Britische Kulturszene nach Brexit

"Der richtige Kater kommt erst noch"

Ein Blick in die Ausstellung 'Michael Landy. Out of Order' in Basel
Werk des britischen Künstlers Michael Landy © picture alliance / dpa - Georgios Kefalas
Martin Roth im Gespräch mit Julius Stucke und Nicole Dittmer · 24.06.2016
Den heutigen Tag eins nach dem Brexit werde man nicht so schnell vergessen, sagte der Leiter des Victoria and Alberts Museums in London, Martin Roth. Seine Mitarbeiter seien zum Teil in Tränen gewesen.
Den ganzen Tag sei über nichts anderes als den Brexit geredet worden. "Wir sind heute alle ein bisschen hyperemotional", so Martin Roth im Interview mit Deutschlandradio Kultur. Als Deutscher würde er sagen, England hat das Vertrauen in die eigene Toleranz und Offenheit verloren. Da hätten sich viele Dinge abgespielt, die wenig britisch seien. Wenn er sich zum Engländer machen würde, würde er sagen: "Wir haben nicht damit gerechnet". Das treibe auch viele Künstler um.
Martin Roth sagte weiter, er habe massenhaft E-Mails von vielen Institutionen - Universitäten, dem British Council - und Unternehmen bekommen. Sie informierten ihn darüber, was sie gerade machen. Das sei einer Art "Selbstversicherungsmaßnahme" und Wundenlecken.

Nicht zu viel von den Künstlern verlangen

Welche Auswirkungen der Ausstieg Großbritanniens aus der EU auf die Kunst- und Kulturszene haben werde, sei schwierig einzuschätzen, meinte Roth. Das Thema sitze so tief, dass es alle gleichermaßen angehe. Roth ist der Meinung: Wenn die deutsche Kulturstaatsministerin vernüftig sei, dann würde er ihr empfehlen, die "creative industries" nach Berlin einzuladen. Denn die Kreativen würden, so vermutet Roth, demnächst nach Arbeitsplätzen wie Studios suchen.
Er habe sich immer dagegen gewandt, die Künstler als "Harlekin" zu verwenden. So nach dem Motto: Wenn gar nichts mehr geht, haben vielleicht die Künstler eine Lösung. Auf die Frage, ob sich Künstler und Kulturschaffende im Vorfeld der Abstimmung mehr hätten auflehnen müssen, sagte er, dazu hätten sie keine Kraft. "Da ist momentan etwas im Gange, dass schwer zu stoppen ist, vor allem mit künstlerischen Mitteln oder intellektuell."

Betroffen vom brutalen Tonfall

Martin Roth zeigte sich betroffen von dem brutalen Tonfall im politischen Diskurs vor der Abstimmung: "Da draußen sind welche (...), die lügen. Wenn man Glück hat, entschuldigen sie sich dafür. Wenn nicht, behaupten sie es weiter." Mit Verweis auf rechte Strömungen in anderen Ländern wie Frankreich, Polen, den Niederlanden oder den USA sagte Roth, das Beängstigende sei, das Großbritannien kein Einzelfall sei. "Das ist eine Bewegung und das beginnt erst richtig."
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