Brigadegeneral rechnet mit langsamer Annäherung des Kosovo an Europa

Moderation: Christopher Ricke · 12.01.2008
Der Kontingentführer des deutschen Einsatzkontingentes KFOR, Robert Bund, rechnet mit einer langen Zeit, bis das Kosovo den Anschluss an Europa gefunden hat. "Das dauert mindestens noch ein bis zwei Jahrzehnte", sagte Bund.
Christopher Ricke: Sie hören Deutschlandradio Kultur mit der Frühausgabe der "Ortszeit". Europa bekommt ein neues Baby und liegt in den Presswehen, Europas Staaten bekommen ein kleines Geschwisterchen - das Kosovo wird sich in den nächsten Wochen für unabhängig erklären. Der NATO-Generalsekretär hat Albaner und Serben in der noch serbischen Provinz deutlich gewarnt, er sagt, niemand sollte die Illusion haben, dass er seine Ziele auf gewaltsame Weise erreicht. Wenn es nötig ist, dann stehen unsere Reserveeinheiten bereit. Die Bundeswehr ist seit dem Sommer '99 im Kosovo, zurzeit mit gut 2200 Soldaten. Diese Soldaten stehen unter dem Kommando von Brigadegeneral Robert Bund. Guten Morgen, Herr General!

Robert Bund: Guten Morgen, Herr Ricke!

Ricke: Besteht denn wirklich die Gefahr, dass Sie diese Reserveeinheiten brauchen werden?

Bund: Ich gehe mal davon aus, dass nein. Denn die Menschen hier wissen ganz genau, in was für einer Situation sie sich befinden. Die Menschen sind wahrscheinlich so nah wie noch nie in ihrer Geschichte vor einer Lösung ihrer Probleme, und sie wissen, dass alles, was von der Normalität in ihrem Handeln abweicht, sie wahrscheinlich wieder um Jahre zurückwerfen wird.

Ricke: Dennoch braucht es die militärische Präsenz. Wen müssen Sie den aktuell vor wem schützen, die Albaner vor den Serben oder die Serben vor den Albanern?

Bund: Wir schützen niemanden vor niemandem im Prinzip, sondern wir sind eigentlich da, um zum einen dieses sichere Umfeld zu gewährleisten, und zwar umfassend für alle, und natürlich, wenn es notwendig sein sollte, auch die freie Bewegung für alle Ethnien zu garantieren.

Ricke: Die Wunden der Vergangenheit des Krieges sitzen tief. KFOR hat die Aufgabe, die Lage zu stabilisieren, Gewalt zu verringern. Kann denn noch mehr erreicht werden oder braucht man da schon alle Kraft?

Bund: Ich meine, das ist sehr kurz gefasst, der Auftrag, den wir haben, den Sie hier gerade so kurz geschildert haben. Natürlich braucht insgesamt die internationale Staatengemeinschaft deutlich mehr Kraft und vor allen Dingen auch deutlich mehr Ausdauer, um hier in diesem Teil des Balkans langfristig zu einer Verbesserung der Situation beitragen zu können.

Ricke: Es wird eine Weile dauern, bis ein stabiler eigenverantwortlicher Friedens- und Demokratisierungsprozess im Kosovo gesichert ist. Wagen Sie eine Einschätzung, wie lange das dauern wird?

Bund: Da geben Sie mir am besten eine große Glaskugel, dann schaue ich da rein, dann kann ich Ihnen das sagen. Ich kann Ihnen nur sagen, es wird nicht innerhalb von ein oder zwei Jahren sich zur absoluten Normalität entwickelt haben.

Ricke: Aber Sie können vielleicht aus den Erfahrungen der letzten Jahre eine Prognose für die Zukunft stellen?

Bund: Ich gehe mal davon aus, dass das Wichtigste natürlich zuerst die politische Lage ist, dass die sich stabilisieren muss. Und hier sind ja erste Schritte getroffen. Wenn man die Wahlen im letzten Jahr betrachtet, wenn man jetzt sich ansieht, dass vor zwei Tagen die Regierung gebildet wurde aus den beiden Hauptparteien LDK/PDK unter dem Premierminister Hashim Thaçi und diese Regierung eigentlich auch ein Zeichen setzt insofern, dass in der Ministerriege auch zwei serbische Minister Bestandteil sind und hier also deutlich der Wille zum Ausdruck gebracht wird, dass man hier mit allen Ethnien optimal, positiv und zukunftsorientiert zusammenarbeiten will. Und nach dieser politischen Startphase, so will ich sie mal bezeichnen, ist auch die wirtschaftliche Entwicklung dann einer der absoluten Schwerpunkte. Und hier wird dieses Land natürlich sehr stark auf die internationale Hilfe angewiesen sein. Und bis das Kosovo, das ja auch schon in den letzten Jahrzehnten zu den ärmsten Gegenden Europas gehörte, dann vielleicht Anschluss an Europa gefunden hat, davon gehe ich aus, das dauert mindestens noch ein bis zwei Jahrzehnte.

Ricke: Man fängt ja quasi bei null an. Es sind erklärte politische Ziele, dass 24 Stunden am Tag elektrischer Strom zur Verfügung steht. Es sind erklärte Ziele, dass Arbeitsplätze gebaut werden müssen, dass Infrastruktur entwickelt wird. KFOR hat ja in den letzten Jahren Straßen und Brücken instand gesetzt, Krankenhäuser und Schulen wieder aufgebaut, Minen geräumt. Bleiben diese Aufgaben für die nächsten Jahre?

Bund: Ich gehe mal davon aus, dass die Anteile der zivilen Projekte, die KFOR leistet, sich über die Zeit reduzieren wird. Natürlich werden wir hier, solange hier KFOR und deutsche Soldaten vor Ort sind, uns auch an zivilen Projekten beteiligen. Hier liegt ja der Schwerpunkt auf deutscher Seite ganz eindeutig auf der Ausbildung der Jugend. Das ist ja bei der Altersstruktur des Kosovo auch nicht verwunderlich, denn die Kosovo-Albaner haben ein Durchschnittsalter von gut 27 Jahren. Das ist eine extrem junge Bevölkerung, die jüngste Bevölkerung Europas. Und deswegen sind wir dabei, haben es in der Vergangenheit schon und werden es auch in der Zukunft tun, hier nach wie vor Schulen zu bauen. Ich habe im vergangenen Jahr zwei Schulen eingeweiht und werde auch jetzt zu Beginn diesen Jahres wieder eine Schule einweihen. Das muss einer der absoluten Schwerpunkte sein, wir dürfen die Jugend nicht verlieren. Und anschließend kommt es darauf an, sie zu qualifizieren und dann auch in Arbeit und in den Beruf zu führen.

Ricke: Brigadegeneral Robert Bund, der Kontingentführer des deutschen KFOR-Einsatzkontingentes. Vielen Dank, Herr General!

Bund: Bitteschön, Herr Ricke. Danke.