Britische Fans beim EM-Finale

"Elegante und coole Gastgeber hätten sich anders verhalten"

07:31 Minuten
Tausende Fußball-Fans im Londoner Wembley-Stadtion beim EM-Finale gegen Italien
Englische Fans fielen während der Fußball-Europameisterschaft immer wieder als Rüpel auf. © picture alliance/dpa | Christian Charisius
Wolfgang Kaschuba im Gespräch mit Jana Münkel  · 12.07.2021
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Nach der EM-Niederlage haben Fans des englischen Teams drei schwarze Spieler rassistisch angefeindet. Die Aggressionen stehen im Kontext eines Rassismusproblems im Fußball generell. Womöglich haben sie aber auch mit dem Brexit zu tun.
Randale in der Londoner Innenstadt, massive rassistische Anfeindungen gegen die drei schwarzen Spieler, die beim Elfmeter im EM-Finale gegen Italien verschossen: Nach der Niederlage überboten sich britische Fans in Respektlosigkeiten. Bereits im Laufe des Turniers war das wiederholt der Fall, etwa als während der Nationalhymne gegnerischer Mannschaften laut gebuht oder der dänische Torhüter durch Laserpointer-Attacken geblendet wurde.
Für den Ethnologen und Sozialwissenschaftler Wolfgang Kaschuba hat das mit dem Erwartungshorizont zu tun, der im Vorfeld aufgebaut worden sei: "In den Tagen vorher haben die Medien und die Politik eine nationale - um nicht zu sagen nationalistische - Kampagne daraus gemacht. So ein bisschen 'Brittany first' - und das ist dann schief gegangen." Wer sich im Fußball auskenne, wisse: "Der Ball ist rund, und man kann es eben einfach nicht planen".

Emotionale Folgen des Brexit

Das unfaire Verhalten vieler Fans hat aus Kaschubas Sicht auch mit dem Austritt Großbritanniens aus der EU zu tun, der in vielen Köpfen und Herzen mitschwinge: "Der Brexit ist über Jahre hinweg eine kollektive Übung im Differenzdenken gewesen: Wir gegen die." Vor allem junge emotionalisierbare Männer seien dann "sicherlich in so einer Stimmung von 'Wir zeigen's denen' - und das weckt natürlich wahnsinnig Erwartungen und Anspannungen. Und die Fallhöhe ist dann eben auch sehr groß."
Mit Fairness habe das Verhalten der Gastgeber nichts zu tun gehabt, so Kaschuba, "dieses permanente Ausbuhen - das kam einem ja schon vor wie eine kollektive Kuhherde". Zudem sei das EM-Finale das einzige Endspiel in einer langen Kette von Turnieren gewesen, wo die gastgebende Nation fast ausschließlich unter sich gewesen sei:
"Es waren ja faktisch nur 1500 Fans aus Italien da - sonst ist es immer ein Drittel. Dieses Kräfteverhältnis hätte einen eleganten und coolen, freundlichen Gastgeber dazu verpflichten müssen, fair damit umzugehen."

Nicht nur ein englisches Problem

Die rassistischen Reaktionen im Anschluss an das EM-Finale seien auf gar keinen Fall ein spezifisch englisches Problem, sagt der Journalist Stephan Anpalagan im Deutschlandfunk Kultur [AUDIO] . Nach verlorenen Spielen in Frankreich sei beispielsweise auch die Einwanderungspolitik des Landes für den entgangenen Titel verantwortlich gemacht worden. "Wir hatten eine ähnliche Berichterstattungslogik, als ein Spiel der deutschen Nationalmannschaft verloren gegangen ist und wir uns sehr stark auf Mesut Özil konzentriert haben", nennt Anpalagan als weiteres Beispiel.
Überhaupt habe der Fußball selbst ein massives Rassismusproblem, betont der Journalist: "Wir wissen von Spielerinnen und Spielern, wo Bananen auf den Platz geworfen werden, wo rassistische Schmähungen gerufen werden im Spiel. Es wurden auch schon Spiele abgebrochen deswegen."

Rolle der Fußballverbände

Dass der Rassismus sich im Fußball so hartnäckig halte, habe auch mit den Fußballverbänden zu tun: DFB, UEFA und FIFA seien, trotz antirassistischer Kampagnen, in ihrem Kampf gegen Rassismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit leider nicht besonders glaubwürdig, sagt Anpalagan. Das habe sich beispielsweise bei der Diskussion über das Anstrahlen von Stadien in Regenbogenfarben als Zeichen gegen LGBTIQ-Feindlichkeit gezeigt.
Der Journalist unterscheidet in seiner Kritik aber zwischen Verbänden und Funktionären einerseits und den Spielerinnen und Spielern andererseits. Letzteren könne man "den geringsten Vorwurf machen. Sie setzen ein Zeichen, sie sprechen sich aus. Es gab ganz tolle Statements und ganz tolle Positionierungen, auch in der Vergangenheit." Von den Fans werde dies aber nicht wahrgenommen und aufgenommen.
Im Kampf gegen Rassismus im Fußball habe man mit Härte und Konsequenz gute Erfahrungen gemacht, berichtet Anpalagan. In Deutschland beispielsweise, indem die Polizei auf Hooligans zugehe, Gefährderansprachen mache und Stadionverbote ausspreche. Eine andere Möglichkeit sei, die Mannschaften zu verurteilen, dann vor leeren Stadien zu spielen oder Strafen zahlen zu müssen. Es müsse klar werden, dass man keinen Millimeter zurückweiche, wenn es um Grund- und Menschenrechte geht.
(ckü/jfr)
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