Brasilianische Musiklegende Hermeto Pascoal

"Ich bin hundertprozentig intuitiv"

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Der brasiliansiche Musiker Hermeto Pascoal spielt auf dem Akkordeon während eines Konzerts in Kali, Kolumbien. 10 September 2010. Pascoal, who participates in the Festival Ajazzgo 2010, said 'everything' could be jazz, citing water as an example, since everything has a sound and can be used as an instrument. EPA/Carlos Ortega |
Quirliger Multiinstrumentatlist: Hermeto Pascoal. © picture alliance/ EPA/ Carlos Ortega
Von Katrin Wilke · 21.11.2019
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Vielen gilt Hermeto Pascoal als der "brasilianische Frank Zappa". Der quirlige Multiinstrumentalist mit einer Vorliebe fürs Akkordeon ist Autodidakt und mischt brasilianische Volksmusik mit Jazz. Musik sei seine Mission, sagt der 83-Jährige.
"Am 22. Juni 1936, als ich geboren wurde, der Herrgott mich in diese Welt brachte - von dem Moment an war ich Musiker, wurde schon als solcher geboren", sagt Hermeto Pascoal. "Ich bin Musiker, bin Musik - das fühle ich. Ich bin jemand, der sehr von und mit der Musik lebt - überall. Ich begebe mich an egal welchen Ort der Welt mit dieser Musik, die eine sehr kreative und von überallher beeinflusst ist. Sie befördert somit auch die Einheit aller Völker."
Seinem Geburtsort im nordostbrasilianischen Bundesstaat Alagoas widmete der Multiinstrumentalist 1988 ein ganzes Album voller kapriziöser Stücke wie der Opener "Spock Na Escada" - sowie kurzer Soundspielereien. Wer die Musik von Hermeto Pascoal schätzt, oder zumindest etwas aus seinem riesigen, stilistisch turbulenten Klangkosmos kennt, ihn gar schon mal live erlebt hat, der weiß: Dieses selbstbewusst, fast pamphletisch klingende, weltumspannende Bekenntnis da eben entspringt keiner hochmütigen Laune, sondern vielmehr einer existenziellen, alle Lebensbereiche umfassenden Liebe zur Musik.

Eine Welt voll Klänge

Alles ist Klang, alles Musik - gleichwertig und unhierarchisch - für den "Mago dos sons", diesen konsequent eklektizistischen "Klangzauberer", der wie kein anderer aus Jazz und heimischen Volksmusiktraditionen seine eigenwillig-unverkennbare, wie er sie nennt, "universale Musik" destilliert.
"Die Musik ist eine Mission für mich. Wobei sie sich nicht von anderen Dingen unterscheidet, sondern sich mit jedem anderen Gebiet vergleichen lässt! Zum Beispiel journalistisch zu arbeiten, ist auch Musik für mich. Warum? Du hast deine Ideen, mit denen du deine Interviewfragen stellst. Auch eine Art Instrument. Wir alle machen insofern Musik. Selbst wer kein Instrument spielt. Der ist mitunter sogar musikalischer, mehr Musiker als die eigentlichen Musiker. Das ist total schön!"
"In der Welt der Klänge" heißt das 2017 erschienene Doppelalbum übersetzt, auf dem Track für Track Musikerkollegen bedacht werden. Neben Astor Piazzolla oder Miles Davis unter anderem auch Thad Jones. Die Hommage an diesen von Hermeto Pascoal geschätzten US-Jazzer hat die Gestalt eines flirrenden Frevo angenommen: eine mit dem Karneval im Nordosten Brasiliens verknüpfte Musik- und Tanztradition.

Er fühlt die Musik

Der Frevo und der ebenfalls von dort stammende, längst weltweit populäre Forró werden von Pascoal immer wieder besonders gerne in jazzig-freie, durchaus auch spleenig-verspielte Strukturen einbezogen. Das Ergebnis klingt so gar nicht nach dem bei uns eher geläufigen, teils recht gediegenen Samba-Jazz.
Seine Musik sei so wenig fix wie der Wind oder die Sterne, so der geniale wie weltgewandte Autodidakt, der zu Zeiten der Militärdiktatur auch immer mal länger in den USA weilte und sich erst mit 40 musiktheoretisch einarbeitete.
"Wie ich immer sage: Ich bin hundertprozentig intuitiv! Ich weiß zwar die Musiktheorie zu benutzen, schreibe auch meine Musik auf. Ich habe so an die 8000 oder mehr notierte Kompositionen. Doch die Theorie, so wie ich sie mir zunutze mache, kommt nach dem Gefühl. Ich fühle die Dinge, um so dann Musik machen zu können. Das Komponieren geschieht bei mir nicht in standardisierter Form."
Besagte Unzahl an Kompositionen von Hermeto Pascoal, zu denen auch auf der aktuellen Tour fast täglich neue hinzukommen, enthält mehrheitlich Instrumentals. Die Stimme dient höchstens als Textur, als spielerisches Klangelement. Auf dem aktuellen, kürzlich mit dem Latin Grammy prämierten Album mit dem langen Namen "Hermeto Pascoal und seine Originalvision vom Forró" wirken allerdings etliche Gastsänger mit. Zum Beispiel der gerade zu hörende Alceu Valenca, der zu den offensiveren Bolsonaro-Gegnern in der Musikerszene gehört. Sein Nordost-Landsmann Pascoal war und ist per se eine rebellisch-eigenwillige Künstlernatur und früher wie heute überzeugt: Die Musik vermag jeder Diktatur zu trotzen. Möge er Recht behalten.
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