Brecht-Verfilmung

Schwanken durch den Dichteralltag

Schauspieler Sigi Graue als Ekart und Rainer Werner Fassbinder als Baal
Schauspieler Sigi Graue als Ekart und Rainer Werner Fassbinder als Baal im Film von 1970 © Volker Schlöndorff, Weltkino Filmverleih
Von Patrick Wellinski · 19.03.2014
Fast 44 Jahre nach seiner Entstehung kommt Volker Schlöndorffs "Baal" wieder in die Kinos. Die Witwe Bertold Brechts, Helene Weigel, hatte die Aufführung damals untersagt. Die restaurierte Fassung von 1970 erscheint auch als DVD - ein wuchtiges Meisterstück.
"Alle Laster sind zu etwas gut / Und der Mann auch, sagt Baal, der sie tut", heißt es in Bertolt Brechts "Baal" von 1918. Brecht schrieb das Drama, da war er gerade 20 Jahre alt. Die Idee dazu kam Brecht ,als er Hanns Johnsts "Der Einsame" sah. Die expressionistische Verklärung, die er in Johnst Stück wahrnahm, wollte er mit seinem "Baal" bekämpfen.
Der deutsche Regisseur Volker Schlöndorff transportierte 1970 "Baal" mit seiner Verfilmung in die bundesdeutsche Realität der 1968er/69er Jahre. Und besetzte in der Hauptfigur den damals 24-jährigen Rainer Werner Fassbinder. Ein kongenialer Coup, denn der wuchtige Fassbinder porträtiert den Baal als fluchenden, saufenden und herumhurenden Straßendichter als Aufbruchscharakter. Die dringliche Wut und das Aufbegehren der 68er-Generation findet hier in all ihren Ausformungen und Schattierungen ein unvergessliches Sprachrohr. Lange hat man im deutschen Kino niemanden mehr gesehen, der mit solcher Inbrunst eine Leinwand dominiert.
Das Kameraauge als Gewissen
Fassbinders Performance ist dabei kein Relikt der Vergangenheit. Sie wirkt frisch und modern als wäre der Film erst vor ein paar Wochen in Münchener Hinterzimmern gedreht worden. Das unterstreicht Volker Schlöndorffs mutiger Regiestil. Seine Kamera wandelt und schwankt mit Baal durch den Dichteralltag. Beobachtet mal ruhig, dann wieder hektisch-nervös, wie Baal seine Mäzene beleidigt oder wie er Frauen misshandelt. Das Kameraauge ist hier eine Art Gewissen, das die Figuren ständig nach ihren Handlungsmotivationen befragt und das Gezeigte sofort reflektiert.
Wenn man das heute, knapp 44 Jahre nach der Entstehung, betrachtet, wundert es nicht, dass die Brecht-Witwe Helene Weigel beim Anblick von Schlöndorffs Werk sofort jegliche Aufführung des Films untersagt hat. Der Streit mit den Brecht-Erben hat Volker Schlöndorff keine Ruhe gelassen. Knapp ein halbes Jahrhundert kämpfte er gegen diese Entscheidung. Erst vor kurzem hat er bewirkt, dass sein Film wiederaufgeführt werden kann. In einer herrlich restaurierten Fassung wird "Baal" in einigen ausgewählten Kinos zu sehen sein, und natürlich auf DVD. Doch egal in welcher Form man dieses wuchtige Meisterstück sieht, seine größte Wirkung erzielt "Baal" vielleicht aus der Tatsache, dass einem schlagartig bewusst wird, dass derart gegenwärtiges und radikales Kino heute in Deutschland nicht mehr produziert wird.

"Baal"
BRD 1970, Regie: Volker Schlöndorff
Darsteller: u.a. Rainer Werner Fassbinder, Hanna Schygulla, Sigi Graue
80 Minuten

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