Brände in Sibirien

Wenn der Boden in der Tundra taut

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Die Aufnahme zeigt verbrannte, im Rauch stehende Bäume eines Waldes, in der Mitte des Bildes ist ein brennender Baum zu sehen.
Die Brände in Sibirien nehmen riesige Flächen ein und sind kaum zu stoppen. © picture alliance / dpa / Sputnik / Sergey Stroitelev
Johann Goldammer im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 09.07.2020
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In Sibirien haben sich die aktuellen Brände auf eine Fläche von viereinhalb Millionen Hektar ausgedehnt, sagt der Feuerökologe Johann Goldammer. Die Möglichkeiten der russischen Regierung, das Problem einzudämmen seien sehr begrenzt.
Liane von Billerbeck: In Sibirien wüten auf riesigen Flächen Waldbrände. Im arktischen Teil, in Jakutien und Tschukotka, ist es knochentrocken, Rekordtemperaturen begünstigen diese Brände, und die haben allein im Juni geschätzt 59 Megatonnen CO2 in die Atmosphäre gefeuert. Das waren die höchsten Emissionen seit 18 Jahren.
Wir fragen uns, woran es liegt, dass Russland diese enormen Brände nicht in den Griff bekommt, unter denen die ganze Welt leidet. Professor Johann Goldammer leitet das Global Fire Monitoring Center an der Universität Freiburg und gilt als der führende Experte für Feuerökologie. Kann man denn sagen, welche Ausmaße diese Waldbrände in Sibirien inzwischen haben?
Luftaufnahme einer verbrannten Landschaft.
Auf Luftaufnahmen wird das Ausmaß der riesigen Zerstörungen sichtbar. © picture alliance / Russian Look / Serguei Fomine
Goldammer: Ich kann da sogar mit sehr aktuellen Zahlen aufwarten, weil ich heute früh an unser Regionalzentrum in Krasnojarsk geschrieben habe und um neueste Daten gebeten habe. Wir liegen jetzt in dem Bereich westlich des Ural bis zum Fernen Osten, also im gesamten Großraum Sibirien, bei einer Brandfläche von etwas mehr als viereinhalb Millionen Hektar.
von Billerbeck: Gibt es da eine Größe, mit der Sie das vergleichen können? Viereinhalb Millionen Hektar ist auf jeden Fall riesig.
Goldammer: Wenn wir mal die gesamte deutsche Waldfläche dagegensetzen – Deutschland hat etwa elf Millionen Hektar Wald –, dann kann man sich vorstellen, wie diese Größenordnung in etwa aussieht. Hierbei handelt es sich allerdings nicht nur um Brände in Wäldern, sondern auch Brände auf diesen Offenland-Ökosystemen wie der Tundra, die sich in der sogenannten subarktischen Zone der arktischen Zone anschließt oder zwischen der Waldzone und der Arktis liegt. Das ist eine weitgehend baumfreie Zone, aber sehr sensibel gegenüber Feuer.

Es fehlt an Niederschlag

von Billerbeck: So wilde und plötzlich auftretende Brände gab es in Sibirien schon immer. Sind jetzt allein die hohen Temperaturen schuld, oder ist der Mensch da im größeren Teil der Verantwortung?
Goldammer: Es ist eigentlich beides. Die hohen Temperaturen sind eine Sache – sie setzen Vegetation unter Stress, sie trocknen die Vegetation durchaus schneller aus als geringere Temperaturen. Entscheidend ist, dass wir ein ganz hohes Niederschlagsdefizit haben in der Region von Nordostsibirien.
Das erinnert uns ein bisschen an Osteuropa, an die Ukraine, wo es im Moment auch problematische Brände gibt. Eben auch bei uns in Deutschland, wo wir aufgrund des Niederschlagsdefizits der letzten Jahre erhebliche Probleme mit der Grundwasserabsenkung haben und dem physiologischen Stress unserer Wälder. Ein großer Teil der deutschen Wälder ist geschädigt durch Trockenheit. So ähnlich muss man sich das in Sibirien vorstellen.
Eine Luftaufnahme eines Grasbrands und dicken Rauchsäulen, in den Feldern Sibiriens, entlang einer Straße.
Es brennen nicht nur die Wälder, sonder auch andere Gebiete der weitläufigen Landschaft Sibiriens. © picture alliance / dpa / TASS / Kirill Kukhmar
von Billerbeck: Welche Folgen haben diese riesigen Brände für das Ökosystem in Sibirien?
Goldammer: An sich sind Feuer nicht neu, und ich möchte auch auf die Natürlichkeit der Feuer eingehen: Dieser Raum Sibiriens zählt zu den Räumen weltweit, wo der relative Anteil der Entzündung dieser Brände tatsächlich durch Blitzschlag erfolgt. Es sind aber auch viele Menschen, die in diesem Naturraum leben und arbeiten und die Feuer auslösen.
Das, was sich in den letzten Jahren abzeichnet – das fing letztes Jahr besonders an –, ist die Tatsache, dass diese Feuer mehr und mehr in der nördlichen Zone auftreten. Nicht mal unbedingt im Wald, sondern in der Tundra. Da haben wir andere Konsequenzen dieser Feuer, weil das Standorte sind, die vorwiegend durch Permafrost gekennzeichnet waren, einer der Gründe, warum dort auch kein Wald wächst und die Feuer sich jetzt in diese starken organischen Auflagen hineinfressen. Das kann eine Reihe von Konsequenzen haben.
von Billerbeck: Der Permafrostboden braucht zwei Jahre Temperaturen um null, und wenn der jetzt taut, was passiert dann?
Goldammer: Zum einen war viel organische Biomasse in diesen ewig kalten Böden gebunden, die sich nicht organisch zersetzen konnte. Dafür war es einfach zu kalt, teilweise war sie sogar im Eis. Dadurch hat sich ein Kohlenstoffvorrat aufgebaut, der quasi eingefroren war. Das ist das eine, dass sich durch die Erwärmung und die beginnende organische Zersetzung jetzt der Kohlenstoff freisetzt.
Hinzu kommt, dass andere Treibhausgase wie beispielsweise Methan, was einen sehr viel höheren Treibhauseffekt hat als Kohlenstoffdioxid, teilweise im Eis selbst eingebettet war, und durch das Aufschmelzen des Eises nun freigesetzt wird. Das ergibt einen zusätzlichen Schub an Treibhausgasen aus dieser Region.

Ähnlich in USA und Kanada

von Billerbeck: Methan ist auch noch viel, viel klimaschädlicher als CO2. Wenn man diese Waldbrände beobachtet – und Sie tun das ja seit vielen Jahren –, was unternimmt denn die russische Regierung, um da etwas einzudämmen? Gibt es da Interesse oder Möglichkeiten?
Goldammer: Die Möglichkeiten sind sehr begrenzt, muss man leider sagen, denn wir haben hier ein Phänomen, das in der Fachwelt in Nordamerika schon vergleichsweise diskutiert wurde. Im Norden Alaskas, in den USA oder in Kanada, sehen wir diese Veränderungen auch schon seit vielen Jahren und Jahrzehnten. Hier verändern sich die sogenannten Feuerregime.
Ich nehme ein Beispiel aus Alaska: Da gibt es Waldgesellschaften, da haben unsere Kollegen und wir Untersuchungen gemacht und festgestellt, dass das Feuerintervall dort in diesen Naturwaldgesellschaften des hohen Nordens mehrere hundert Jahre betragen kann. Das kann man alles rekonstruieren aus Jahrringanalysen. Diese Zyklen, die verkürzen sich jetzt.
Die kanadischen Kollegen haben schon eigentlich seit vielen Jahren gesagt, dass es wahrscheinlich sehr schwer bis unmöglich sein wird, zu versuchen, diese Brände einzudämmen, weil diese Entwicklung, die diese Gewalt oder das Momentum des Klimawandels und der Veränderung der Feuerregime gar nicht aufzuhalten ist.
Insofern ist es sehr schwierig in Russland, wo sich im Moment immer noch die Waldbrandbekämpfung auf die Wälder konzentriert, die einen hohen wirtschaftlichen, durchaus aus ökologischen Wert haben.
Bisher hat man gesagt, dass in diesen anderen Zonen, wo kein Wald steht, wo keine Interessenkonflikte da sind, da lassen wir die Feuer brennen – vergleichsweise wie in Nordamerika. Wenn wir jetzt nun wiederum sehen, dass es nicht nur die rein wirtschaftlichen oder humanitären Dimensionen dieser Feuer sind, sondern eben auch die klimarelevanten Dimensionen, dann sind wir in einer Situation angelangt, wo eine gewisse Sprachlosigkeit herrscht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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