Briefe über Frauen, Kinder, Literaturbetrieb

21.05.2008
Der Briefwechsel der beiden österreichischen Schriftsteller Peter Handke und Alfred Kolleritsch währt 40 Jahre. Er dokumentiert die Entwicklung der beiden und zeigt dabei, wie sich das Blatt im Laufe der Jahre wendet. Kolleritsch, der Mentor und Förderer des jungen Handke, entwickelt sich zum Bewunderer seines einstigen Studenten.
Der eine bleibt über 40 Jahre hinweg unverändert bei der Anrede: "Lieber Peter". Der andere variiert seine Briefe an den lieben Alfred (Freddy, Fredy) je nach Stimmung, mal scherzhaft, mal liebevoll: "Lieber Alfred the Knallfred" (oder "Lieber Alf the Knalf"), "Lieber Don Alfredo", "Lieber alter Freund". Denn Freunde sind sie geblieben, auch wenn sich ihr Binnenverhältnis subtil verschoben hat, mit Peter Handkes wachsender Geltung als Autor, der sein erstes Publikationsmedium, die Grazer Zeitschrift "manuskripte" des Gymnasiallehrers und "Forum Stadtpark"-Gründers Alfred Kolleritsch, bald weit hinter sich ließ.

Nahe sind sie einander geblieben, auch wenn Handkes Briefe und Karten bald aus aller Welt adressiert waren, während Kolleritsch, "überzeugt reviertreu", mit der Steiermark verwachsen blieb, namentlich dem Geburtsort Brunnsee. Kolleritschs Familiensitz wurde zum dauernden Treffpunkt der Freunde, gemeinsam haben sie Brunnsee "zum Ort erhoben"; dort ist "unser beider Weihnachts- und Pfingstgeschichte und Trink- und Schau- und Redensgeschichte" lokalisiert, dort findet sich die Dreiheit, die beide in ihren Briefen immer wieder sehnsüchtig beschwören: die Eiche (vor dem Haus), die Teiche (zum Baden), die Mutter (Kolleritschs).

Der Altersunterschied (Kolleritsch, Jahrgang 1931, ist elf Jahre älter als Handke) ist mit den Jahren verdunstet. Aus dem einstigen Mentor und ersten Förderer des scheuen Jus-Studenten Handke wurde allmählich dessen feurigster und demütigster Bewunderer: "Dein eigenes Lesen der Welt, darin Du ja der sichterweiternde Meister bist." Und der 60-jährige Kolleritsch bekennt: "Ich hatte immer eine große Scheu und ein wenig Angst vor Dir - als wärest Du mir wie ein Vater und Lehrmeister voraus."

Handke wiederum, der nach seinem raketengleichen Start als junger Mode-Autor der 68er schon mal übermütig als "Dein Peter Handke, Erfolgsautor" unterzeichnet, gesteht bereits 1979: "Der viele Erfolg, den ich gehabt habe, wird mir immer unheimlicher und unwirklicher." Mit vorrückendem Alter erkennt auch Handke seine Reviertreue: Der Weltwanderer stilisiert sich als einschichtiger Dörfler und slowenischer Eigenbrötler, als grenzkranker Kärntner, Flüchtling, Staatenloser, Vorortler".

Der Briefwechsel reicht von 1966 bis 2005, ist aber asymmetrisch: Unter den 243 Briefen und Karten sind nur 29 von Kolleritsch erhalten – der unstete Handke war ein minder sorgfältiger Archivar als sein Grazer Freund. "Schöne Briefe schreibst Du immer", lobt Handke, doch leider lässt sich das mangels Briefen oft nicht überprüfen.

Die wenigen bewahrten Kolleritsch-Episteln sind freilich schön: Zeugnisse tiefen Verständnisses für den poetischen Gehalt von Handkes Werk, etwa ein begeisterter erster Lektüre-Bericht über "Mein Jahr in der Niemandsbucht" oder ein fein differenzierender Zuspruch an den Freund während dessen Serbien-Nöten. Viel Raum nehmen die alltäglichen Trivia ein – Frauengeschichten, Kindersorgen, Literaturbetriebsgequatsche.

Kolleritsch bettelt um Manuskripte für seine Zeitschrift, Handke tadelt aus der Ferne deren manchmal selbstdarstellerische Kumpanei "Sind die 'manuskripte' eine Privatzeitschrift?" Ärgerlich ist allerdings der Anmerkungsteil – in seiner Liederlichkeit eher ein Verheimlichungsteil, der nichts zur Klärung der Sachverhalte beiträgt.

Wenn Handke ein Haus erwähnt, das er bewohnen möchte, quasselt die Anmerkung: "Peter Handke meint ein Haus bei der istrischen Stadt." Bei welcher? "Wo man berechtigt eine nachgereichte Information vermisst, war sie für die Beteiligten nicht mehr eruierbar", behauptet der Herausgeber Jochen Jung.

Das ist glatt gelogen, denn mit einiger Sorgfalt ließe sich eruieren, welche "Desperado-Arbeit" Handke gerade vollendet hat (den Roman "Die Wiederholung"), welchen amerikanischen Roman er eben übersetzt (Walker Percys "Kinogeher") oder wer der "Wiener Mensch" ist, dessen "Wespennest"-Essay Handke so gut gefiel (Franz Schuh).

Und warum Kolleritsch "diese bösartige Löffler" 1987 so "ekelhaft" fand, ließe sich gewiss auch feststellen, wenn man sich die Mühe machen wollte. Jung wollte nicht. Und hat durch seine Faulheit einen bewegenden Briefwechsel sträflich beeinträchtigt.

Rezensiert von Sigrid Löffler


Peter Handke, Alfred Kolleritsch: Schönheit ist die erste Bürgerpflicht
Jung & Jung, Salzburg 2008
294 Seiten. 22 Euro
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