Brachial schön

01.06.2007
Bei Heavy Metal halten sich viele Hörer kopfschüttelnd die Ohren zu und denken: so ein Schund. Wundervoller Schund, urteilt der Musikjournalist Chuck Klosterman in seinem Buch "Fargo Rock City" und erklärt, worin für viele Jugendliche die Faszination für diese brachiale Form der Unterhaltungsmusik besteht.
Chuck Klosterman, Jahrgang 1972, ist derzeit vielleicht der cleverste Rock-Kritiker in den USA. Sein langjähriger Arbeitgeber, das einstmals renommierte "Spin Magazin", hat ihn im vergangenen Jahr gefeuert, nachdem die Zeitschrift an einen neuen Besitzer verkauft worden war.

Klostermans desillusionierte, bisweilen zutiefst zynische, dabei aber immer von heftiger Liebe zum Sujet durchdrungene Schreibe gefiel den neuen Blattmachern nicht. Kein Wunder, Klosterman lässt sich nicht korrumpieren und haust lieber in einer billigen Bude, als seine Seele für teuer Geld zu verhökern.

Mit dieser kompromisslosen Haltung ähnelt er einem anderen, vielleicht dem größten Pop-Autoren, den Nordamerika überhaupt hervorgebracht hat, dem 1982 verstorbenen Lester Bangs. Und so wenig sich das Genie Bangs auf Gängiges einlassen, auf bekannte Formate beschränken konnte, so wenig erfüllt Klosterman in seinem Buch "Fargo Rock City" Erwartungshaltungen, die bei seinem Thema unweigerlich aufkommen.

Chuck Klosterman schreibt in seinem Buch über Heavy Metal. Jene Musik also, bei der sich nicht nur Intellektuelle vor Grausen abwenden, sondern auch Fans härterer Rock-Gangarten. Die Vorurteile gegenüber dieser Musik sind groß: Dumpfer Lärm sei das, Gewalt verherrlichender Krach für Pubertierende, gespielt von Dilettanten, die Satan huldigen und schwarze Messen feiern. Kurzum: Heavy Metal ist Schund.

Genau, sagt nun Klosterman, deshalb ist diese Musik so wundervoll! (Wobei deutlich wird, dass es gar nicht so einfach ist, Heavy Metal zu spielen). Nichts war für den Teenager beglückender als jener Tag, an dem die Band Mötley Crüe in die bleierne Stille seines öden Landjungenlebens platzte.

Seine Heimat Wyndmere, ein 500 Seelen großes Kaff in North Dakota, steht exemplarisch für Tausende ähnlicher Orte in den USA. Orte, die einem Jugendlichen nichts, aber auch gar nichts bieten können - außer vielleicht ein wenig Abwechslung am Samstagabend, wenn man mit dem Auto die Hauptstraße auf und ab fährt, um dann an der Tankstelle noch eine Cola zu kaufen. Der große Bruder überlässt dem Kleinen also einige Kassetten, darunter das zweite Album von Mötley Crüe, "Shout At The Devil". Allein wie Klosterman die Begegnung mit dieser Band und ihrer Musik beschreibt, macht "Fargo Rock City" zu einem der besten Bücher über Musik überhaupt. Die Initiation zum Metal Fan hat eine fast schon erotische Komponente. Selten hat jemand so spannend beschrieben, wie ein junger Mensch einer ganzen Kultur verfällt.

Einen Tag lang studiert der Junge zunächst die verführerische Hülle, liest von verbotenen Dingen (die Band listete sämtliche alkoholischen Getränke auf, die bei der Produktion des Albums konsumiert worden waren), versucht zu verstehen, worum es bei diesem merkwürdigen Artefakt gehen könnte. Erst am nächsten Tag wagt er es überhaupt, die Kassette in den Rekorder zu stecken. Zwanghaft, so schreibt Klosterman, habe er sich daraufhin die Songs immer wieder anhören müssen. Die Spannung löst er schließlich mit einem trockenen Kalauer auf: "Nach drei Monaten hörte ich mir auch die zweite Seite an."

So geht es die ganzen 288 Seiten. Klosterman hält fast immer die Spannung, und stets gibt es etwas zu Lachen. Dabei nimmt er sein Thema ernst. Der Autor, der sich durch Tausende von Aufnahmen gehört hat, weiß, wovon er schreibt. Und er wagt es, auf hohem Niveau über eine angeblich so furchtbare Band wie Kiss zu philosophieren. Dabei gelingt ihm etwas ganz Wunderbares: Selbst wer noch nie von einer der hier vorgestellten Formationen gehört hat, bekommt unweigerlich ein Gespür für deren Musik. Und Klosterman macht Appetit: Irgendwann will man endlich einmal etwas hören von diesen seltsamen Bands wie Poison, Ratt und Mötley Crüe.

Für diese Gabe seien Chuck Klosterman seine hin und wieder auftauchenden Redundanzen und ein völlig überflüssiger Exkurs über seinen eigenen, deutlich zu hohen Alkoholkonsum verziehen. Tolerant sollte man auch bei der einen oder anderen sprachlichen Ungenauigkeit sein, die Franca Fritz und Heinrich Koop bei der Übertragung aus dem Amerikanischen unterlaufen sind. "Fargo Rock City" ist eines der besten Musikbücher, die ich seit Jahren gelesen habe. Zwei Antipoden des US-Kulturgeschäftes will ich das letzte Wort überlassen: der Thriller-Autor Stephen King sagt über das Buch, er kenne "kein besseres über amerikanische Popkultur". Und der experimentelle Pop-Musiker David Byrne meint ganz einfach: "Dieses Buch MUSS man einfach lesen." Beide haben Recht.

Rezensiert von Andreas Müller

Chuck Klosterman: Fargo Rock City
Rockbuch Verlag, Schlüchtern 2007
288 Seiten, 8,90 Euro