Brasilien

Von Anpassung und Widerstand

Militärs tragen eine Sarg mit einer brasilianischen Flagge
Militärische Ehre für den 1964 von den Militärs gestürzten Präsidenten Joao Goulart © picture-alliance/dpa/Fernando Bizerra Jr
Von Étienne Roeder · 07.12.2014
Jahrzehntelang litt Brasilien unter einer Militärdiktatur. Auch die Kirche hat sich damals die Hände beschmutzt. Eine staatliche Wahrheitskommission veröffentlicht am 10. Dezember einen Bericht zu den Menschenrechtsverbrechen in den Jahren 1965 bis 1985.
Eine Woche vor dem Putsch gehen in Sao Paulo im März 1964 500.000 Menschen beim "Marsch der Familie mit Gott für die Freiheit" gegen die geplanten Landreformen des linken Präsidenten Joao Goulart auf die Straße. Die Demonstration bereitet das geistige Klima für den Putsch und wird von den konservativsten Kreisen innerhalb der katholischen Kirche unterstützt. Noch im gleichen Jahr unterzeichnen 25 der wichtigsten Bischöfe Brasiliens eine Deklaration, in der sie die Intervention der Militärs zwar begrüßen, sich aber hinter diejenigen Katholiken stellen, die sich in sozialen Projekten zur Verbesserung der Misere im Land engagieren und seit dem Putsch unter Repressionen leiden. Der Lutheraner Pfarrer Heinz Dressel, der seit 1952 in Brasilien arbeitete, erinnert sich:
"Alles, was nur irgendwie nach Kommunismus riechen konnte, das waren die Feinde. Und was mit denen passierte, das hat man hingenommen. Das sind ja nicht wir, das sind ja andere. Gefoltert worden ist in Brasilien schon immer worden. Oder ich sag´s mal mit Worten aus dem Evangelium. Es ist besser dass ein Mensch sterbe, als dass ein ganzes Volk leide. Irgendwo steckt das dahinter. Und ich hab im Laufe der Zeit gelernt, dass auch kein Mensch sterben darf um des ganzen Volkes Willen. Und das hat man damals bei den Konservativen nicht kapiert gehabt."
Progressive Kreise in der katholischen Kirche richten ihren Fokus schon seit den 50er-Jahren auf die Ausgestoßenen der Gesellschaft. Viele Theologen, Priester und Bischöfe sind zunehmend überzeugt, dass das individuelle Heilsversprechen des Glaubens einhergehen muss mit besseren Lebensbedingungen gerade für die Armen, vor allem mit einem Ende ihrer Ausbeutung. Das zieht fast zwangsläufig auch ein politisches Engagement zugunsten der Armen nach sich. Sogenannte Basisgemeinden, die die Alphabetisierung vorantreiben und besonders in den Peripherien der großen Städte ein Treffpunkt junger Theologen sind, werden daher seit dem Putsch auch zu Horten des Widerstandes.
"Es gibt ja eine bemerkenswerte Tatsache, die sich in einer Basisgemeinde zugetragen hat – dass neben den Katholiken; es waren ja bestimmte Katholiken, nämlich progressive Katholiken, die in den Basisgemeinden waren - dass sich da auch Protestanten eingefunden haben, dass die da teilgenommen haben. Und sogar eine Madre de Deus, also eine Candomblé Mutter der Heiligen. Die Vorsteherin eines afrikanischen Kults in einer Gemeinde. Die haben zusammen im Grunde protestiert gegen das, was auf Seiten der Regierung im Lande insgesamt passiert."
Brutalste Phase der Diktatur: immer mehr Geistliche verschwinden
1968 beginnt die brutalste Phase der Diktatur, immer mehr Geistliche geraten in Gefangenschaft, werden bei Verhören gefoltert oder verschwinden. 1970 veröffentlicht die Evangelisch Lutherische Kirche ein Manifest, in dem sie die unmenschlichen Folterpraktiken anprangern und deren Rechtfertigung selbst in Ausnahmesituationen ablehnen. 1973 veröffentlicht der Erzbischof von Mato Grosso, Fernando Gomes dann einen Hirtenbrief:
"Es herrscht ein Regime der Gewalt, in dem alle überwacht und in den Archiven des Schreckens registriert sind. Alles werde als umstürzlerisch betrachtet, was den unantastbaren Zielen des Regimes entgegensteht, die zu erreichen ihm alle Mittel, auch die infamsten, Recht ist"
1975 wird die CPT, eine pastorale Landkommission gegründet, die schließlich in der Landlosenbewegung MST aufgeht. Seit Mitte der 80er-Jahre kämpft sie im ganzen Land für die Rechte der Kleinbauern und Landlosen. In der praktischen Arbeit der Anhänger der Theologie der Befreiung wurde die Religion in Brasilien politisiert und stand in direktem Widerstand zum repressiven politischen System.
Dressel: "1968 als der Vladimir Herzog, ein Jude, ein Journalist, zu einem Verhör einberufen worden war und dann schwer misshandelt worden war. Und am Schluss hieß es er habe sich erhängt. Aber er hat sich nicht erhängt, er umgebracht, er wurde zu Tode gequält. Da hat dann Dom Paulo in der Kathedrale einen Gedächtnisgottesdienst anberaumt, zusammen mit der israelischen Gemeinde. Und da waren dann 8.000 Menschen zusammen, die gegen die Misshandlungen der Gefangenen protestiert haben in Sao Paulo. Das gab´s sonst im Lande nirgends, das gab´s nur unter Dom Paulo Evaristo Arns."
Dom Paulo Evarista Arns, Erzbischof von Sao Paulo, veröffentlicht im Jahr 1985, nachdem der erste zivile Präsident an die Macht kommt, einen 700 Seiten starken Bericht mit dem Titel: "Tortura Nunca Mais" - Folter Nie wieder! Finanziert wird der Bericht, in dem die Verbrechen der Militärs an Oppositionellen zum ersten Mal öffentlich benannt werden, vom ökumenischen Weltkirchenrat. Er ist der erste Schritt hin zur nationalen Versöhnung und die Grundlage der heutigen Wahrheitskommission. Am 10. Dezember veröffentlicht diese nun ihren Abschlussbericht. Die Rolle der Kirchen dürfte eines der spannendsten Kapitel darin werden.
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