Braune Namen über Schultoren

Geralf Gemse im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 03.02.2009
NS-Größen als Namensgeber für Straßen und Plätze - mit diesem Thema beschäftigen sich Geschichtswissenschaftler seit Jahren. Dass auch Schulen die Namen von SS-Männern, Antisemiten und Rassisten tragen, ist weniger bekannt. Der Chemnitzer Historiker Geralf Gemser hat in einer Studie nachgewiesen, dass im Bundesland Sachsen mindestens 16 Schulen noch heute Namen von Nazis tragen. Dennoch handele es sich nicht um ein speziell ostdeutsches Problem, betonte Gemser.
Liane von Billerbeck: Der Name der Studie klingt nüchtern und doch enthält sie politischen Diskussionsstoff: "Unser Namensgeber - Widerstand, Verfolgung und Konformität 1933-1945 im Spiegelbild heutiger Schulnamen". Der sächsische Historiker Gerald Gemser hat über 30.000 deutsche Schulnamen bundesweit untersucht. Die sächsischen sind bislang komplett ausgewertet. Ergebnis: Mindestens 16 Schulen in Sachsen tragen noch heute Namen von Nazis. Bundesweit - schätzt er - dürften es über hundert sein.

Mit dem Historiker Geralf Gemser bin ich jetzt telefonisch verbunden. Ich grüße Sie!

Geralf Gemser: Guten Morgen!

von Billerbeck: Ein Rassenhygieniker der Nazis als Namensgeber für eine Körperbehindertenschule: Wie kann das sein?

Gemser: Ja, Sie sprechen hier anfangs einen sehr brisanten Fall an. Jede Namensgebung hat eine bestimmte Ursache, es gibt verschiedene Ursachen. Hier ist vor allen Dingen die Geschichtsschreibung beziehungsweise die Erinnerungskultur der DDR verantwortlich, die also in diesem Fall noch nachwirkt. Man hat also Fetscher damals zu einem Widerstandsakteur stilisiert, man hat geltend gemacht, dass er gegen die Euthanasiemorde war, später dann auch wohl Juden und Zwangsarbeiter behandelt hat, ihnen geholfen hat. Und er kam dann zu Kriegsende ums Leben durch ungeklärte Umstände, ist erschossen worden. Dies reichte aus zu einer Widerstandsbiografie. Allerdings wurde die Zeit bis zu den Euthanasiemorden ausgeblendet. Erst in den letzten Jahren beschäftigt man sich näher damit. Es hatte ja auch in der Nähe von Dresden ein Gymnasium gegeben, in Pirna, was aber inzwischen nicht mehr existiert.

von Billerbeck: Wer sind denn die Nazis, nach denen heute noch sächsische Schulen benannt sind? Sagen Sie doch mal die anderen Beispiele, also vielleicht noch ein anderes Beispiel von diesen 16 Schulen, die noch nach solchen Menschen heißen.

Gemser: Vorab möchte ich gerne noch mein eigentliches Anliegen, meine Arbeit noch mal ins richtige Licht rücken. Also mir ging es nicht allein um die Herauslösung der NS-belasteten Namensgeber, wie es in den letzten Tagen in der Presse vor allen Dingen veröffentlicht wurde. Für mich war wichtig der Zeitrahmen 1933 bis 45. Ich wollte gerne wissen, welche Rolle spielt Widerstand, welche Rolle spielt Holocaust und eben auch, welche Rollen spielen NS-konforme Personen in der Namenslandschaft in Sachsen beziehungsweise bundesweit.

Jetzt konkret zu den NS-Belasteten. Gestern hörte ich vereinzelt Begriffe wie Nazigrößen, Nazitäter, davon kann also in diesen Fällen ja keine Rede sein. Wir haben es also mit Mitgliedschaften zu tun. Es geht um eine gewisse Haltung, die zu kritisieren ist und die natürlich in bestimmten Fällen auch brisant ist. Man muss aber auch differenzieren. Unter den acht Parteimitgliedern, es gibt auch noch andere Mitgliedschaften, unter den acht Parteimitgliedern sind zum Beispiel auch zwei Schriftsteller, ein Schriftsteller, ein Maler, die waren völlig mittellos, haben dann die Partei gebeten um finanzielle Unterstützung. Denen kann man jetzt im juristischen Sinne nichts vorwerfen. Aber die Kommunen, die Entscheidungsträger, die muss man natürlich dann auch fragen, wo ist die Vorbildwirkung auch bei diesen Personen. Oder ein anderes Beispiel, Rudolf Mauersberger, auch Parteimitglied. Bei ihm muss man berücksichtigen, er war Leiter des Kreuzchores in Dresden und er stand während der NS-Zeit dann auch unter einem gewissen Druck, wollte seinen Chor weiterführen und trat wohl deshalb dann unter einem gewissen Zwang in die Partei ein. Also man muss differenzieren, Unterschiede machen, aber insgesamt ist es natürlich ein brisantes Ergebnis.

von Billerbeck: Nun haben Sie ja bisher nur die Namen der Schulen von Sachsen ausgewertet. Man könnte ja auf die Idee kommen, das sei vorrangig ein ostdeutsches Problem, wo man nach 1989 in den neuen Ländern Schulnamen geändert hat und Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht und Lenin verschwanden und neue Namensgeber gesucht wurden. Wie hat man die denn gefunden und hat man gründlich genug nachgeforscht?

Gemser: Also ein speziell ostdeutsches Problem ist es nicht. In anderen Bundesländern sind, wie Sie schon ansprachen, also auch zahlreiche Mitgliedschaften, NS-Mitgliedschaften zu finden. Speziell kommt, wie Sie schon sagen, in Ostdeutschland dazu dieser Bruch 1990. Die kommunistischen Führer aus der ersten Reihe sind verschwunden - Pieck, Ulbricht, Lenin -, aber in meiner Arbeit erwähne ich das auch, es gibt aber immer noch aus diesem Bereich Altlasten. Wenn ich da zum Beispiel an Erich Weinert denke, ein Dichter, ein Trommler und Aufrührer aus der Zeit vor 1933, der also auch heute noch Namensgeber einer Schule ist. Also auch aus diesem Bereich gibt es noch einige Fälle, wo man drüber diskutieren müsste. Man hat dann im lokalen Bereich gesucht und hat sich aber teilweise wieder neue Probleme damit eingefangen, teilweise wissentlich. Es sind also von den acht Parteimitgliedern, NSDAP-Mitgliedern ...

von Billerbeck: In Sachsen jetzt?

Gemser: In Sachsen sind sieben erst nach 1990 als Namen genutzt worden. Von zwei Fällen weiß ich, dass es wissentlich geschah. Man wusste also bei der Namensgebung, dass es Parteimitglieder waren.

von Billerbeck: Nun sind Sie ja auf das Thema gestoßen gerade nicht in Sachsen, sondern an einer Schule in Berlin-Charlottenburg, die Erich-Hoepner-Gymnasium hieß, und Sie haben denen dann durch Ihre Forschungen gesagt, was Sie über Erich Hoepner herausgefunden haben, der als Armeebefehlshaber der Wehrmacht durchaus für großes Leid und Zerstörung in den benachbarten Ländern Polen, Belgien, Frankreich und der Sowjetunion verantwortlich war, dann aber im Zusammenhang mit dem 20. Juli hingerichtet worden ist. Wie waren denn die Reaktionen an dieser Schule, als Sie denen Ihre Erkenntnisse mitgeteilt haben?

Gemser: Ja, erst mal eine gewisse Abwehrhaltung, und natürlich hat man mich nicht mit offenen Armen dort empfangen, das kann ich auch nicht erwarten. Ich galt da schon als Störenfried. Ich habe da aber, wie ich dann merkte, eine alte Wunde aufgerissen, also es gab ja immer wieder dort Diskussionen, immer in verschiedenen Abständen, mit gewissen Ruhephasen.

von Billerbeck: Wie lange hat der Prozess gedauert, bis man die Schule dann umbenannt hat in Heinz-Berggruen-Schule?

Gemser: Also nach meiner Buchveröffentlichung im Herbst 2005 waren es dann noch acht Monate, also Ende Sommer 2006 fiel dann die Entscheidung, wir suchen jetzt einen neuen Namen.

von Billerbeck: Herr Gemser, was sind eigentlich gesetzliche Maßgaben für Schulnamensgebungen? Gibt es da Regeln?

Gemser: Also von Berlin her weiß ich, dass immer drauf geachtet wird, ohne jetzt gewisse Paragrafen zu nennen, dass die Diskussion immer in der Schule geführt wird, dass die Initiative zu einer Umbenennung aus der Schule heraus erfolgt, dann an die Gemeinde, an die Stadt herangetragen wird und der Ablauf dann also so auf diesem Wege gestaltet wird. Ob das immer so geschieht, kann ich nicht sagen, aber in den meisten Fällen ist das so angedacht. Und ich wünsche mir das auch für Sachsen, weil ich hörte gestern von einigen Politikern, dass also jetzt rigoros alle kritischen Namen sofort abgelegt werden müssten.

von Billerbeck: Das ist genau das, was Sie nicht wollen, Sie wollen Differenziertheit.

Gemser: Das war ganz falsch. ES soll jetzt vor Ort in den Schulen mit diesen neuen Details umgegangen werden und in den Schulen sollen die Entscheidungen gefunden werden, wie auch immer.

von Billerbeck: Nun gibt es ja sehr viele Schulen, die beispielsweise Geschwister Scholl heißen, wie Sie auch herausgefunden haben in Ihrer Studie. Was empfehlen Sie denn Schulen, wo sollen sie sich ihre Vorbilder suchen? Wer könnte dann Namensgeber sein?

Gemser: Der einfachste Weg oder am wichtigsten ist natürlich erst mal, in der Kommune zu suchen, in der Stadt, in der Umgebung. Solche Fälle wie Scholl oder Anne Frank, die gibt es überall. Ich denke, oft hat man sich es doch leicht gemacht. Ich will jetzt die Biografien von Scholl nicht schmälern, aber es wäre doch in vielen Fällen sicher auch möglich gewesen, eine lokale Person zu nehmen statt Scholl oder diese weithin bekannten.

von Billerbeck: Wie beispielsweise einen Amtsrichter in Sachsen, der nach 1940 versucht hat, Roland Freisler anzuklagen.

Gemser: Ja, zum Beispiel Lothar Kreyßig, das ist für mich jetzt hier in Sachsen doch eine herausragende Persönlichkeit. Er hat also den Mut gefunden, gegen die Euthanasiemorde die Stimme zu erheben und hat mit Mordanklage gedroht gegenüber Freisler.

von Billerbeck: Braune Namen über Schultüren. Der Historiker Geralf Gemser war mein Gesprächspartner. Herr Gemser, ich danke Ihnen! Seine Studie "Unsere Namensgeber - Widerstand, Verfolgung und Konformität 1933 - 1945 im Spiegelbild heutiger Schulnamen", die ist gerade in der Akademischen Verlagsgemeinschaft erschienen. 78 Seiten kosten 19,90 Euro.