Breitgefächertes Spektrum

Von Robert Nemecek · 28.09.2012
Felix Mendelssohn Bartholdy, den Schumann einst den Mozart des 19. Jahrhunderts genannt hat, ist für uns der Komponist des Sommernachtstraums, der Italienischen Sinfonie und des Oratoriums Elias. Seine Klaviermusik führt dagegen von jeher ein merkwürdiges Schattendasein, was zweifellos auch mit der Übermacht der gleichaltrigen Klavier-Titanen Schumann, Chopin und Liszt zu tun hat.
Verglichen damit wirkt Mendelssohns Klaviermusik insgesamt gefälliger und traditioneller. Mit Mozart als Vorbild reflektiert und bedient sie die Geschmackskultur einer gebildeten und wohlhabenden Oberschicht, der Mendelssohn selbst entstammte. Die Familie Mendelssohn führte in Berlin einen Salon, in dem sich alles traf, was in der Hauptstadt Preußens und weit darüber hinaus Rang und Namen hatte. Viele Klavierwerke Mendelssohns, Charakterstücke, Variationen und "Lieder ohne Worte" sind von dieser Atmosphäre geprägt, und nicht wenige davon dürften hier zum ersten Mal erklungen sein. Es wäre allerdings verfehlt, diese Stücke als "Salonmusik" abzuqualifizieren. Denn oft entfalten sie eine subtile Poesie, die sie weit über gängige Salonmusik à la "Gebet einer Jungfrau" erhebt. Der Variationszyklus Andante con variazioni op. 83a für Klavier zu vier Händen von 1844 gehört gewiss dazu.

Das Werk fußt auf dem drei Jahre zuvor entstandenen Variationszyklus gleichen Namens für Klavier solo. Für die vierhändige Fassung komponierte Mendelssohn Teile neu und ergänzte den Zyklus um zwei weitere Variationen. Die Bandbreite der Variationen reicht von der Umspielung des liedhaften Variationsthemas über Verwandlungen im hämmernden Martellato-Stil bis zur orchestral angelegten Finalvariation, der eine flotte Coda – Allegro assai vivace – angefügt ist. Das Werk war, wie das Titelblatt verrät, für die sonntäglichen Konzerte im Hause Hensel gedacht. Dort wird es Mendelssohn gewiss mit seiner ebenfalls Klavier spielenden Schwester Fanny, die mit dem Maler Wilhelm Hensel verheiratet war, mehr als nur einmal zur Aufführung gebracht haben. Wie schade, dass es damals noch keine Möglichkeit zur Tonaufzeichnung gab.


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