"Heil"-Regisseur Dietrich Brüggemann

"Ich will maximalen Sarkasmus"

Szene aus dem Kinofilm "Heil".
Szene aus dem Kinofilm "Heil". © X-Verleih/dpa
Moderation: Patrick Wellinski · 18.07.2015
Mit "Heil" bringt Dietrich Brüggemann eine Komödie über deutsche Neonazis in die Kinos. Wir sprechen mit dem Regisseur über die Idee zu seinem Film, die "Oberlehrerhaltung" mancher Kritiker und eine Filmförderung, die viel Mittelmaß produziert.
Patrick Wellinski: War der Ausgangspunkt für Ihren Film "Heil" eher ein konkretes Ereignis oder eine Wut über die Situation im Lande?
Dietrich Brüggemann: Ja, man hat ja für einen Film immer mehrere Gründe. Das eine ist tatsächlich so ein Grundboden, den man im Kopf hat. Der wird bereitet über die Jahre, dadurch, dass man sich die Welt anschaut. Und dann gibt es immer so ein Ereignis, was es dann auslöst. Das Ereignis war natürlich der NSU, der im Herbst 2011 explodiert ist, und im Frühjahr 2012 entstand die Idee für den Film. Aber halt auf der Grundlage dessen, dass ich mir wie jeder Mensch öffentliche Diskurse anschaue und dann immer denke, oh Gott, was ist denn mit den Leuten allen los? Und so entstand dieser Film.
Wellinski: Jetzt haben Sie keinen klassischen Erzählfilm mit einer Hauptfigur geschaffen, sondern eher ein Panoptikum von Deutschland 2015. Können Sie uns mitnehmen in den Prozess, wie Sie das Drehbuch gestaltet haben, wie Sie sich konkret der Erzählung in "Heil" genähert haben?
Brüggemann: Ich habe den Film tatsächlich gesehen wie so eine Art von Parlament, wo jede Bevölkerungsgruppe einen Vertreter hinschickt. Und das ist leider so ein Parlament, wo jede Bevölkerungsgruppe und jede soziale Gruppierung leider ihren größten Idioten als Vertreter hinschickt, das ist also ein sehr schlimmes Parlament.
Wellinski: Im Prinzip geht es ja auch um ein Neonazikomplott in Deutschland und alle stellen sich mehr oder weniger doof an. Sie haben es schon gesagt, Sie verzichten hier auch auf eine klassische Identifikationsfigur. Meinen Sie, dass der Zuschauer da sich nicht wiederfindet, oder ist der auch doof?
Brüggemann: Ich möchte eigentlich, dass man sich in jeder dieser Figuren wiederfindet und dann entsetzt abwendet und sich fragt, muss das denn wirklich so sein? Das ist natürlich ein sehr hehres Ziel und wird wahrscheinlich dann auch natürlich nicht bei jedem erreicht, da sind bestimmt genug Leute, die diese Identifikation nicht herstellen können. Das hat dann, glaube ich, oft was zu tun mit einer liebevoll-skeptischen Distanz zu sich selbst, wo man sich nicht ganz als authentischen monolithischen Block wahrnimmt, sondern die eigene Idiotie als durchaus abgespaltenen Teil seiner selbst sehen kann. Ich glaube, der Fachausdruck für diese Geisteshaltung ist Humor, den hat auch wirklich nicht jeder. Aber ich hoffe, genügend Leute.
Wellinski: Das ist sehr interessant, die Spannbreite des Humors in Ihrem Film reicht von wirklich sehr sophisticated Gags, wenn es darum geht, wie der Verfassungsschutz kein Internet hat, wie sie ihre V-Männer in Wäldern irgendwie in Empfang nehmen. Und dann gibt es auch schon eher Monty-Python-Kalauer, wenn es darum geht, dass der Richter auf dem rechten Auge blind ist. Wie entscheiden Sie das eigentlich, was für ein Witz in Ihren Film reinkommt? Das, was Ihnen gefällt, das, was Sie zum Lachen bringt?
Dietrich Brüggemann nimmt deutsche TV-Rituale aufs Korn
Brüggemann: Ja, man hat schon immer so ein inneres Publikum, so einen vollbesetzten Kinosaal im Kopf, der dann lacht oder nicht lacht. Man muss ja bei Humor irgendwie subjektiv sein. Ich glaube, niemand, den ich irgendwie ernst nehmen und wertschätzen kann, geht da mit so einer Der-Köder-muss-ja-dem-Fisch-schmecken-Haltung ran und sagt, ich finde das jetzt schlimm, aber die Leute mögen es. Das geht, glaube ich, gar nicht. Insofern ist der Humor im Film vielleicht eine wilde Mischung, vielleicht ist ja auch alles total platt, das werden mir dann größere Geister in größeren, überregionalen Zeitungen sagen, wie das ist.
Wellinski: Sie nehmen in dem Film ja schon die Diskussion über den Film vorweg. Es gibt da Talkshows, wo über das Problem gesprochen wird, da taucht auch eine Figur auf, die Dietrich Brüggemann heißt rein zufällig, der auch einen Film gemacht hat. Heißt das, Sie wollen, dass nicht so über den Film diskutiert wird, also jetzt nicht wieder nach Haltung gefragt wird, nach dem, ob man sich so dem Neonaziproblem überhaupt nähern kann, oder wollen Sie, dass anders darüber gesprochen wird?
Brüggemann: Es ist ein völlig verwegener Wunsch sich zu wünschen, dass öffentliche Diskurse auch mal anders ablaufen könnten als in diesen Talkshow-Ritualen, die ich ja wirklich grässlich finde und womit ich auch nicht alleine bin. Also, auch Monty Python und Loriot haben ungefähr so ein Drittel ihrer Karriere mit Fernsehritual-Verarschung bestritten. Da ist halt so ein Betrieb entstanden, der von jedem immer nur genau eine Aussage haben will und jeden auch in so eine Rolle reindrängt.
Eine schöne Geschichte dazu letztens, ich habe es irgendwo aufgeschnappt, so ein Kongress von Rabbinern, die sich eigentlich eher unterhalten übers Eherecht im Judentum und Beschneidung und so, dann kommen dann ganz viele Journalisten und fragen so lange, bis sie die Antwort kriegen, die sie hören wollen, hinterher steht in der Zeitung: Rabbiner warnen vor Erstarkung im Antisemitismus! Und das ist das Einzige, was die in der Öffentlichkeit sagen dürfen.
Diese Modelle und Muster, nach denen so ein Medienstatement-Abfeuerbetrieb funktioniert, war natürlich klar, dass das im Film stattfinden muss. Und wenn das im Film stattfinden muss, auch der Film selber natürlich da stattfindet. Natürlich schicke ich da so einen Filmregisseur hin, der eine Komödie mit Nazis gemacht hat, und der heißt dann wie ich, aber sieht anders aus und redet dann auch ziemlichen Blödsinn. Da kommt man ja nicht raus aus der Nummer.
Wellinski: Interessant, wenn man sich jetzt Ihre vorherigen Filme noch mitdenkt, wenn man "Heil" sieht: Sie wechseln ja schon den Ton von Film zu Film, es gibt aber durchaus so ein Brüggemann-Stilmittel, sagen wir mal Tabubruch, Provokation, Polemik, in irgendeiner Form spielt das da immer eine Rolle. Ist das ein bewusstes Stilmittel oder suchen Sie noch nach einem Stil, oder wollen Sie überhaupt einen Stil haben, den man dann den Brüggemann-Stil nennen könnte?
"Die intellektuellen Sphären rotten sich in Mobs zusammen"
Brüggemann: Ich versuche immer, maximalen Sarkasmus in allen Filmen unterzubringen dahingehend, dass man die Figuren nüchtern und böse da packt, wo sie halt ihre peinlichsten Stellen haben. Das ist natürlich in "Heil" jetzt zum Extrem gesteigert. Das dann aber ausbalanciert mit maximalem Humanismus, dass man die Leute wirklich trotzdem richtig gerne mag. Das ist, glaube ich, bei "Heil" jetzt einfach hinten runtergefallen.
Wellinski: Das ist jetzt eine große Frage, aber: Ist das denn auch eine Idee von Kino, die Sie vertreten? Also jetzt im Fall von "Heil" könnte man sagen, das Kino soll Alternativräume aufmachen, soll zeigen, wie es besser geht. Sie zeigen einfach, wie es ist, und überzeichnen das dann in die Satire?
Brüggemann: Man versucht ja immer, Grenzen zu sprengen und durch Wände zu rennen, nicht weil man das so toll findet, durch Wände zu rennen, sondern man denkt, dass der Raum, den man bisher hatte, irgendwie nicht ausreicht oder schon voll besetzt ist. Aber dann ist man auch in so einem Hase-und-Igel-Rennen und stellt fest, hier ist schon jemand da oder jetzt wirft einem jemand genau das vor, dass man so auf ausgetretenen Pfaden durch die Wände rennt oder so. Da steht dann jetzt in einer Kritik tatsächlich drin: Zielt auf eine Endlich-mal-was-anderes-Rezeption. Wo man dann denkt, mein Gott, da versucht man, was anderes zu machen, und dann wird einem vorgeworfen, dass man auf so eine Rezeption abzielt! Das ist total schlimm! Was wäre die Alternative? Zielt auf eine Film-so-wie-alles-andere-Rezeption? Man versucht, neues Gelände zu erobern, und kriegt dann gesagt, dass man da aber der Hundertzwanzigtausendste ist, der das macht. Und so dreht sich das dann immer im Kreis.
Wellinski: Fühlen Sie sich eigentlich missverstanden? Sie gehören ja zu einer Gruppe von jungen Filmemachern, die wirklich versucht, dann diese Widerstände zu überwinden, auch diesen Förderapparat irgendwie aufzurütteln. Eigentlich müsste man Ihnen ja dankbar sein.
Brüggemann: Ja, es bewegt sich was im deutschen Film dahingehend, dass Leute halt irgendwie Impro-Filme ohne Geld machen und nicht um Erlaubnis fragen. Das Englische hat da den schönen Ausdruck: Unapologetic. Die scheren sich halt um nichts. Und das ist ganz, ganz toll, denn so eine Haltung, in der man die ganze Zeit so auf Knien zu so einem Entscheider rutscht und sagt, darf ich bitte diesen Film machen, der ist auch ganz brav, da kommt ja nichts Gutes bei heraus. Aber dass man dann aus Teilen der Kritik immer irgendwie Gegenwind kriegt, das ist dann halt leider so. Das ist jetzt, glaube ich, auch nichts spezifisch Deutsches.
Spezifisch deutsch ist vielleicht schon so eine gnadenlose Oberlehrerhaltung, wo sich auch in den intellektuellen Sphären so Mobs zusammenrotten. Zum Beispiel in den 70er-Jahren musste Kinder- und Jugendliteratur gesellschaftlich-kämpferisch auftreten und die jungen Leute darauf hinweisen, dass es viel Ungerechtigkeit in der Welt gibt, dass man was dagegen tun muss. Und ein Michael Ende, der halt auf einem anderen Feld tätig war, war davon so tief getroffen und dem hat das so das Leben vergällt, dass er nach Italien abgehauen ist und sich eine Villa gekauft hat, wofür er zum Glück das Geld hatte. Ich weiß nicht, ob solche Strukturen, dass der ganze intellektuelle Diskurs immer so für ein paar Jahre von einer einzigen Idee übernommen wird, und wer da nicht mitmacht, ist böse, ich weiß nicht, ob das spezifisch deutsch ist. Vielleicht nicht.
Wellinski: Sie drehen ja auch mit Freunden. Das ist ja auch so ein Pool von Kreativität, der da entsteht. Interessanterweise ist das Drehen unter Freunden zum Beispiel in Amerika oder in Frankreich sehr populär immer schon gewesen, auch sehr anerkannt, in Deutschland war das irgendwie nicht so. Das hat was von "die unter sich" und "die machen da ihr Ding". Empfinden Sie das auch so, dass diese Art Drehen mit Freunden in Deutschland gar nicht so gut angesehen ist?
Wie lässt sich ein schwerfälliges System verändern?
Brüggemann: Man muss unterscheiden, man hat ja immer so sein Team, Kamera, Kostüm, Schnitt und so weiter. Das sind immer dieselben, das braucht man einfach. Dass man aber Regiekollegen vor die Kamera zerrt und sich auch da austauscht, das kenne ich jetzt aus Deutschland tatsächlich nicht so. Ich habe irgendwie vor vielen Jahren damit angefangen, eher so aus Zufall heraus, und habe dann festgestellt, dass das ganz toll ist aus ganz vielen Gründen, was so eine Vereinzelung überwindet. Und ich meine, es hat ja schon immer Bewegungen gegeben in Deutschland, die Berliner Schule, das waren auch Regisseure, die in regem Austausch standen, auch intellektuell sich sehr, sehr untermauert haben, was sie da gemacht haben. Aber die wären nie auf die Idee gekommen, sich selber in ihren Filmen zu besetzen. Vielleicht ist da genau auch der Unterschied.
Wellinski: Was würden Sie sich fürs deutsche Kino wünschen, wenn Sie ja schon so gegen die großen Windmühlen andrehen? Wie sollte denn ein gutes Umfeld für Filmemacher aussehen in Deutschland, wenn wir jetzt mal wirklich so ein ideales Bild entwerfen würden?
Brüggemann: Na ja, wir fühlen uns ja eigentlich gerade wohl und machen die Filme, die wir machen wollen. Widerstände gibt es immer, und ich glaube, wenn man sich darüber beschwert, dann unterliegt man einer perspektivischen Täuschung. Film ist teuer, man hat immer irgendwelche Finanzentscheider, die einem halt sagen, was man machen darf oder nicht. Und da muss man halt irgendwie geschickt mit umgehen. Was, glaube ich, schon so ein Problem in diesem Land ist, ist so eine unglaubliche Konsensorientiertheit. Die Entscheider sind immer sehr, sehr viele. Man hat dann hier so ein Gremium und dann da noch so ein Gremium, da sitzen zehn, da sitzen zwölf Leute und dann hier drei Redakteure und vier Produzenten und so.
Jeder einzeln irgendwie vielleicht tolle Leute, aber in dieser Summe entsteht dann einfach so ein Gremiengeist, der dann die Dinge sehr in die Mitte zieht und eindampft. Und dann wird jedem auch kleinen Film, der radikal sein könnte, doch noch irgendwie so ein Kommerzklotz ans Bein gehängt. Und ich sehe es mit Freude, dass jetzt doch immer mehr Sachen passieren, die da wirklich unbeirrt ihren eigenen Weg gehen wie zum Beispiel "Victoria". Ich weiß nicht, ob der vor ein paar Jahren so möglich gewesen wäre.
In Dänemark ist es so, da ist die Förderung eh zweigeteilt in kommerzielle und künstlerische Filmvorhaben, das ist separat. Und über die künstlerischen entscheidet einer alleine. Weil die sagen, eine künstlerische Entscheidung kann jetzt nicht von einem Komitee getroffen werden, wir halten das für Quatsch. Aber das darf nicht zu so einer Machtkonzentration kommen, deswegen ist es auf fünf Jahre begrenzt, und die Stelle ist auch doppelt besetzt. Also, wenn er einen blinden Fleck hat, dann kann ich immer noch zu seinem Kollegen gehen und mich da vielleicht fördern lassen. Also, ich glaube, um das schwerfällige System zu ändern, muss man diese Änderung erst wieder in einem schwerfälligen System durchboxen. Deswegen bleibt dann halt letzten Endes doch nur Einzelkämpferei und Vorausrennen und Hoffen, dass der Betrieb hinterherkommt.
Wellinski: Herr Brüggemann, dann wünsche ich Ihnen viel Kraft! Viel Erfolg mit dem Film und weiterhin viel Erfolg mit Ihrem Filmemachen!
Brüggemann: Danke schön!
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