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Lehrermangel in den Niederlanden
Das leere Klassenzimmer

In den Niederlanden hat der Lehrermangel dramatische Ausmaße angenommen - die Folge einer Sparpolitik, die das Image des Berufs beschädigt hat. Nachwuchs bleibt daher aus. Um auf ihre desolate Lage hinzuweisen, haben sich einige Schulen nun zu einem ungewöhnlichen Schritt entschlossen.

Von Andrea Lueg | 15.02.2019
    Eine leere Schultafel und eine Schultasche.
    Schulen in Holland in Not: Wer soll die Vertretung organisieren, wenn auch die Schulleitung unbesetzt ist? (imago / Ute Grabowsky)
    "Heute hat sich zum Glück niemand krank gemeldet. Aber die Probleme sind enorm. Seit den Weihnachtsferien ist es für uns praktisch unmöglich, Vertretungen zu bekommen."
    Hans Koevoets leitet die katholische Grundschule Het Palet in Zoetermeer:
    "Obwohl wir zu einem großen regionalen Pool von Schulen gehören, die sich mit Vertretungen helfen. Wenn ich da anfrage, bekommen ich fast immer zu hören, sorry wir haben niemanden. Seit Weihnachten fällt an drei bis vier Tagen pro Woche eine kranke Lehrkraft aus, so dass also eine Klasse niemanden hat. Das haben wir bisher immer intern geregelt. Aber das wird immer schwieriger. Und deshalb möchte ich wirklich signalisieren: das Wasser steht uns bis zum Hals."
    Aufruf der Schulleitervereinigungen
    Nach langem Zögern hat Koevoets sich entschlossen, mitzumachen beim Aufruf der Schulleitervereinigungen AVS und CNV. Die forderten vergangene Woche alle Schulleiter im Land auf, keinen Ersatz zu suchen, wenn sich ein Lehrer krank meldet. Dabei finden die Schulleiter ohnehin schon keine Vertretungen, erklärt Petra van Haren von der AVS:
    "Wir haben in den vergangenen zwei Wochen eine Umfrage gemacht unter 1.400 Lehrern, und dabei stellte sich heraus, dass sie in etwa einem Drittel der Fälle keine Vertretung für kranke Lehrer finden können. Das heißt 13.000 Kinder hatten keinen Unterricht."
    Streiken, Verstärkung aus Belgien, Finanzmittel - nichts hilft
    Der Lehrermangel in den Niederlanden ist in den vergangenen Jahren immer schlimmer geworden. Die Lehrer haben deshalb im vergangenen Jahr bereits gestreikt, es wurden Fachkräfte aus dem benachbarten Belgien angeworben, die Stadt Amsterdam hält preiswerten Wohnraum extra für Lehrer bereit, der Bildungsminister hat mehr Finanzmittel zur Verfügung gestellt. Aber an den Schulen wird es einfach nicht besser. Und der Schulleiterverband will auf ein weiteres Problem hinweisen. Petra van Haren:
    "Es gibt nämlich auch noch einen großen und zunehmenden Mangel an Schulleitern. Und der Schulleiter ist verantwortlich für die Qualität des Unterrichts, er sorgt dafür, dass überhaupt Lehrer vor der Klasse stehen. Stellen Sie sich also vor, es gibt keinen Schulleiter, wer organisiert dann den Ersatz für kranke Lehrer?"
    Image der Lehrer hat gelitten
    Die Lehrer seien Opfer einer jahrelangen Sparpolitik meint Hans Koevoets und ihr Image habe gelitten. Deshalb finde man jetzt keinen Nachwuchs für diesen tollen Beruf. Schulminister Arie Slob hat zwar im vergangenen Jahr ein ganzes Maßnahmenpaket an den Start gebracht, darunter 8,5 Prozent mehr Lohn für Lehrer, Unterstützung für Seiteneinsteiger, Extra Mittel für den Unterricht mit behinderten Kindern, doch das alles stopfe lediglich Löcher. Het Palet hat zum Beispiel auch extra Mittel für einen Unterrichtsassistenten bekommen. Hans Koevoets:
    "Da sind wir sehr froh drüber, den brauchen wir aber eigentlich unbedingt für den Unterricht mit behinderten Kindern. Im Alltag ist es oft so, dass der Assistent als Vertretung für kranke Lehrer einspringt. Außerdem ist der Lehrermangel nun so groß, dass wir immer häufiger Lehrer über Vermittlungsbüros suchen müssen. Ich hab in diesem Jahr zwei Lehrer auf diesem Weg angeheuert. Das kostet mich einen Berg Extrageld, und das heißt wiederum, dass ich in den kommenden Jahren weniger Geld habe um andere Schulaufgaben zu finanzieren."
    Viele Schulen haben die Aktion zwar gutgeheißen, aber nicht mitgemacht. Denn das Problem werde so ja nur auf die Eltern verlagert, die die Kinder dann zuhause betreuen müssten. Dann doch besser Klassen zusammenlegen oder die Kinder auf dem Schulhof toben lassen. Die wüssten allerdings ganz genau, was sie tun würden, wenn der Unterricht ausfällt. Nämlich fernsehen, gamen und vor allem: ausschlafen.