Brandstiftung als Zeichen des Widerstands

Von Bert-Oliver Manig · 27.02.2008
Um den Reichstagsbrand vom 27. Februar 1933 ranken sich viele Legenden - darunter die, der junge holländische Brandstifter sei eine bloße Marionette der Nationalsozialisten gewesen. Tatsächlich wollte Marinus van der Lubbe ein Zeichen des Widerstands setzen, um die deutschen Arbeiter zum Kampf gegen den Faschismus aufzurütteln.
Der erste Widerstandskämpfer gegen die nationalsozialistische Herrschaft war ein junger Ausländer. Der 24-jährige Marinus van der Lubbe, ein holländischer Anarcho-Syndikalist, legte aus Protest gegen die Unterdrückung der Arbeiterklasse durch die sogenannte "Regierung der nationalen Konzentration" unter Adolf Hitler am Abend des 27. Februar 1933 Feuer im Deutschen Reichstag.

Mit dieser spektakulären Aktion, bei der der Plenarsaal des Reichstages völlig ausbrannte, wollte er die resignierenden deutschen Arbeiter zum Kampf gegen den Faschismus aufrütteln. Gegenüber der Polizei erklärte van der Lubbe:

"In Deutschland hat sich jetzt eine nationale Konzentration gebildet, und ich bin der Meinung, dass das zwei Gefahren bildet: Erstens werden die Arbeiter unterdrückt. Und zweitens wird sich die nationale Konzentration niemals von den anderen Staaten ducken lassen, so dass es schließlich doch zum Krieg kommen wird."

Van der Lubbe war im Reichstag auf frischer Tat verhaftet worden, war geständig und hatte ein plausibles Motiv. Spuren, die auf weitere Täter deuteten, fanden sich nicht. Kriminalistisch gesehen also ein klarer Fall.

Doch die wenigsten Zeitgenossen konnten sich vorstellen, dass dieser jungenhaft wirkende Mann seine Tat wirklich ohne Hintermänner und Helfer ausgeführt hatte – schon gar nicht die Führung der NSDAP, die sich in die Wahnvorstellung einer kommunistischen Verschwörung hineinsteigerte. Im Rundfunk verbreitete Hermann Göring diese fixe Idee zwei Tage nach dem Brand als feststehende Tatsache:

"Es unterliegt keinem Zweifel, dass hier in irgendeiner Form ein Komplott stattgefunden hat, dessen Aufklärung zur Zeit noch durch Staatsanwaltschaft und Polizei aufs eifrigste betrieben wird. Der Umfang dieses Feuers, das Anlegen desselben, ergibt deutlich, dass es sich hier um einen wohl vorbereiteten Plan handelt."

Der Reichstagsbrand kam den Nazis sehr gelegen. Noch in der Brandnacht wurden tausende, völlig ahnungslose KPD-Funktionäre verhaftet. Die tags darauf erlassene Notverordnung "Zum Schutz von Volk und Staat" setzte die Grundrechte der Weimarer Reichsverfassung außer Kraft. Nicht nur Kommunisten, auch Sozialdemokraten und linke Intellektuelle wurden nun Opfer des staatlichen Terrors.

Hermann Göring: "Glauben Sie mir, wenn nicht am selben Abend mit jener eisernen Energie durchgegriffen worden wäre, wenn nicht gleichzeitig die gesamten Machtmittel des Staates eingesetzt worden wären, wenn man nicht in der gleichen Sekunde der kommunistischen Bewegung gezeigt hätte, dass dieser Staat nicht eine Minute mit sich spielen lässt, so wären wir heute in der Lage, noch über solch manch anderen Brand und manch anderes an Attentat sprechen zu können."

Die von den Nazis geschürte antikommunistische Hysterie beeinflusste auch die Staatsanwaltschaft, die van der Lubbe monatelang in schmerzhafte Ketten legen ließ und ihn mit endlosen Fragen nach seinen Auftraggebern und Helfern quälte. Vergeblich beteuerte er:

"Was ich gemacht habe, ist doch keine große Sache: Ich habe den Reichstag angezündet. Eine große Sache wird erst jetzt von der Regierung daraus gemacht."

Vor dem Reichsgericht in Leipzig blieb der in Depression fallende van der Lubbe teilnahmslos. Seine Richter hielten ihn für einen verstockten Simulanten, der seine kommunistischen Hintermänner schützte. Dabei basierten die Verdachtsmomente gegen vier mitangeklagte hohe KP-Funktionäre auf so fragwürdigen Zeugenaussagen, dass sie schließlich unter den Augen der Weltöffentlichkeit freigesprochen werden mussten. Eine Blamage für das "Dritte Reich".

Dass der Makel, eine bloße Marionette gewesen zu sein, dennoch an Marinus van der Lubbe haften blieb, verdankte er seinen angeblichen kommunistischen Freunden. Deren Propaganda verunglimpfte den unangepassten van der Lubbe, der 1931 die holländische KP verlassen hatte, mithilfe von gefälschten Dokumenten als homosexuellen Lustknaben und Strohmann der SA-Führung, die angeblich selbst den Reichstagsbrand inszeniert haben sollte - ein Märchen, das lange nachwirkte: Auch heute gibt es noch einige Historiker, die an nationalsozialistische Hintermänner des Holländers glauben.

Das Reichsgericht verurteilte Marinus van der Lubbe zum Tode – rückwirkend war dieses drakonische Strafmaß für hochverräterische Brandstiftung eingeführt worden. Reichspräsident von Hindenburg machte von seinem Begnadigungsrecht trotz Bitten der niederländischen Regierung keinen Gebrauch. Am 10. Januar 1934 starb Marinus van der Lubbe unter dem Fallbeil.