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Palliativmedizin
Deutschland hat Nachholbedarf

Vielmehr als den Tod fürchten viele Menschen ein quälendes Lebensende. Genau das zu verhindern ist das Ziel der Palliativmedizin, die sich neben Schmerzlinderung auch um die psychischen Probleme in der letzten Lebensphase kümmert. Aber es gibt immer noch zu wenige Angebote der Palliativversorgung.

10.02.2015
    Im Vordergrund eine Rose, im Hintergrund ein Krankenbett mit einer alten Frau und einer jüngeren am Bett.
    Palliativversorgung ist noch nicht überall optimal (Picture-alliance / dpa / Sebastian Kahnert)
    Martina Kern ist Krankenschwester und leitet das Zentrum für Palliativmedizin in Bonn. Bei ihren Patienten geht es nicht mehr um die Heilung ihrer Krankheit, sondern um die bestmögliche Gestaltung der letzten Wochen, Monate oder auch Jahre. Martina Kern bedauert, dass viele Patienten nicht schon früher zu ihr gekommen sind.
    "Wir erleben ganz häufig, dass Patienten kommen und lange Leidensphasen hinter sich haben. Und wenn sie sozusagen in der Palliativversorgung mit ihren Fragen, mit ihren Ängsten, mit ihren Lebensthemen da sein dürfen, dann Symptome behandelt werden, dann kommt sehr viel Ruhe auf und auch die Angehörigen werden gesehen und dadurch verändert sich sehr viel im Hinblick auf das Thema Lebensqualität für die Menschen."
    "Warum gerade ich?"
    Schmerzen lindern, Druckgeschwüre verhindern, oder andere körperliche Beschwerden behandeln - das ist ein Teil einer Palliativversorgung. Der andere Teil kümmert sich um die Seele, die Psyche des Patienten, beschreibt Martina Kern:
    "Viele Menschen haben neben körperlichen Problemen natürlich auch viele psychische Probleme, soziale Nöte, Geldsorgen, spirituelle Fragen, "Warum gerade ich?", "Warum trifft es immer uns?". Und ich denke dieses alles zu sehen, mit den Menschen ordnen und zu sortieren, gibt häufig wieder Orientierung und Kraft, auch die letzte Lebensphase gut leben zu können."
    Die Palliativversorgung hat sich in den vergangenen Jahren zwar stark verbessert, vor allem für onkologische Patienten, die an Krebs leiden. Aber für andere Patienten sieht es oft schlecht aus mit der Versorgung, sagt Prof. Dr. Friedemann Nauck, Direktor der Klinik für Palliativmedizin an der Uni-Klinik in Göttingen:
    "Wo wir noch ein deutliches Defizit haben, das sind die Gruppen von Patienten, die nicht onkologisch erkrankt sind, also Patienten mit einer schweren Herzinsuffizienz, schweren Herzschwäche, Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung, mit chronischen Nierenerkrankungen und nicht zuletzt Patienten mit neurologischen Erkrankungen."
    Palliativversorgung in ländlichen Gebieten oft nicht ausreichend
    Nicht nur die Krankheit spielt eine Rolle. Oft ist es auch der Wohnort des Patienten, der darüber entscheidet, wie gut er am Lebensende betreut wird, stellt Friedemann Nauck fest:
    "Es gibt deutliche regionale Unterschiede. Es gibt Ballungsgebiete, es gibt Großstädte, in denen Palliativversorgung hervorragend läuft, seit vielen Jahren etabliert ist und auch weitgehend gut finanziert ist. Und es gibt andere Bereiche, Flächenländer, die unglaubliche Schwierigkeiten haben hochqualitativ Palliativversorgung anzubieten."
    Friedemann Nauck steht mit seiner Meinung nicht alleine da. Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat jetzt gemeinsam mit der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften eine Stellungnahme zur Palliativversorgung in Deutschland veröffentlicht. Professor Dr. Jörg Hacker, Präsident der Leopoldina, fasst diese über 70 Seiten starke Stellungnahme kurz und knapp zusammen:
    "Es geht darum, das System der Palliativmedizin, Palliativversorgung, in Deutschland noch weiter voranzubringen. Wir finden, dass es eine nationale Strategie geben sollte, um diesen ganzen Bereich weiterzuentwickeln. Wir finden, dass Forschung auf diesem Gebiet stärker strukturiert werden muss."
    Deutliche Verbesserungen in Praxis und Forschung seien nötig, um mehr Menschen eine sehr gute Palliativversorgung anbieten zu können. Nach Ansicht des Leopoldina Präsidenten Hacker würde dies auch die Diskussion um das Thema Sterbehilfe beeinflussen:
    "Ich würde auch denken, dass das Thema assistierter Suizid, das ja jetzt auch stark diskutiert wird, nicht so stark diskutiert würde und auch diese letzte Phase nicht so angstbesetzt wäre, wenn es eine stärkere und bessere Palliativversorgung gäbe."