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US-Truppenabzug aus Syrien
"Assad und seine Regierung werden gestärkt"

Der von US-Präsident Donald Trump angekündigte Truppenabzug aus Syrien bringe die bisherigen Verbündeten der USA zwischen die Fronten, sagte der Politologe Volker Perthes im Dlf. Das betreffe vor allem die Kurden-Milizen. Trumps Entscheidung spiele nicht nur Baschar al-Assad in die Hände, sondern auch dem Iran.

Volker Perthes im Gespräch mit Sarah Zerback | 20.12.2018
    US-Truppen mit gepanzerten Fahrzeugen gehen in Stellung in den Außenbezirken der Stadt Manbij.
    Bislang unterstützten US-Soldaten in Syrien unter anderem die "Demokratischen Kräfte Syriens" (SDF) (dpa-Bildfunk / AP / Arab 24 network)
    Sarah Zerback: Der US-Präsident hat den IS in Syrien für besiegt erklärt und damit begonnen, seine Truppen aus dem Land abzuziehen - aus Syrien. Davon fühlt sich selbst die eigene Regierungsmannschaft in Washington überrumpelt. Auch international gibt es Kritik, allen voran aus Großbritannien, aus Sorge um das höchst fragile Machtverhältnis in der Region, in Syrien, im Mittleren Osten. Das können wir jetzt analysieren mit Volker Perthes, dem Syrien-Experten und Leiter der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen, Herr Perthes.
    Volker Perthes: Schönen guten Morgen.
    Zerback: Donald Trump hat gestern getwittert, der IS sei besiegt und die Mission damit erfüllt. Stimmt das überhaupt?
    Perthes: Nein! Der IS ist geschwächt, er ist sehr stark geschwächt, er kontrolliert keine großen Teile des Landes in Syrien oder im Irak mehr. Aber es gibt ihn immer noch und vor einigen Wochen hieß es, dass man von ungefähr 2.000 Kämpfern ausgehe. Davon sind sicherlich einige getötet worden, aber er ist nach wie vor als Terrororganisation eine veritable Gefahr.
    Zerback: Was bedeutet das jetzt, wenn die USA tatsächlich ihre Truppen abziehen, damit ja schon begonnen haben, wie es heißt?
    Perthes: Das bedeutet in erster Linie, dass andere, allein oder in neuer Kombination auch, in Syrien weiter gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) kämpfen werden. Das werden die Kurden-Milizen sein, die bisher die wichtigsten Partner der USA waren. Die sind allerdings wirklich geschwächt durch den Abzug der USA. Und das wird die syrische Armee, die Armee des Systems in Damaskus sein, zusammen wahrscheinlich mit russischer Unterstützung.
    Entscheidung zwischen Trump und Erdogan
    Zerback: Das ist ja aktuell die Situation gewesen, dass die USA bislang die Kurden im Norden des Landes unterstützt haben. Das hat ja die Türkei schon lange scharf kritisiert. Diese Entscheidung sehen Sie schon in engem Zusammenhang?
    Perthes: Ja, man muss das alles im Kontext sehen, und wir haben gewissermaßen einen ganz, ganz dichten Kontext. Wir haben die amerikanisch-türkischen Interaktionen: Zuerst den Streit darüber zwischen der Türkei und den USA, was die USA da eigentlich mache, indem sie eine Organisation unterstütze, die aus türkischer Sicht jedenfalls eine Terrororganisation ist. Und jetzt haben wir offensichtlich da eine Entscheidung zwischen Trump und Erdogan gehabt.
    Wir haben gleichzeitig das Interesse von Präsident Trump an einem Ausgleich mit Russland. Wir haben die Einigung von Iran, Russland und Türkei über einen minimalen politischen Prozess für Syrien, der in den USA von offizieller Stelle ganz positiv kommentiert worden ist. Wir haben den Besuch des irakischen Staatspräsidenten, des Präsidenten eines wichtigen Nachbarlandes in Damaskus heute, was eine Rehabilitierung des Regimes von Baschar al-Assad bedeutet.
    All dies kommt zusammen, so dass es ein wenig so aussieht, als würde Trump sagen: Syrien interessiert uns am wenigsten, aber mein Verhältnis zu Russland interessiert mich, mein Verhältnis zur Türkei interessiert mich. Und innenpolitisch ist es natürlich populär, wenn ich die Jungs vor Weihnachten nachhause hole.
    "Für Iran sicherlich eine sehr gute Meldung"
    Zerback: Bislang war seine Strategie allerdings auch, den Einfluss des Iran in der Region zurückzudrängen. Mit diesem Strategiewechsel hat der Iran - Sie haben es angesprochen - allerdings da jetzt freies Spiel. Ist das tatsächlich ein überraschender Strategiewechsel, oder steckte das schon immer dahinter?
    Perthes: Die Halbwertszeit von amerikanischen Strategien, die offiziell verkündet werden, ist schon erstaunlich kurz. Das ist zutreffend. Zumindest der amerikanische Sicherheitsberater, Herr Bolton, hat noch vor wenigen Wochen, der Syrien-Beauftragte hat noch vor wenigen Tagen erklärt, dass die amerikanische Präsenz in Syrien auch dazu diene, den Iran einzudämmen, den regionalen Einfluss Irans einzudämmen. Davon kann man nun halten was man will, aber es sah aus wie eine Strategie, und die wird nun relativ schnell, vermutlich gegen den Rat des Sicherheits-Establishments, gegen den Rat des Militärs und gegen den Rat des eigenen Syrien-Beauftragten, relativ schnell geändert. Und Sie haben recht, dass für Iran das eine sicherlich sehr gute Meldung ist.
    Zerback: Ist dieser Strategiewechsel aus Washington auch Teil einer größeren Strategie, sich aus militärischen Verpflichtungen global und nicht nur in Syrien herauszuziehen?
    Perthes: Da würde ich nicht zu weit gehen. Wir sehen, dass die Amerikaner ihre Truppenpräsenz in Europa beispielsweise in den bis jetzt zwei Jahren der Trump-Regierung verstärkt haben. Richtig ist, dass Donald Trump - und hier ist er auch konsistent in seiner eigenen Ideologie oder Philosophie oder Weltanschauung -, dass er nicht sehr viel davon hält, eigene amerikanische Kampftruppen in Gebiete zu senden, wo er sagt, da haben wir kein besonders großes Interesse. Syrien als Land ist für ihn sicherlich keine Priorität. Die Beziehung zu Russland, die Beziehung zur Türkei dann schon sehr viel eher.
    Kurdische Milizen und demokratische Kräfte geraten unter die Räder
    Zerback: Lassen Sie uns noch mal kurz in das Land selbst schauen. Was bedeutet diese Entscheidung für das natürlich stark geschwächte Machtzentrum rund um Assad? Wird das gestärkt?
    Perthes: Assad und seine Regierung werden gestärkt - dadurch, dass die kurdische Miliz oder die sogenannten Syrian Democratic Forces, die syrischen demokratischen Kräfte, die jetzt mit den Amerikanern zusammengearbeitet haben, in den letzten Jahren mit ihnen zusammengearbeitet haben, zwischen die Räder geraten: Auf der einen Seite die syrischen Regierungstruppen, auf der anderen Seite die Türkei im Norden. Und ich bin ziemlich sicher, dass diese Kurden-Partei, diese Kurden-Miliz jetzt sehr schnell einen Ausgleich mit Damaskus versuchen wird, zu erreichen.
    Allerdings wird das keine Verhandlung zwischen Gleichen mehr sein, sondern die Kurden der PYD oder der Syrian Democratic Forces werden wohl die Bedingungen von Damaskus weitgehend akzeptieren müssen. Das heißt, die Fahne von Damaskus, des syrischen Staates wird dann bald auch wieder über den kurdischen Provinzen im Osten wehen, und wieviel Selbstverwaltung übrig bleibt, das weiß man nicht – eher sehr wenig.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.