Brieftaubensport: Kulturerbe oder Tierquälerei?

Männer, die auf Tauben starren

24:04 Minuten
Ein Schwarm von Brieftauben startet am Weltfriedenstag am 1.9.2013 in den Himmel.
Brieftauben starten am Weltfriedenstag am 1.9.2013. © picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Von Felicitas Boeselager · 07.07.2019
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Auf ihrem Weg nach Hause legen sie Hunderte Kilometer zurück – manchmal mit einer Geschwindigkeit von 120 Stundenkilometer: Der Orientierungssinn der Brieftauben fasziniert Menschen seit jeher. Trotzdem hat der Taubensport ein Nachwuchsproblem.
Vorsichtig hält Taubenzüchter Frank Gust ein Taubenküken in seiner Hand: "Die sind jetzt zwischen fünf und zehn Tagen alt. So ganz Kleine habe ich grad nicht mehr. Am Anfang ist das ein ganz kleines gelbes Häufchen mit dicken Glubschaugen. Es gibt Leute, die sagen das ist hässlich. Ich finde, am Anfang sind die ziemlich niedlich."
Noch sieht das Taubenküken aus wie eine etwas verunglückte Comicfigur, kaum vorstellbar, dass es schon in wenigen Monaten seinen ersten Wettflug machen wird. "Eine junge Taube, die gerade schlüpft, verdoppelt pro Tag ihr Gewicht. Und deswegen sind die eigentlich nach vier bis sechs Wochen flugfertig, also flugreif, können sich selbst ernähren und sind selbstständig."

Es ist Ende März, Frank Gust steht in seinem Garten und hat seine Tauben zum zweiten Mal in diesem Jahr fliegen lassen. Training nennt sich das. Gust öffnet dann seinen Taubenschlag und die Vögel fliegen so lange, bis sie von selbst wieder heimkommen, so werden sie fit für die Wettflüge im Sommer.
"Ich bin im Prinzip mit Brieftauben aufgewachsen, weil mein Vater und mein Onkel Tauben nach dem Krieg gezüchtet haben. Ich bin von klein auf dabei gewesen und immer mit in den Taubenschlag gelaufen und so. Wenn man damit aufwächst, dann ist das was anderes, als wenn man neu dazu kommt und von extern sozusagen damit anfängt. Wenn die Tauben immer da sind und auch in der Familie ist eigentlich eins der wichtigsten Themen ist, dann bleibt man dabei."
Zwei Brieftaubenküken sitzen in der Hand des Züchters.
Schon wenige Monate nachdem sie geschlüpft sind, können Brieftauben an Wettbewerben teilnehmen.© Deutschlandradio / Felicitas Boeselager

Tauben gehörten zur Familie

Gust ist 48 Jahre alt, seit über vier Jahrzehnten sind die Brietauben ein elementarer Bestandteil seines Lebens. Es ist ein aufwändiges Hobby, jedes Wochenende im Sommer nehmen seine Reisetauben an einem Wettflug teil. Urlaub kann man da nicht machen.
"Ich weiß noch früher, als wir die Tauben bei meinem Onkel hatten, der ein paar Straßen weg wohnte, da war hier regelmäßig am Wochenende Stunk und Streit. Weil mein Vater und ich nie zu Hause waren, weil wir immer bei den Tauben waren, wenn die Wettflüge waren. Es gab im Sommer keinen Urlaub mit den Kindern. Weil die Wettflüge sind von Mai bis September. Und wenn man Erfolge haben will, muss man an jedem Flug teilnehmen."
Aber auch im Herbst und im Winter brauchen die Tauben eine intensive Pflege, wenn sie im Sommer erfolgreich sein sollen.

Gust hat in seinem Leben weit über eintausend Tauben besessen, trotzdem kennt er von jeder einzelnen Taube die Nummer, die sie an einem Ring um ihre Füße trägt.
"Ich hab mich früher, als ich klein war, hingesetzt und hab wirklich tagelang von den Jungtauben die Nummern auswendig gelernt, damit ich die alle kannte. Aber das kommt mit der Zeit von selbst. Das muss man jetzt nicht auswendig lernen."
Brieftaubenzüchter Frank Gust vor seinem Taubenschlag.
Brieftaubenzüchter Frank Gust vor seinem Taubenschlag.© Deutschlandradio / Felicitas Boeselage

Vor Tausenden Jahren zähmte der Mensch die Taube

"Da harrte er noch weitere sieben Tage und ließ abermals die Taube fliegen aus der Arche. Sie kam zu ihm um die Abendzeit, und siehe, sie hatte ein frisches Ölblatt in ihrem Schnabel. Da merkte Noah, dass die Wasser sich verlaufen hatten auf Erden."
Nicht nur bei Noah auf der Arche spielte eine Taube eine entscheidende Rolle. Nein, sie findet sich an vielen Stellen der Geschichte wieder, erzählt Hans-Peter Lipp, ein emeritierter Professor der Universität Zürich, der viele Jahre über Tauben geforscht hat.
"Ich habe zwei Quellenangaben: Das eine ist Ägypten, aber ich glaube nicht, dass da wirklich Tauben systematisch eingesetzt wurden. Das, was ich weiß, das ist die Keilschrift von den Assyrern, wo die Brieftaubenübermittlung dort doch recht detailliert beschrieben wurde."
Die Geschichte der Brieftauben geht demnach bis 2000 vor Christus zurück. Später tauchen sie zum Beispiel auch als Nachrichtenübermittler bei Caesar auf und Mitte des 19. Jahrhunderts startete die Nachrichtenagentur Reuters mit Brieftauben ihren Dienst. Die berühmteste ihrer Art ist wahrscheinlich G.I. Joe. Sie gehörte im zweiten Weltkrieg dem U.S. Army Pigeon Service an und soll tausenden Menschen das Leben gerettet haben. Sie kam im Oktober 1943 in der italienischen Stadt Calvi Vecchia zum Einsatz.
Der US-Soldat Russell Nemo von der Brieftaubenkompagnie der 5. US-Armee läßt 1944 zwei Vögel fliegen, die von einem Nachrichtenstützpunkt in Italien nahe der Front für Meldungen eingesetzt werden.
Der US-Soldat Russell Nemo läßt 1944 in Italien zwei Vögel fliegen, die nahe der Front für Meldungen eingesetzt werden.© dpa / picture-alliance / akg-images
Die Briten hatten diese Stadt schneller eingenommen, als sie vorher vermutet hatten und mussten dringend die verbündeten Amerikaner von einem Luftschlag abhalten. Gleichzeitig waren aber alle Möglichkeiten der Telekommunikation zusammen gebrochen. Also musste eine Taube die Nachricht übermitteln. G.I. Joe flog innerhalb von 20 Minuten 30 Kilometer zum Stützpunkt der Amerikaner und rettete so den britischen Soldaten und den Zivilisten das Leben. Und selbst heute werden die Vögel in seltenen Fällen noch dazu gebraucht geheime Nachrichten zu übermitteln, erzählt Lipp.
"Es geht auch noch bis nach Afghanistan hinein, wo so die letzten Tauben noch für Übermittlungszwecke gebraucht werden. Bei denen der Übermittler lieber nicht sein mobiles Telefon benutzen will. Bis heute. Vor einigen Jahren war im Internet eine Botschaft, dass man Talibans mit Brieftauben erwischt hätte."

Rennpferd des kleinen Mannes

Seit dem zweiten Weltkrieg werden Brieftauben hierzulande aber nur noch für Wettkämpfe, also für den Taubensport eingesetzt. Der erste Brieftauben-Verein wurde vermutlich Anfang des 18. Jahrhunderts in Aachen gegründet. Bis heute gibt es in Deutschland etwa 64.000 Züchter. Sie sind in über 8.000 Vereinen organisiert, untereinander nennen sie sich Sportsfreunde. Aber ist das wirklich Sport?
"Natürlich ist es für die Tiere Sport", sagt der Züchter Frank Gust. "Was ist Reitsport? O.k., ich kenne jemanden, der mir sagt, das ist für den Reiter genauso anstrengend wie für das Pferd. Ich kann das nicht beurteilen. Für den Züchter ist es natürlich viel Einsatz, aber kein körperlicher Sport. Für die Tauben durchaus schon."
Der Forscher Hans-Peter Lipp findet einen anderen Begriff passender: "Die Engländer sprechen ja von Racing. Pigeon Racing. Und im Deutschen ist das nicht so gebräuchlich, hier spricht man von Brieftaubensport. Aber eigentlich wäre Racing das bessere Wort."
Nicht umsonst werden Brieftauben auch die Rennpferde des kleinen Mannes genannt.
"Ich züchte jetzt die Jungtauben von diesem Jahr. Wenn die sechs bis acht Wochen alt sind, gehen die das erste Mal aufs Dach und gucken sich so ein bisschen den Garten hier an", erzählt Gust. " Dann fliegen die mal hier aufs Hausdach, machen mal eine größere Runde und so werden die Trainingsrunden immer größer . Und daran lernen die höchstwahrscheinlich, wo ihre Heimat ist, prägen sich das ein und das bleibt im Kopf, bis zum Schluss."

Der geheimnnisvolle Orientierungssinn der Tauben

Und dann finden die Tauben immer ihren Weg nach Hause, ganz egal, wo man sie aussetzt. Wie sie das machen? Das ist das große Rätsel des Brieftaubensports, Hans-Peter Lipp hat sein ganzes Leben lang versucht dieses Geheimnis zu ergründen.
"Ja, das ist eigentlich schon die größte Knacknuss, die ärgerlicherweise nicht gelöst ist."

Manche glauben, dass die Tiere sich an Autobahnen, oder markanten Gebäuden auf dem Weg nach Hause orientieren. Das erklärt aber nicht woher eine Taube weiß, in welche Richtung sie fliegen muss, wenn sie nach stundenlanger Fahrt in einem Laster an einem unbekannten Ort aufsteigt. Es geht also nicht nur um den Weg, sondern vor allem um die erste Verortung, Hans-Peter Lipp findet die Theorie eines ukrainischen Physikers am überzeugendsten.
"Der hatte eine bestechend einfache Idee, die er aus der Raumschifffahrt und auch aus der Flugzeugindustrie entnommen hat. Nämlich die Idee, dass sich die Tauben an die Richtung der Schwerkraft an ihrem Heimatort erinnern. Sie wachsen also auf und irgendwie in ihrem Gehirn drin beginnen sich dann viele kleine Kreisel zu drehen."
Brieftauben in im Taubenschlag von Frank Gust.
Frank Gusts Tauben finden immer zurück nach Hause.© Deutschlandradio / Felicitas Boeselage

Die Kreiseltheorie

So ein Kreisel sei wie ein Gedächtnis für die aktuelle Position. Man solle sich vorstellen, dass er sich ohne umzufallen in einer sehr hohen Geschwindigkeit unendlich lang dreht.
"Denn wenn sie nun mit solch einem Kreisel, in eine Eisenbahn steigen, dann stellen sie fest, die Achse des Kreisels ist schön ausgerichtet mit der Achse des Fensters, ist also vertikal. Dann nucken sie ein, sie fahren von Berlin nach München und wenn sie wieder aufwachen, dann stellen sie fest, dass dieser Kreisel plötzlich nicht mehr schön mit der Fenstersenkrechten übereinstimmt, sondern, einen Tilt, eine gewisse Schräge hat. Und wenn sie sich dann ein bisschen umdrehen, dann zeigt ihnen diese Kippung die Richtung nach Hause."
Lipp ist es nicht gelungen diese Theorie zu belegen, aber immerhin konnte sie bisher auch nicht widerlegt werden.

Schnell wie der Wind

Es ist ein Samstag Anfang Juni, rund zwei Monate sind vergangen und gleich beginnen die Vorbereitungen für den sechsten Wettflug von Frank Gusts Reisetauben, die Zuchttauben bleiben in ihrer Voliere. Der Züchter sitzt in seinem Garten und lässt die vergangenen Flüge der Saison Revue passieren.
"Die Hälfte ist dann rum. Und wenn die Tauben morgen zu Hause sind, dann haben die mittlerweile 2.000 Kilometer hinter sich. Wir hatten am Anfang ein bisschen Wetter-Probleme, der erste Flug ist ausgefallen, in der letzten Woche hatten wir starken Rückenwind und haben uns so ein bisschen ausgerechnet, wann die Tauben kommen und wurden aber alle überrascht, weil die ersten Tauben eine Stunde vor der geschätzten Zeit da waren und unterm Strich hat meine erste Taube, die auch die schnellste Taube im Regionalverband war, einen Schnitt von 120 km/h erreicht."
Gust ist immer noch ganz erstaunt über dieses Ergebnis. In seinen 40 Jahren als Taubenzüchter habe er sowas noch nicht erlebt. Die Tauben waren so schnell, dass manche von ihnen über ihren Heimatschlag hinweg geflogen sind und dann aus der entgegengesetzten Richtung ankamen. Bisher läuft die Saison also ganz gut für Gust, aber das kann sich alles noch ändern, schließlich ist erst Halbzeit, trotzdem hat er ein gutes Gefühl.

Vor der Reise darf das Taubenpaar nochmal zusammen sein

Gleich geht es also auf die sechste Reise. Vorher lässt Gust noch einmal die Männchen und die Weibchen in ihre gemeinsame Nistschale, in der vergangenen Woche hatte er sie voneinander getrennt.
"Die liegen dann irgendwann ganz entspannt da zusammen drin und dann kann man die ganz ruhig da raus nehmen. Ohne dass man da hinterher jagen muss. Und das ist sicherlich auch noch eine kleine Motivation für morgen, dass die wissen ihr Partner ist da. Das nutzt man so ein bisschen aus."
Kaum haben die Tauben es sich in ihren Nistplätzen gemütlich gemacht, greift Gust sie mit sicherem Griff und setzt sie in eine Reisekiste. Körbe, heißen sie in der Sprache der Taubenzüchter.
"So, das war’s, die Tauben sind jetzt eingepackt und können jetzt auf die Reise gehen."
37 Tauben wird Gust heute Abend los schicken. Jetzt lädt er die Körbe in seinen Kombi und fährt zum Vereinsheim der Taubenzüchter. Die ersten Züchter und ihre Tauben stehen schon am Vereinsheim.

Wie ein Klassentreffen

Es ist Samstagnachmittag, gleich werden die Tauben registriert in einen Laster geladen und dann rund 400 Kilometer weit Richtung Süden gefahren. Seit 19 Jahren ist Andreas Ahlers fast jedes Wochenende im Sommer mit knapp eintausend Tauben im Laderaum quer durch Deutschland unterwegs.
"Ich wollte das nur mal ausprobieren, nur mal schauen, wie das so ist, als Jugendlicher und dann sagte der ehemalige Kollege: Willst Du nicht immer fahren? Und dann bin ich dabei geblieben."
Wenn Ahlers am Auflassplatz ankommt, ist es jedes Mal ein bisschen wie ein Klassentreffen. Auflassplatz, so heißt der Ort an dem die Tauben rausgelassen werden. Fünf bis sechs Tauben-Expresse von anderen Reisegemeinschaften kommen dann an so einem Ort zusammen.
"Der erste Gang ist wenn man nachts ankommt, das ist meistens so zwei Uhr, drei Uhr, wobei das ja auch ziemlich weit weg ist jetzt, Bad Camberg, oder Landau, da fährt man da ja schon etliche Stunden, heißt also als erstes lüften und Wasser geben. Und dann gehen wir in die Schlafkoje und schlafen noch, aber meistens klingelt der Flugleiter uns morgens um halb sechs schon raus und sagt: Na, wie ist das Wetter? Ist die Sonne schon da?"
Der Flugleiter, Peter Heller, muss entscheiden, ob das Wetter stabil genug ist. Dafür hat er eine spezielle App auf seinem Handy installiert und telefoniert außerdem die Strecke nach Regenfronten ab. Auch diesen Flug hat er um einen Tag verschoben, eigentlich hätten die Tauben am Freitag verladen und am Samstag fliegen sollen.
"Wenn es ganz schlimm ist, dann sage ich: Richtung Heimat, oder 200 Kilometer zurückziehen, wo das Wetter besser ist. Aber es gab auch schon Fälle, wo wir gesagt haben: Zurück nach Hause, es hat keinen Zweck, es ist gegenüber der Ansage ganz anderes Wetter gekommen. "

Der Taubensport hat Nachwuchssorgen

Inzwischen sind alle Züchter im Vereinsheims angekommen. Es wird Zeit die Tauben zu registrieren und in die Transportkörbe des LKW zu setzen. Dafür werden die Chips, die in den Ringen der Tauben sind, über einen kleinen blauen Computer gehalten und wenn es piept, dann ist die Taube registriert und kann am Wettflug teilnehmen. Vor dem Eingang jedes Taubenschlags der Züchter sind Sensoren eingebaut. Die erfassen dann genau, welche Taube wann wieder zu Hause ist.
Wer seine Tauben fertig verladen hat, geht ins Vereinsheim. Jetzt heißt es bei Cola und Bratwürstchen auf den LKW warten. Bei diesem Flug übernimmt eine andere Reisevereinigung den Transport, denn in den vergangenen Jahren ist die Anzahl der Taubenzüchter derart geschrumpft, dass sich die Reisevereinigungen untereinander zusammen tuen. Es fällt ohnehin auf: Bis auf zwei Frauen sind in dieser Gruppe nur Männer und die meisten haben graue Haare. Frank Gust gehört mit 48 Jahren zu den Jüngsten in seinem Verein. Der Taubensport hat Nachwuchssorgen.

"Das Problem ist nicht taubenspezifisch, das Problem haben alle Kaninchenvereine und Geflügelvereine, weil das Freizeitangebot ist heutzutage ganz anders als es früher war. Ich weiß von meinem Vater, meinem Onkel, dass nach dem Krieg jeder Tauben hatte, oder Kaninchen, oder Hühner, oder irgendwas um eine Beschäftigung zu haben. Da gab‘s halt nichts anderes.
Hinzu kommt, dass der Taubensport zu viel Zeit in Anspruch nimmt, auch billig ist er nicht gerade: Das Futter, der Taubenschlag, das alles ist teuer. Wie Frank Gust haben die meisten der Züchter hier ihr Hobby von Vater, oder Onkel geerbt.

Eine 14-Jährige als Nachwuchshoffnung

Zwischen all den älteren Männern, die zum Teil seit über 50 Jahren Tauben züchten, sitzt die Nachwuchshoffnung des Vereins: die 14-jährige Nele. Sie ist mit ihrem Vater in einer Schlaggemeinschaft, das heißt sie betreuen gemeinsam einen Taubenschlag. Und gerade weil sie bei Weitem die einzige in ihrer Schule ist, die so ein Hobby hat, macht es Nele Spaß: "Weil das außergewöhnlich ist, das nicht jeder macht."
Obwohl Nele noch Anfängerin ist, läuft es bisher nicht schlecht für sie: "Den einen Flug haben wir den ersten gemacht und die anderen Flüge sind auch gut gelaufen." Sie mag es besonders, wenn die jungen Tauben noch ganz zutraulich sind und auf ihrer Schulter sitzen, ihr Erfolgsrezept?
"Gute Pflege und viel Liebe. Regelmäßig füttern, die rauslassen, trainieren und so."

Kritik von Tierschützern

Mit etwas Verspätung kommt nun auch der LKW an, die Taubenkörbe werden wie Schubladen in die Seiten des Fahrzeugs, geschoben. Jetzt geht die sechste Reise der Saison los und die Taubenzüchter hoffen auf gutes Wetter für ihre Tiere.
Tierschützer kritisieren den Taubensport schon lange. Sie wollen das Hobby am liebsten ganz verbieten lassen, sagt Lea Schmitz vom deutschen Tierschutzbund.
"Es ist so, dass die Tauben bei diesen Wettflügen einfach an ihre Leistungsgrenzen kommen. Die werden ja wirklich irgendwo ausgesetzt, teils hunderte Kilometer von ihrem Schlag entfernt und haben dann auch einen gewissen psychischen Stress, weil sie halt unbedingt zu ihrem Partner, oder ihrem Nest zurück fliegen wollen. Und kommen da an ihre körperlichen Grenzen, sterben unterwegs."
Eine Kritik, die Hans-Peter Lipp nicht nachvollziehen kann, er sagt Tierschützer würden die Tauben vermenschlichen und hätten keine Vorstellung von der Physionomie und dem Verhalten der Tiere.
"Eine Taube fliegt, wenn man sie in der Saison rauslässt bis zu einer Stunde locker herum. Sie fliegt 60 Kilometer am Tag, so wie wir spazieren. Sie können ungefähr die Strecke, die die Tauben im Vergleich zum Menschen zurücklegen müssen, mit dem Faktor 10 dividieren. Also ein 60-Kilometer-Flug für die Taube, das ist wie ein Sechs-Kilometer-Bummel für den Menschen. 600 Kilometer, das entspricht etwa 60 Kilometer für den Menschen, was ein gewisses Training voraussetzt."

Gefahr durch Greifvögel

Für eine vernünftig trainierte Brieftaube seien also mehrere hundert Kilometer kein Problem. Die Strecke ist aber nicht das einzige, was Tierschützern missfällt.
"Dann werden sie vielleicht Opfer von Beutegreifern, wie Greifvögeln. Aber auch Strommasten sind natürlich Gefahren für die Tiere, Windräder, Antennen, oder auch die Wetterbedingungen, also sowohl Hitze, oder Regen"
Diese Gefahren sehen auch die Taubenzüchter, der Greifvogel ist sozusagen ihr natürlicher Feind. Sie argumentieren aber, dass die Vögel diesen Gefahren auch in freier Wildbahn ausgesetzt wären. Um ihre Position zu stärken, aber auch um ihr Hobby zu erhalten, wollte der Verband der Deutschen Taubenzüchter die Taubenzucht als immaterielles Kulturerbe anerkennen lassen. Lipp hält das für eine gute Idee.
"Natürlich kann man darüber geteilter Meinung sein, aber es ist schon so, dass hier eine Verschränkung von Kultur, von Freizeit und zugleich ein gewaltiges wissenschaftliches, natürliches Selektionsexperiment stattgefunden hat. Ich wüsste von nichts vergleichbaren jetzt, ob eine solche Verschränkung von Tradition, Populärbeschäftigung mit diesen Tieren und gleichzeitig einem unbewussten Selektionsexperiment je stattgefunden hätte."
Vergangenen Dezember hat die Kultusministerkonferenz das Gesuch der Taubenzüchter aber abgelehnt.

Warten auf die Tauben

Es ist Sonntag. Frank Gust sitzt in seinem Garten, trinkt Kaffee und sucht den Himmel nach den ersten Tauben ab. Der Fahrer hat die Tauben heute wesentlich später rausgelassen, als geplant, denn entgegen der Wettervorhersage gab es Regen auf der Strecke.
Auf einmal ist die erste Taube am Schlag. Man konnte sie nicht kommen sehen. Und Gust kann es kaum glauben, nach 3,5 Stunden schon. Diese Taube muss wieder knapp 100 Km/h im Durchschnitt geflogen sein. Auch die nächsten Tauben flattern zügig über den Sensor.
"Ich find das erstaunlich, die sind jetzt 350 Kilometer geflogen und kommen trotzdem so relativ zusammen an. Also mit so kleinen Abständen. Ich find das immer noch faszinierend auch nach 40 Jahren. Das ist toll."
Und jetzt muss auch gleich mit den Sportsfreunden besprochen werden, wer schon wie viele Tauben hat. Es scheint gut zu laufen für Gust, als schon über 14 Tiere da sind, haben andere Züchter noch kein einziges. Ob er zufrieden ist?
"Also im Großen und Ganzen möchte man, dass erstmal alle Tauben nach Hause kommen. Und wenn dann nicht so viele Preise dabei rausspringen, ist das nicht wichtig. Also wenn ich die fünf besten Tauben in die Wertung kriegen würde aber dafür fehlen 15 andere, dann wäre ich nicht zufrieden, dann wäre das auch kein guter Flug. Erstmal sollen alle nach Hause kommen."

Zwei Nachzügler kommen erst am nächsten Tag

Bei diesem Flug gelingt Gust beides, seine Tauben sind sehr gut platziert und auch wenn zwei Tauben erst am Montag ankommen werden, finden doch alle ihren Weg zurück in den Heimatschlag. Glück gehabt, oder?
"Glück würde ich nicht sagen, also es gibt wahrscheinlich Züchter, die vielleicht ein bisschen mehr Talent dafür haben und es gibt Züchter, die nicht die Zeit und auch nicht bereit sind so viel Freizeit zu opfern und auch so viel Geld auszugeben wie andere, für gutes Futter und für gute Versorgung, das kann man niemandem vorschreiben, was er den Tauben gibt. Also Glück ist eher der falsche Ausdruck, glaube ich."

Traum vom Fliegen

Gust geht es bei den Wettkämpfen zwar auch ums Gewinnen, er sei ehrgeizig, sagt er. Hauptsächlich macht ihm aber die Zucht und die Pflege der Tiere Freude. Vögel, die ihn bis heute jedes Mal staunen lassen, wenn sie wieder auf dem Dach des Schlags auftauchen. Auch der Forscher Hans-Peter Lipp hat einen eigenen Taubenschlag, dass er das Rätsel um die Orientierung der Tauben nicht lösen konnte, fuchst ihn natürlich, aber trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen hält seine Faszination weiter an.

"Wenn Sie sehen, wie sie herum ziehen, das Rauschen der Schwingen, wie es so schön heißt, dann denken sie manchmal, es wäre schön, wenn man die Flügel hätte, um irgendwohin zu ziehen, vielleicht auch als Albatros. Dann kann man noch die Weltmeere surfen und das ist so die versteckte Faszination, wenn man diese Tiere hält. Es ist ein Einblick in eine andere Welt."
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