Brachlandschaft der Gefühle

Von Uwe Friedrich · 20.05.2011
Eine Atmosphäre der untergründigen, der unerklärten Brutalität beherrscht Ingo Kerkhofs Deutung von Alban Bergs Oper "Wozzeck". Immer wieder bricht sie eher beiläufig aus.
Grundlos wird der Narr beinahe von einigen Männern auf dem Weg ins Wirtshaus erwürgt. Auch Momente größter Nähe können jäh in körperliche Exzesse umschlagen. Aus einer zärtlichen Umarmung wird Wozzeck seiner Marie gegen Ende das Genick brechen, wird sie wenig später wieder zärtlich in den Arm nehmen und sich neben sie legen.

Die Industriehalle "Palladium" erweist sich als idealer Spielort für diese kühle, klare und vollkommen unsentimentale Inszenierung. Bühnenbildner Gisbert Jäckel lässt das Geschehen auf einer Brachlandschaft spielen. Grasbüschel ragen aus dem Schotterboden, ein milchiger Duschvorhang reicht für die Arztpraxis, in der die Ernährungsexperimente an Wozzeck überwacht werden. Nur wenige Szenen werden in grotesker Kasperletheatermanier übersteigert, der größere Teil des Abends wird beherrscht von kühl-präziser Spielweise. Nirgends drängt sich die verfehlte Sozialromantik eines Hartz-IV-Prekariats in den Vordergrund, immer werden Menschen gezeigt, die ihre eigenen Gefühle nicht recht verstehen und sie deshalb auch nicht mitteilen können.

Vor allem der Baritons Florian Boesch in der Titelrolle beglaubigt mit intensivem Spiel und Gesang die Nöte des hilflosen Individuums, macht aus seinem Wozzeck keine psychopathologische Fallstudie. Unter den guten Sängern ragen die Marie der Asmik Grigorian und Dennis Wilgenhof als Doktor ebenso heraus wie Sévag Serge Tachdijan als Erster Handwerksbursch. Bloß der allzu unausgegelichene Gesang Alexander Fedins (Hauptmann) und die stumpfe Stimme von Gordon Gietz (Tambourmajor) enttäuschen.

Generalmusikdirektor Markus Stenz hat die Bühnenmusiken im Raum verteilt, was einige sehr schöne Effekte ergibt. Weniger schön ist, dass er das Gürzenichorchester zwar kühl und analytisch, aber auch immer wieder zu laut spielen lässt. Weil die Sänger glücklicherweise nicht dagegen anschreien, gehen sie und ihr Text immer wieder in den Klangausbrüchen unter. Gerade in diesem Meisterwerk ist aber Textverständlichkeit nicht nur möglich sondern unverzichtbar, um den Spannungsbogen zu halten.

Informationen der Oper Köln zur Inszenierung von "Wozzeck"