Klimanotstand und Kapitalismus

Brauchen wir eine neue Wirtschaftsordnung?

46:10 Minuten
Trockenes Flussbett der Isar.
Wirtschaften mit dem, was die Erde leisten kann - ist Gemeinwohl-Ökonomie die richtige Antwort auf die Klimakrise? © imago/ imagebroker
Moderation: Simone Miller · 08.12.2019
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In der EU gilt der Klimanotstand. Aber müssen die freien Märkte fallen, um das Klima zu retten? Darüber streiten der Philosoph Wolfram Eilenberger, der Gemeinwohl-Ökonom Christian Felber und Alexandra Gavilano von Extinction Rebellion.
Kurz vor Beginn des UN-Klimagipfels in Madrid hat das Europaparlament mit großer Mehrheit den Klimanotstand ausgerufen. Dieser Schritt habe vor allem symbolischen Wert, sagt die Schweizer Umweltwissenschaftlerin Alexandra Gavilano. Trotzdem begrüße sie die Entscheidung, "weil damit ein klares Zeichen an die Politik gesendet wird, etwas zu tun", so Gavilano, die sich zugleich als Aktivistin in der Umweltschutzbewegung Extinction Rebellion engagiert.

Rhetorik der Ausnahmesituation

Das Votum der EU-Parlamentarier unterstreiche die Dringlichkeit, wirksame Maßnahmen zum Schutz des Klimas zu ergreifen, bestätigt der Berliner Philosoph Wolfram Eilenberger. Er finde es jedoch problematisch, "dass dies mit einem Vokabular getan wird, das am Notstand orientiert ist und damit eine Ausnahmesituation suggeriert". Diese Rhetorik erscheine ihm fragwürdig, zumal der "Notstand", einmal ausgerufen, konsequenterweise "für die nächsten 100 Jahre ausgerufen bleiben" müsse.
Christian Felber bei einem Handstand.
Sucht die Balance von Wirtschaft und Umwelt: Christian Felber, Autor, freier Tänzer und Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie.© Uschioswald
Der Wiener Autor und Mitbegründer von Attac Österreich, Christian Felber, sieht den Notstand an anderer Stelle. Er macht als Kern der Klimakrise einen "ökonomischen Bildungsnotstand" aus: "Wir sollten nicht weiterhin an den Universitäten und Business Schools lehren, dass menschliche Bedürfnisse unbegrenzt sind, dass Unternehmen profitorientiert sein sollen, und dass die Wirtschaft immer weiter wachsen soll", so Felber. Die Wirtschaftswissenschaft brauche dringend ein anderes Menschenbild, neue Maßstäbe und Rahmenbedingungen.

Gemeinwohl-Ökonomie als Alternative

Das Klimaziel, die Erderwärmung auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen, hält Christian Felber für unvereinbar mit unserer derzeitigen Wirtschaftsordnung. Als Alternative zum wachstumsorientierten globalen Kapitalismus hat er ein Modell der "Gemeinwohl-Ökonomie" entwickelt, das ökologische Grenzen des Wirtschaftens definiert:
"Die Wirtschaftsfreiheit reicht nur so weit, bis ich nicht nur keinen anderen Menschen schädige, sondern auch die Ökosysteme nicht schädige. Das ist der Spielraum, innerhalb dessen sich die Wirtschaftsfreiheit entfaltet."
Der Journalist Wolfram Eilenberger liest und diskutiert auf der phil.cologne, dem grössten deutschen Philosophie Festival .
Verteidigt Unternehmertum als Grundrecht: der Philosoph und Publizist Wolfram Eilenberger© imago /Horst Galuschka
Wolfram Eilenberger hält dem entgegen, dass auch ökonomische Wahlfreiheit, ökonomische Selbstentwicklung und ökonomisches Unternehmertum als "eine Art Grundrecht des menschlichen Daseins" zu betrachten seien. Dass eine "Selbstbeschränkung" dieser Grundrechte als "autonome Entscheidung in demokratischen Prozessen" vollzogen werden könnte, hält Eilenberger "unter den derzeitigen Gegebenheiten für sehr unwahrscheinlich".

Ein Notstand, der für Viele noch weit weg ist

Dafür sei die Klimakrise im Bewusstsein der meisten Menschen in den Industrieländern noch immer zu wenig angekommen:
"Es ist nämlich so, dass wir uns in einer extremen Notsituation befinden, deren faktische Gegebenheit wir lebensweltlich nicht spüren. Das heißt, wir haben uns in einen Notstand zu imaginieren, der kommen wird, der aber nicht da ist – und die Handlungsweise danach auszurichten. Und es ist derzeit überhaupt nicht klar, wie das unter demokratischen Bedingungen realisierbar sein sollte."
Alexandra Gavilano, spricht bei einer Aktion von Extinction Rebellion.
Appelliert an die Verantwortung Europas für den Rest der Welt: Alexandra Gavilano, Aktivistin und Umweltwissenschaftlerin© dpa/ KEYSTONE
Alexandra Gavilano hält deshalb neben dem wirtschaftlichen Wandel eine Neuausrichtung des westlichen Blicks für dringend geboten: "Wir müssen uns bewusst sein, dass wir in Europa eine ganz andere Realität haben als der Großteil der Weltbevölkerung."

Verzicht auf Konsum, Verlust der Heimat

Es sei zwar richtig, dass die notwendige Transformation in den Industrieländern ökonomische Einschnitte und "Verzicht auf materielle Güter" erfordere, so Gavilano. Klar sei jedoch, "dass es uns trotzdem weniger kostet als andere Länder, die bereits jetzt Menschenleben verlieren, die ihre Heimat verlieren aufgrund der Folgen des Klimawandels."
Wie zwischen Klimagerechtigkeit und Verteilungsgerechtigkeit vermittelt werden müsste, wie eine pragmatische Umsetzung der Klimaziele durch "Ökokonten" aussehen könnte, ob Fortschritt im Verzicht liegt, und was ganz konkret im Alltag zum Schutz von Klima und Umwelt getan werden kann, auch darüber haben Alexandra Gavilano, Christian Felber und Wolfram Eilenberger diskutiert.
(fka)
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