Handwerkszeug verbraucht haben - es ablegen können. Sie haben das Meiste hinter sich, aber ihre Taten, an denen sie gemessen werden sollen, noch vor sich. Das können am ehesten Journalisten, die der Alltagsneugier dienen müssen: Das Wagnis der Lebensbeschreibung auf sich nehmen.

Mit seinem Lebensbeschreiber Christian Feldmann, der nicht für langen Nachruhm schreibt und sich bisweilen einen saloppen Ton leistet, hat der Heilige Vater einigermaßen Glück. Der Journalist hat einst in Regensburg bei dem jungen, geistreichen und liberalen Ratzinger studiert. Er kann die Gedankengänge und die Reaktionen des späteren Papstes gut mitteilen - auch für Nicht-Katholische und Nicht-Christen. Seine Sympathien gehören mehr dem frühen Lehrer, der in den sechziger Jahren dem reformerischen Kardinal Frings von Köln zur Hand gegangen war, um das zweite vatikanische Konzil vorzubereiten - das Erneuerungswerk unter Johannes dem Dreiundzwanzigsten. Weniger freundlich behandelt er den älteren Kurienkardinal unter Karol Woytila, der immer wieder die Versuche, die Kirche in diese Welt zu versetzen, abblockte:

""Ratzinger schottet sich nicht nur zwangsläufig vom säkularen Leben ab. Er steht sich auch noch die meiste Zeit selbst im Weg. Was ihn an seiner wirklichen Renovatio seiner Institution hindert, ist seine Angst, das Reformwerk könnte ausufern, der Umbau würde als Kahlschlag missverstanden und die neue Sprache als Verrat"."

Und das nicht sehr gnädige Urteil des Biografen:

""In Joseph Ratzinger, in seinem genialen Kopf und vielleicht mehr noch in seinem demütigen Herzen, liegen zwei Menschen, zwei Mentalitäten, zwei Lebenserfahrungen in ewigem Zwist: Die Lichtgestalt kämpft mit dem Finsterling, die strahlende Zuversicht mit abgrundtiefem Pessimismus, der felsenfeste Glaube mit kreatürlicher Angst"."

Bedeutende Taten zur Glaubenserneuerung erwartet sich Christian Feldmann nicht:

""Das eine sehen die wenigen sachkundigen Kritiker durchaus richtig und verdrängen die viele devoten Lobredner: Ratzinger hat eigentlich immer nur reagiert. Er hat abgewehrt, zurechtgerückt, eingeordnet. Er hat Konflikte auf den Punkt gebracht, Lösungsentwürfe verdichtet, Ideenknoten entwirrt. Selten hat er einen wirklich individuellen Ansatz entwickelt und mit dem Siegel 'Ratzinger, Joseph' unterschrieben"."

Es ist aber auch - das sollte man hinzufügen - die Zeit für eine ernsthafte Reform der Kirche nicht gegeben. Die Kraft und das Verlangen danach vermögen weder der Klerus und der Papst noch die gläubigen Mitglieder, das Kirchenvolk, aufzubringen. Das war unter Papst Roncalli, dem Motor des Zweiten Vatikanums, ganz anders. Ratzinger selbst hat es erlebt: Damals war nicht nur das gläubige Volk der Katholiken reif für eine Erneuerung, sondern es standen auch hohe Kirchenfürsten - darunter mehrere deutsche - bereit.

Das ist heute nicht der Fall, der hohe wie der niedere Klerus sind ideenarm und bekenntnisschwach. Es gibt in Europa nur noch wenige bedeutende Köpfe. Ratzinger und sein polnischer Vorgänger sind mit Schuld daran. Sie haben mit ihrer Personalpolitik jahrzehntelang nur Mittelmass hochkommen lassen. Das muss nun bezahlt werden.

Papst Benedikt ist sehr allein. Und er wird ziemlich machtlos sein, wenn der Rummel um ihn - veranstaltet von der Werbeagentur Bayern AG - losbricht. Ratzinger will kein Prominenter sein wie all die Schranzen, die sich um ihn drängeln. Es wird ihn heimlich grausen vor dem Fegefeuer, durch das er jetzt hindurch muss.

Christian Feldmann: Papst Benedikt XVI. Eine kritische Biografie.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2006
Coverausschnitt: "Papst Benedikt XVI."
Coverausschnitt: "Papst Benedikt XVI."© Rowohlt Verlag