Brasiliens Kultur im Shutdown

Kein Licht am Ende des Tunnels

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Sogenannte 'Motofogs' desinfizieren die Strassen in Brasilien, 31.März 2020.
Desinfektion der Straßen, aber keine Hilfe für die Kultur: In Rio de Janeiro bleiben die Theater geschlossen - und müssen deswegen um ihre Zukunft bangen. © Getty / Luis Alvarenga
Von Michael Laages · 01.04.2020
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Die brasilianische Kultur- und Theaterszene war schon vor dem Coronavirus durch die Politik des Präsidenten Bolsonaro in Lebensgefahr. Die aktuelle Schließung der Bühnen zur Eindämmung der Pandemie verschärft die Lage auf eine dramatische Weise.
Die Hälfte der hausgemacht-brasilianischen Stücke konnte nicht mehr gezeigt werden, als das Internationale Theaterfestival in São Paulo zwei Tage vor dem eigentlichen Finale vorzeitig beendet werden musste – die Millionenmetropole schloss von einer Stunde auf die andere alle Spielstätten, die in der Verantwortung der Megakommune sind. Und das sind mehr als ein Dutzend: Bespieltheater, ohne Ensemble und ausgestattet nur mit einem Minimum an Technik und Verwaltung.

Ein ganz anderes Theatersystem

Daneben gibt es die von Handel und Industrie, Banken und Versicherungen in Eigenregie betriebenen Kulturzentren; grundsätzlich aber – das ist nicht neu und allgemein so in Südamerika – existiert kein auch nur im Ansatz mit Deutschland oder Resteuropa vergleichbares Theatersystem.
Bühnenkunst entsteht nur (und sehr selten) mit Projektförderungen oder der Hilfe von Sponsoren; darüber hinaus ist ganz Brasilien "freie Szene". Und die leidet jetzt wie nie zuvor.
Wagner Carvalho erzählt von der Kollegin aus Salvador de Bahia, die die Miete nicht mehr bezahlen konnte und nach Minas Gerais floh, in eine mietfreie Unterkunft. Carvalho ist Leiter vom Ballhaus Naunynstraße in Berlin und in engem Kontakt mit brasilianischen Kolleginnen und Kollegen. Nichts und niemand bietet denen in der aktuellen Zwangslage von Arbeitslosigkeit und Gesundheitsgefährdung irgendeine Form von Hilfe, irgendeine Perspektive.

Kaum Geld für Rettung der Kulturbetriebe

Die Abgeordneten im Parlament haben Ende voriger Woche zwar eine Hilfszusage über 600 Real für jeden und jede beschlossen; das sind umgerechnet derzeit aber wenig über 100 Euro. Die Regierung hatte 200 Real angeboten, weniger als 40 Euro – und auch wenn die zweite Parlamentskammer den Beschluss mittlerweile mitträgt, weiß der Finanzminister nicht, wo er das Geld hernehmen soll – die Staatsökonomie der Rechtsaußen-Regierung befindet sich im Sturzflug. Ohnehin hat der Präsident die 600 Real-Maßnahme noch nicht offiziell verkündet.
Nuno Ramos blickt freundlich in Richtung des Betrachters.
Der brasilianische Autor und Theatermacher Nuno Ramos lässt kein gutes Haar an Bolsonaros Regierung.© Fabio Guinalz / Fotoarena / imago-images
"Bolsonaro hat alle Sponsorships gecancelt", sagt Rodolfo Garcia Vazquez, Chef vom kleinen "Satyros"-Theater in São Paulo. Vazquez verweist darauf, dass der Horror aber nicht erst mit dem Virus begann, sondern mit der Machtergreifung durch das aktuelle Regime, das Kultur gezielt stört und zerstört, sei es Theater, Kunst, Literatur oder Film.
Nuno Ramos, als Schriftsteller, Regisseur und bildender Künstler zuletzt auch in Zürich und Frankfurt zu erleben, liefert die vernichtende Analyse: Dieses Regime sei ein absurder, vollkommen verrückter Alptraum; und das einzig demokratische daran sei, dass die kultur- und zivilisationslosen Protagonisten gewählt wurden.

Kulturkampf der Rechten gegen die Kunst

Auch Ricardo Bittencourt, mit dem legendären "Teatro Oficina" einst zu Gast in Recklinghausen, Berlin und Mannheim, und derzeit für ein Jahr in Berlin zu Hause, sieht derzeit kein Licht am Ende des Tunnels. Auch er kennt prominente Theaterleute, die die Miete nicht mehr zahlen können – der Kulturkampf der Rechten gegen die Kunst wachse sich in der Virus-Krise zum Massaker aus.

Und doch kämpfen sie, ähnlich wie die Theater hier: stellen alte Produktionen ins Internet und organisieren Shows und Konzerte, sogar Festivals, für die Nutzer am Bildschirm. Der Theaterautor Mario Bortolotto versteigert im Netz eigene Bücher und Plakate seines Theaters.
Suely Torres, Kulturproduzentin aus dem brasilianischen Nordosten und seit über 30 Jahren in Berlin zu Hause, verweist auf eine Netz-Plattform, die die Gemeinschaft von Künstlerinnen und Künstlern stärken soll: "Und wie könnten wir leben ohne Kultur?"
Kultur, sagt Suely Torres, das sei mehr als das täglich Brot. Und im Kampf für sie stünden alle zusammen: "Tamos juntos".
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