Boykottaufruf gegen Israel

Die BDS-Kampagne benutzt den ESC

09:44 Minuten
Touristen stehen mit Blick auf das Mittelmeer neben einem Werbeschild für den Eurovision Song Contest 2019. Vom 14. bis 18. Mai 2019 veranstaltet die Küstenstadt den internationalen Gesangswettbewerb Eurovision Song Contest (ESC)
Singewettstreit mit Meerblick: Israel nutzt den Eurovision in Tel Aviv auch, um sich als Urlaubsdestination zu präsentieren. © dpa/ Ilia Yefimovich
Martin Böttcher im Gespräch mit Vivian Perkovic · 14.05.2019
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"Wage das Träumen!" Unter diesem Motto steht der 64. Eurovision Song Contest, der dieses Jahr in Tel Aviv stattfindet. Seit Monaten rufen pro-palästinensische Aktivisten und Unterstützer der Anti-Israel-Kampagne BDS zum Boykott der Veranstaltung auf.
"Dare to dream!" Gestern Abend ging es mit dem ersten Halbfinale des "Eurovision Song Contest" in Tel Aviv los, am Donnerstag folgt das zweite, am Sonnabend ist das große Finale. Deutschland ist als einer der Hauptgeldgeber der European Broadcasting Union, die den ESC überträgt, gesetzt.

Gegenseitige Bombenangriffe

ESC – das bedeutet: Glitzer und Pomp, Pathos und betont gute Laune – eingebettet in eine sich unpolitisch gebende Veranstaltung. Aber mit dem Unpolitischen ist das so eine Sache in Nahost: Vor wenigen Tagen gab es Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf Israel, dabei wurden drei Israelis getötet, etliche verletzt.
Beobachter gehen davon aus, dass diese Angriffe mit dem ESC in Verbindung stehen, die Botschaft dahinter: Israel ist nicht das entspannte Urlaubsland, als das es sich präsentieren möchte. Die israelische Luftwaffe reagierte mit Gegenangriffen, auch dabei gab es Tote und Verletzte – mittlerweile herrscht Waffenruhe.

Und nicht ins Bild des unpolitischen Spektakels passt auch das: Im September hatten rund 140 internationale Kulturschaffende zum Boykott des ESC in Israel aufgerufen: pro-palästinensische Aktivisten und Unterstützer der Anti-Israel-Kampagne BDS, darunter Musiker wie Pink-Floyd-Mitbegründer Roger Waters oder auch Brian Eno.
Mitglieder der Band "Dawaween" spielen am 14. Mai nach den Bombenangriffen in Gaza-Stadt vor einem zerstörten Gebäude und haben zum Boykott des ESC aufgerufen.
Mitglieder der Band "Dawaween" spielen am 14. Mai nach den Bombenangriffen in Gaza-Stadt und haben zum Boykott des ESC aufgerufen. © imago images / ZUMA Press / Ashraf Amra
Was ist aus diesem Boykottaufruf geworden, was bedeutet die BDS-Kampagne für den ESC? Mein Kollege Martin Böttcher ist dieser Frage nachgegangen.

Mittendrin im Nahost-Konflikt

Vivian Perkovic: Alle 41 Länder, die sich für den ESC qualifiziert haben, werden teilnehmen. Heißt das, die Boykott-Kampagne vom BDS ist gescheitert?
Martin Böttcher: Wenn man annimmt, dass der Boykott tatsächlich das Ziel der Kampagne war, dann ist diese Kampagne gescheitert. Aber ganz so einfach ist es nicht: BDS, diese Buchstaben stehen ja für "Boycott, Divestment and Sanctions", also für Boykott, den Abzug von Investitionen und Sanktionen gegen Israel. Das ist eine langangelegte, gewaltfreie Kampagne von pro-palästinensischen Aktivisten und Unterstützern. Sie läuft seit 2005. Und sie behauptet, dass Israel zum einen ein Apartheidsstaat wäre und zum anderen ein illegitimer Staat – Israel soll deshalb auf allen Ebenen boykottiert werden – so, wie es bei Südafrika der Fall war. Es wird also auf internationale Ächtung im großen Stil hingearbeitet – eine Kampagne, die weiß, dass sie einen langen Atem braucht.
Der Sänger Kobi Marimi tritt beim Eurovision Song Contest in Tel Aviv für Israel an.
Ginge es nach den BDS-Aktivisten, dürfte der israelische Sänger Kobi Marimi beim Eurovision Song Contest nicht antreten. Ihre Devise: ein kompletter Boykott des Staates Israels.© picture alliance/Ilia Yefimovich/dpa
Perkovic: Es gibt Menschen, die halten die BDS-Boykott-Kampagne für antisemitisch.
Böttcher: Und damit sind wir mittendrin im Nahost-Konflikt, der seit über 70 Jahren besteht. Ich habe mich in Berlin mit Melody Sucharewitz getroffen. Sie ist Beraterin für politische Kommunikation und Strategie in Deutschland und Israel, sie steht für die offizielle israelische Seite. Sie sagt ...
"... dass Israel-Kritik per se natürlich legitim ist, aber wenn diese Kritik überschlägt in Dämonisierung und Hetze des Staates Israels und vor allem Absprechen des Existenzrechts Israels als jüdischer Staat, dann ist das ganz klar Antisemitismus. Und eine Formel, die vielleicht noch leichter ist für das Verständnis allgemein, das ist diese 3-D-Formel. Also, wann wird Israel-Kritik antisemitisch? Wenn einmal diese Statements Israel delegitimieren, also das Existenzrecht Israels delegitimieren, wenn sie Israel dämonisieren. Und wenn sie das mit Doppelstandards machen."

Israel wird "Pink Washing" vorgeworfen

Perkovic: Und wenn man diesen 3-D-Test auf die BDS-Kampagne im Allgemeinen und den ESC-Boykottaufruf im Besonderen anwendet.

Böttcher: …dann kann man zu dem Schluss kommen, dass beide antisemitisch sind. Ein Beispiel: Wenn man sich das Logo ansieht, das BDS zum Boykott vom ESC entworfen hat, dann sieht man den Eurovision-Schriftzug mit Stacheldraht umwickelt – und im Mittelpunkt ist ein zersprungenes Herz. Die beiden Teile des Herzens bilden an ihrer Kante... SS-Runen! Israel, so die Botschaft, ist also wie Nazideutschland, das absolut Böse. Gleichzeitig findet eine Opfer-Täter-Umkehr statt.
Einen anderen, sehr widersprüchlichen Punkt habe ich mit Nadja Taufik besprochen, Sie ist Teil von "Berlin Academic Boycott", das ist eine Gruppe, die hauptsächlich aus Wissenschaftler*innen und Künstler*innen besteht – und die die BDS-Kampagne gegen den ESC in Tel Aviv unterstützt. Sie wirft Israel so genanntes "Pink Washing" vor:
"Das Image von Israel soll aufpoliert werden und hierzu werden eben die Rechte von Queers, von LGBTQI vor den Karren gespannt. Israel wird durch diese Kampagne so dargestellt, dass es eben der moderne, progressive, liberale Staat ist, also wie es sich selbst auch nennt: ´die einzige Demokratie im Nahen Osten`, während gleichzeitig verschwiegen wird, dass Israel eben eine Besatzungsmacht ist und eben gegen diese Art der Vereinnahmung von queeren Rechten, von queeren Lebenswelten, Lebensrealitäten, wendet sich die Kampagne eben explizit gegen diesen ESC."
Böttcher: Um das noch mal zusammenzufassen: Israel, so der Vorwurf, benutzt die lesbisch-schwule-queere Szene, um von der Unterdrückung der Palästinenser abzulenken. Melody Sucharewitz sagt aber völlig zu Recht, dass die LGBT-Community zu Israel gehört.
"Sie lebt dort so frei und so bunt wie nirgendwo anders in der Region. Während in Tel Aviv schwule Ehepaare legal ein Kind adoptieren können, werden sie im Iran öffentlich hingerichtet. Und während sie in Tel Aviv und Israel leben, wo sie wollen und wie sie möchten, müssen sie ein paar Kilometer weiter im Gaza-Streifen im Versteck leben und haben Angst davor, hingerichtet zu werden. Und wenn man sich das dann so anschaut und sieht, wie die BDS-Kampagne versucht, das für sich zu instrumentalisieren, also verkehrt herum, anstatt sie sich auf die Hinterbeine stellen und den Iran, die Mullahs anschreien, sie sollen endlich die Homosexuellen in Ruhe lassen und in Freiheit leben, dann versuchen, diesen Irrsinn in diesen ESC-Contest hineinzusetzen, dann sieht man einfach nur, wie verzweifelt sie sind, weil sich immer mehr Menschen gegen diese gefährliche Bewegung, gegen diese Kampagne wenden."


Perkovic: Wir sprechen hier im Deutschlandfunk Kultur über den heute beginnenden Eurovision Song Contest in Tel Aviv und die BDS-Boykott-Kampagne dagegen. Ist das wirklich so, dass BDS immer mehr Gegner hat, wie hier gerade behauptet?
Böttcher: Ja, das ist wohl so, es werden auch Gesetze und Beschlüsse gegen die BDS-Kampagne erlassen, in den USA, in Baden-Württemberg, in Nordrhein-Westfalen. Darin geht es unter anderem darum, dass öffentliche Institutionen BDS nicht unterstützen oder ihnen Räume zur Verfügung stellen dürfen. Aber: Nicht nur die Zahl der Gegner, auch die Zahl der Unterstützer nimmt wohl zu, auch in Deutschland.
Und vor allem in Großbritannien und Irland gibt es eine Reihe von Künstlern und Musikern, die sich zu BDS bekennen und die dafür plädiert haben, auch den ESC zu boykottieren. Das geht natürlich Hand in Hand: Je mehr große Aktionen BDS macht, desto mehr Aufmerksamkeit bekommt die Kampagne – und genau deshalb haben sich die BDS-Unterstützer ja auch den ESC als Ziel ausgesucht, wie mir Nadja Taufik erzählt hat.
S!STERS, Laurita Spinelli (r) und Carlotta Truman, werden mit ihrem Song "Sister" Deutschland beim ESC in Tel Aviv vertreten.
S!STERS, Laurita Spinelli (r) und Carlotta Truman, werden mit ihrem Song "Sister" Deutschland beim ESC in Tel Aviv vertreten. © imago images / Annegret Hilse / Sven Simon

Auswirkungen des Boykotts

Perkovic: Logisch. Hat denn der BDS abgesehen vom ESC Auswirkungen auf das kulturelle Leben in Israel?
Böttcher: Ja, zum Beispiel gibt s ja einige Musiker*innen, die in den letzten Jahren geplante Auftritte abgesagt haben: Lana Del Rey zum Beispiel, Lorde, Thurston Moore von Sonic Youth. Andere kommen erst recht, wie Nick Cave oder Radiohead oder am Samstag beim ESC Madonna! Für die israelische Musikszene hat BDS auch Auswirkungen, aber, wenn man Melody Sucharewicz glauben will, anders als von der Boykottkampagne gewünscht: Sie sagt, es fände nach wie ein fruchtbarer, bereichernder kultureller Austausch zwischen Israel und Europa statt – an dem aber die BDS-Unterstützer nicht teilhaben – und dabei ginge ihnen sehr viel verloren.
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