Brian Eno

"Bitte etwas entschleunigen!"

Brian Eno, britischer Musiker, Produzent und Multimediakünstler, aufgenommen am 29.11.2014 im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) in Karlsruhe
Brian Eno in Karlsruhe am 29. November 2014 © dpa / picture alliance / Uli Deck
Brian Eno im Gespräch mit Hartwig Vens  · 01.12.2014
Der Musikproduzent Brian Eno gilt als Vorreiter der elektronischen Musik und machte sich einen Namen als Erfinder der Ambient-Musik. Im Gespräch erzählt Eno von seinem neuesten Projekt. Und er rät: Manchmal bekommst du mehr, wenn du weniger tust.
Brian Eno rastet nie: Er hat bis heute fast überall seine Finger drin, wo es Neuentwicklungen in der elektronischen Musik gibt. Jetzt hat der britische Musikproduzent den Giga-Hertz-Preis bekommen: Damit ehrt ihn das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) zusammen mit dem SWR für sein Lebenswerk.
Und das ist wirklich außergewöhnlich. Roxy Music, damit fing es an, dann kamen Bowie, Talking Heads, Depeche Mode, U2, Genesis, Coldplay und viele mehr. Sie alle hat Eno als Komponist, Soundtüftler und Visionär vorangebracht. Nebenbei ist er Erfinder der Ambient Musik.

Hören Sie hier das ungekürzte Gespräch mit Brian Eno in der englischen Originalfassung:

Kulturredakteur Hartwig Vens hat Brian Eno in Karlsruhe getroffen und ist jetzt im Studio.
Brian Eno ist jetzt 66 Jahre alt, die Ideen gehen ihm aber offenbar nicht aus. Wie wirkt er im Gespräch?
Er war genau so, wie ich erwartet habe, das er es ist. Ich hatte mir zur Vorbereitung schon das eine oder andere Video angeschaut, in denen er interviewt wird und er war immer ausgesucht freundlich, höflich, hatte ein wirkliches Interesse an einem Gespräch. Freude daran, mit den Journalisten oder Kollegen zu reflektieren und sich Gedanken zu machen über Musik. Aber auch über Gesellschaft und Wissenschaft. Er sagt selbst dass er mehr Wissenschaftler als Künstlerfreunde hat und da war er am Zentrum für Kunst und Medientechnologie sozusagen im El Dorado.
Bei der Preisverleihung in Karlsruhe hat der Leiter des Zentrums für Kunst und Medientechnologie Eno einen "Schneider musikalischer Kleider" genannt. Wie genau meint er das?
Das bezieht sich darauf, dass Eno das Studio zum Kompositionsort gemacht hat. Als er anfing war das Studio ein reiner Aufnahmeort und er hat das völlig neu definiert und experimentell erforscht was man mit Klängen und den Musikern, die sie erzeugen, alles machen kann. Er hat das nicht erfunden, er war ja stark von John Cage beeinflusst, der das für die Kunstmusik entwickelt hat, aber diese Ideen hat er für die Popmusik produktiv gemacht.
Das war dann wie ein Labor, wo er Ideen, die aus der Kybernetik reingebracht hat, quasi Systeme konstruiert, die Musik aus sich selbst heraus generieren. Generative Music nennt er das, er hat mit der Computerentwicklung da heute natürlich noch unendlich bessere Möglichkeiten. Ergebnis davon sind die Apps, die er mit dem Musik-Programmierer Peter Chilvers entwickelt hat. Die liegt hier jetzt auf dem Tisch und ich setze die mal in Gang: Wie hat man sich das in diesem Klanglabor vorzustellen. Experimente mit Maschinen verstehe ich ja noch, aber wie hat er die Menschen eingesetzt?
Indirekte Strategien
Dafür hat er sich bestimmte Methoden ausgedacht. Zum Beispiel die sogenannten Oblique Strategies. Indirekte Strategien, das ist ein Set von 100 Karten und in einer bestimmten Situation, zieht man eine und da steht eine Anweisung drauf. Ein Denk- oder Kreativitätsanstoß. Zum Beispiel Gebrauche den Fehler als Intention! Ich habe ihn gefragt, ob er das auch heute noch benutzt:
"Ja, manchmal, es ist ein gutes Spiel, wenn Musiker zusammenarbeiten, jeder eine Karte nimmt und nicht sagt, was draufsteht. Es erzwingt ungewöhnliche Entscheidungen, man kommt aus den Mustern heraus, in die man verfällt. Heute gibt es keine Beschränkungen mehr bei Studiozeit oder -Möglichkeiten, aber es gibt die Beschränkung der Vorstellungskraft, die Situation, dass man da sitzt und denkt: Es klappt nicht, aber wir wissen nicht warum. Das ist schlimmer geworden als früher, es dauert viel länger, das Problem zu erkennen, weil es so viele technologische Optionen gibt. Man kann Jahre damit verbringen, Sachen auszuprobieren, wo die eigentliche Lösung ein Umschalten im Kopf wär - , ein Umschalten nicht außen, sondern innen. Oblique Strategies ist ein Versuch den Schalter im Inneren umzulegen."
Oppel: Eno ist ja nicht unumstritten. Er gilt als Erfinder der Ambient Music und das halten viele für eine Art Wellness- oder Fahrstuhlmusik. Hat Brian Eno dazu was gesagt?
Ja, "Music for Airports" von 1978 ist die bekannteste dieser Platten. Das ist Musik die ausdrücklich leise, an der Grenze der Wahrnehmung gespielt werden soll. Sodass sich die Musik und die Umgebungsgeräusche vermischen. Man kann das im Hintergrund klingen lassen. Der Entwurf einer solchen Musik, die auch einen Zweck erfüllen kann, nämlich den Leuten vor dem Flug zu beruhigen. Ob Brian Eno mit dem Begriff Elevator Music ein Problem hat?
"Nein, überhaupt kein Problem. - Aufzüge sind ohnehin sehr seltsame Orte: Sie kommen in diesen winzigen Raum, und stehen mit komplett fremden Menschen für einige Sekunden sehr nah zusammen. Es ist eine befremdliche Situation auf die wir nicht wirklich vorbereitet sind, es gibt keinen sozialen Code dafür. - Ich finde Musik passt gut in einer solche Situation. Sie füllt den Raum, die Unbehaglichkeit im Raum wird ein wenig gemildert und gedämpft."
Oppel: Macht er denn heute immer noch solche Gebrauchsmusik?
Ja, mit noch angewandter als je zuvor. Er ist heute im Gesundheitswesen unterwegs:
"Ich habe also diesen Raum entworfen"
"Ich mache Installationen schon so lang ich Platten mache, und ich habe bemerkt, dass sie auf manche Leute recht tiefgreifende Wirkung haben. Menschen, die gehetzt sind, nervös und busy, kommen sofort runter, sitzen sehr still und verbringen eine, zwei, drei oder sogar sechs Stunden in diesen Ausstellungen. Und kommen am nächsten Tag wieder und machen dasselbe noch mal. Ich denke, dass die Leute dort etwas finden, das sie brauchen, das sie sich sehr wünschen.
Vor einigen Jahren hatte ich eine Ausstellung in Brighton. Und einer der Besucher war ein Chirurg, der an der Gestaltung eines neuen Krankenhauses beteiligt war. Er brachte seine Schwiegermutter mit, und er sagte: 'sie ist eine Frau, die nie gelernt hat, still zu sein, sehr energetische und feurig, und redet unablässig.' - Er ging mit ihr in die Ausstellung und sie war zwei Stunden lang ruhig und still. Und er dachte: das brauche ich in meinem neuen Krankenhaus!
Und sie fragten mich: 'Wir haben ein bisschen Platz in einer Ecke des Krankenhauses, würden Sie einen kleinen Raum für uns dort gestalten?' - Es ist ein Krankenhaus, das auf Krebsbehandlung spezialisiert ist. Die Menschen dort sind nicht nur ziemlich krank, sie sind außerdem oft verzweifelt und bedrückt. - Ich habe also diesen Raum entworfen - er ist ziemlich klein, vielleicht zwölf Quadratmeter - und die Leute sitzen dort und verbringen lange Zeit darin. Und langsam können sie wieder denken, langsam löst sich ihre Panik ein wenig. Das schreiben sie jedenfalls in den Besucherbüchern, die dort ausgelegt sind. Und ich dachte: schön, etwas zu machen, das das Leben von Menschen wirklich verbessert.
Generell ist die Umgebung im Krankenhaus ziemlich verstörend. Erst mal ist alles hell. Unheimlich hell! Halogenlampen, die so weiß sind, dass sie einen permanent aufwecken. Und man möchte nicht die ganze Zeit geweckt werden. - Und es ist laut in einem Krankenhaus. Es ist meist viel los, man hört Klänge, die man nicht hören möchte, von anderen Patienten, die Schmerzen haben, Gerät, das rumgeschoben wird, Betten die vor und zurückbewegt werden. - Meine kleinen Räume sind gewissermaßen das Gegenteil davon. Das Licht ist sehr weich und hat eine bestimmte Farbe, die ein freundliches beruhigendes Gefühl produziert. Es ist eine bestimmt Variante von Bernstein.
Der Effekt ist dass die Patienten sich zum ersten Mal aus der Krankenhaus-Situation rausziehen und mit sich allein sein können und so in die Lage kommen, dem was mit ihnen passiert ins Auge zu sehen. - Wissen Sie, es klappt nicht bei jedem, ich sage nicht, dass das ein Wunder ist oder so was, aber es ist recht preisgünstig für ein Krankenhaus, man kann einen Raum nutzen, der sonst nicht gebraucht wird. In Brighton war es ein kleiner dunkler Kellerraum. Man konnte damit wahrscheinlich nichts machen außer Papier aufbewahren oder so was. Eine gute Verwendung für den Raum jedenfalls."
Ich habe ihn dann gefragt, ob die Wirkung von diesen Klangräumen denn auch untersucht wird:
"Zustand der Patienten vor einer Operation ist deutlich besser"
"Ich arbeite momentan mit einem anderen namens Chelsea and Westminster, ein sehr großes Krankenhaus in London mit 360.000 Patienten pro Jahr. Und sie untersuchen diese Art Maßnahmen seit einigen Jahren und haben herausgefunden, dass sich dadurch der durchschnittliche Aufenthaltsdauer eines Patienten um ein bis zwei Tage verringert. Die Genesung verläuft schneller, aber am allerwichtigsten: Der Zustand der Patienten vor einer Operation ist deutlich besser. Wenn Menschen sehr gestresst sind, sind sie in keiner guten Verfassung für eine Operation.
Wenn es also gelingt, ihren Stresspegel vor der Operation zu verringern, sind die Ergebnisse sehr viel besser. Diese Krankenhausleute sind insofern ziemlich überzeugt davon, dass das wirklich effektiv ist. Und denken Sie an die Kosten: Man spart natürlich eine Menge Geld, wenn das Bett zwei Tage früher leer wird oder einen. Sie wissen wir haben auch bei uns ein sozialisiertes Gesundheitswesen. Das alles wird also nicht von den Leuten in den Betten bezahlt, sondern von uns allen. Es ist also nicht unwichtig, wenn wir dabei auch ein wenig Geld sparen."
Oppel: Das klingt sehr honorig und humanistisch. Aber Brian Eno ist ja also U2 oder Coldplay-Produzent durchaus auch sehr kommerziell und mainstreamig. Auch mit dieser Variante seiner Musik?
Ja durchaus. Wir hatten es ja vorhin schon von seinen Apps. Außer Bloom gibt es noch andere solche Apps mit generativer Musik Scape, Trope und Air. Und die kauft man im App Store für Geld. Aber Eno sieht sich auch hier als gütiger Sozialingenieur zur Verbesserung unseres Lebens.
"Manchmal bekommst du mehr, wenn du weniger tust"
"Mit Bloom ist es so. Die Botschaft von vielem, das ich mache ist: Bitte etwas entschleunigen! Wenn ich manchmal Leute sehe, die zum ersten Mal Bloom benutzen, machen sie so -hektisches Fingertouchen- sie tippen so viel wie sie können. Und sie bekommen ein Chaos. - Aber dann nach einer Weile beginnen sie zu erkennen, dass das Ergebnis besser ist, wenn man weniger macht. Ich finde das ist eine recht gute Botschaft. -H: Like a kid - oder wenn man zum ersten Mal kocht und jedes Gewürz in den Topf kippt, das das es gibt.
Die Botschaft ist: Manchmal bekommst du mehr, wenn du weniger tust. Es ist gut, wenn man daran zuweilen erinnert wird."
Mehr zum Thema