Brockhaus kontra Wikipedia

Moderation: Holger Hettinger · 05.08.2005
Nach Ansicht von Klaus Holoch vom Brockhaus-Verlag wird das Online-Lexikon Wikipedia die klassische Enzyklopädie nicht verdrängen. Jeder, der ein höchstes Maß an Qualität und Sicherheit wolle, werde zu einem richtigen Lexikon greifen, sagte Holoch. Bei Wikipedia werde hohe Quantität mit hoher Qualität verwechselt.
Hettinger: Einige Menschen sagen, dass eines Tages das Internet-Lexikon die gedruckten überflüssig machen könnte. Mein Gesprächspartner heute Morgen teilt diese Meinung ganz bestimmt nicht, denn Klaus Holoch ist vom Brockhaus-Verlag, einer der ganz großen in der Lexikon-Branche. Schönen guten Morgen Herr Holoch.

Holoch: Guten Morgen Herr Hettinger.

Hettinger: Eigentlich sind die Tendenzen doch eindeutig, die Wikipedia-Gemeinde wird immer größer, das Internet-Lexikon wächst rasant, verdoppelt sein Angebot alle zehn Monate, gleichzeitig wildert Wikipedia in Ihrem digitalen Geschäft und bringt CDs, DVDs auf den Markt. Ist das klassische Lexikon am aussterben?

Holoch: Jetzt muss ich Sie wahrscheinlich enttäuschen. Denn ich sehe das natürlich - und das haben Sie ja auch schon angekündigt - komplett anders. Ich kann Ihnen nur sagen, wir finden das, was da bei Wikipedia stattfindet, absolut interessant. Aber - jetzt kommt die Enttäuschung - wir sind natürlich der Meinung, das kann man überhaupt nicht mit einer klassischen Enzyklopädie vergleichen, weil wir grundsätzlich unterschiedliche Ansätze haben. Wir setzen auf Qualität, auf Fachredakteure, auf Fachautoren und wir haben ein System, was diese Qualität und diese Verlässlichkeit absolut absichert und dass jeder, der aus dem Brockhaus zitiert, auch wirklich sicher sein kann, dass das, was er da zitiert, stimmt. Das ist ein völlig anderer Ansatz, auch die Abgrenzung Internet gegen Buch sehe ich natürlich völlig anders, weil die Welt - wir sind im Jahr 2005 - heute anders aussieht. Die Menschen bewegen sich auf allen Plattformen. Morgens im Büro, da ist Online ganz wichtig und gucken, was bei Google und so weiter los ist. Und abends auf der Couch, da geht man doch wieder gerne ans Regal, holt sich das Buch raus und kuschelt sich da schön hin. Der Mensch ist unterschiedlich: morgens online, mittags offline und abends im Buch. Das kann man gar nicht mehr von einander trennen.

Hettinger: Das stelle ich gar nicht infrage. Wenn ich es mir jetzt so bei mir vorstelle, wenn ich abends auf der Couch sitze mit Rotwein, schöner Musik im Hintergrund und ein sinnliches Buch brauche, also an ein Lexikon denke ich da nicht unbedingt.

Holoch: Auch da sind die Menschen natürlich unterschiedlich. Stellen Sie sich vor, Sie hören etwas im Heute Journal und wollen gucken, wie ist denn jetzt die Hauptstadt von da und da. Dann gehen Sie ans Regal und gucken und dann finden sie das so spannend. Sie sollten das mal machen, gehen Sie in ein Lexikon rein, Sie finden Einträge und von dem Eintrag kommen Sie zum nächsten und irgendwann merken Sie, dass Sie eigentlich schon seit einer Stunde im Bett sein sollten.

Hettinger: Also als klassische Konkurrenz sehen Sie Wikipedia nicht?

Holoch: Nein, überhaupt nicht. Ich finde es jetzt auch toll mit der Tagung, die die machen. Also ich habe in den letzten Tagen ein Interview nach dem anderen gegeben und kann jedem, der mich fragt, sagen wie toll Brockhaus ist. Ganz im Gegenteil, eigentlich muss ich denen dankbar sein, dass so lexikalisches Wissen in die Öffentlichkeit kommt. Denn ich bin ganz sicher, wenn der Kunde am Ende des Tages entscheiden muss, will ich etwas haben, auf das ich mich wirklich verlassen kann oder will ich etwas eher zufälliges haben, die kommen also ganz klar zu Brockhaus.

Hettinger: Das Internet-Angebot von Wikipedia - klar als Brockhaus dürfen Sie nichts anderes sagen, als dass die latent unzuverlässig sind - aber das Argument der Wikis ist doch das, da schauen so viele Hände, so viele Augen drauf, und da kann es eigentlich gar nicht sein, dass sich über einen längeren Zeitraum Unsinn festsetzt.

Holoch: Quantität, auch wenn sie hoch ist, hat noch nie irgendwie dafür gesorgt, dass auch eine Qualität entsteht. Ich habe gestern oder vorgestern einen Artikel gelesen über Wikipedia, ich will eigentlich gar nicht groß über die reden, aber ein Journalist kam dort zu der Hochrechnung, dass da ungefähr eine Million Rechtschreibfehler drin sein müssen. Und Qualität fängt natürlich auch bei formalen Dingen an, das darf man auch nicht außer Acht lassen.

Hettinger: Gibt es überhaupt Schnittmengen zwischen Ihnen und Wikipedia, gibt es da Kontakte?

Holoch: Wir haben uns ab und zu schon mal getroffen. Wir haben auch bei einer Podiumsdiskussion schon teilgenommen mit Jimmy Wales in Hamburg. Und wie ich schon sagte, ich finde ja diese Bewegung sehr interessant. Das einzige, was mich stört ist, dass so getan wird, als ob das ein verlässliches Lexikon ist, und das ist es bei Leibe nicht.

Hettinger: Aber die Aktualität ist doch bestechend.

Holoch: Aktualität kann man auch so und so definieren. Aktualität kann sein, das alles, was gerade irgendwo in der Hitparade ist oder sonst Thema, dass das sofort irgendwo aufbereitet werden muss. Aktualität ist aber auch, so wie wir es eher verstehen: Nehmen Sie diesen Tsunami-Unfall letztes Jahr kurz nach Weihnachten, diese fürchterliche Katastrophe, da geht es Brockhaus nicht zu erklären, wie viele Menschen sind da gestorben, sondern Sie können rein gehen ins Lexikon, an dem Tag, an dem so etwas passiert, und können sich dann erklären lassen, was ist eigentlich ein Seebeben, wie entstehen Seebeben und was ist da eigentlich der Hintergrund. Das ist auch eine Form von Aktualität, wenn man alles, was passiert, schon aufbereitet hat für den Fall, dass so etwas irgendwann einmal vorkommt. Das ist die Welt verstehen. Und die anderen Dinge, Aktualität mit dem Tagesgeschäft, das überlassen wir gerne auch Tageszeitungen oder Rundfunkstationen, wie Ihnen.

Hettinger: Die klassische Enzyklopädie auf der einen Seite, das quirlige Internetlexikon auf der anderen mit all seinen Vor- und Nachteilen, das haben wir jetzt herauspräpariert. Es gibt aber dennoch einen gemeinsamen Markt, nämlich den der elektronischen Medien. CDs, DVDs, all das ist ja gemeinsamer Geschäftsbereich. Da sind Sie doch im direkten Konkurrenzverhältnis.

Holoch: Auch da dürfen Sie das nicht miteinander vergleichen. Wenn Sie unsere DVDs anschauen, zum Beispiel den Brockhaus Multimedial, der ist völlig anders aufbereitet, da sind natürlich O-Töne drin, da sind Audiodateien drin, da sind aufbereitete Beispiele drin, also richtig etwas für das Auge. Den gläsernen Menschen können Sie da sehen, mit all seinen Muskeln und seinen Sehnen, je nach dem, was sie interessiert, die Innereien. Nur, um Ihnen einmal zu zeigen, es ist ganz anders aufbereitet. Und wir haben natürlich auch Audios drin. Das heißt, wenn Sie bei Kennedy sind und wissen wollen, wer er war, dann können Sie sich diese berühmte Rede anhören, die wir alle kennen "Ich bin ein Berliner". Oder Sie können, wenn wir jetzt beim Rundfunk bleiben, Einsteins Rede zum Start der Rundfunkstationen in Deutschland hören. Das ist eine ganz andere Welt.

Hettinger: Gibt es da eine Trennlinie, die so ein bisschen altersmäßig verläuft, dass man sagen könnte, die klassischen Enzyklopädienutzer sind die fortgeschritteneren Jahrgänge, Kinder und Jugendliche sind lieber im Netz, am Bildschirm?

Holoch: Wir treiben ja im Moment sehr viel Marktforschung. Im Herbst kommt ja die große Brockhaus Enzyklopädie und da wollen wir ja ganz sicher sein, dass wir den Markt auch genau treffen. A wissen wir, dass es einen sehr großen Markt gibt, der auf unser Produkt wartet und b. kann ich Ihre Frage gar nicht richtig beantworten, weil für die Enzyklopädie sieht die Zielgruppe wiederum ein bisschen anders aus, mit einem Produkt, was am Ende mit allem was dazu gehört zweieinhalb tausend Euro kostet, als für das Produkt Einbändiger Brockhaus oder das Produkt der Brockhaus Multimedial, wo es dann um die Preisklasse von 25 Euro bis 99 Euro geht. Und da haben wir aber festgestellt, gerade bei dem einbändigen Brockhaus und beim Multimediallexikon, dass die Zielgruppe deutlich jünger wird und zwar so viel jünger, dass wir uns schon Gedanken machen müssen, dass wir da noch stärker schulische Aspekte und so weiter reinpacken müssen. Da sind wir natürlich genau dran an diesem Thema.

Hettinger: Sie plaudern sehr schön aus dem Nähkästchen. Jetzt verraten Sie doch mal, schreiben eigentlich Wikipedia und Brockhaus voneinander ab?

Holoch: Wir sicherlich nicht, weil ich habe Ihnen ja vorher unser Qualitätssystem benannt. Und das andere kann ich nicht beurteilen.

Hettinger: Klaus Holoch war das vom Brockhaus-Verlag über die Zukunft der Enzyklopädie. Heute beginnt in Frankfurt am Main der große Wikipediakongress.