Botanik-Boom in der Literatur

Warum wir Sehnsucht nach Pflanzen haben

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Eine Frau versteckt sich hinter Farnblättern.
Es gibt eine gewisse Sehnsucht, Natur wieder anzuschauen und zu erleben, sagt die Germanistin Isabel Kranz. © EyeEm / Hara Taketo
Isabel Kranz im Gespräch mit Liane von BIllerbeck  · 18.04.2019
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Vermenschlichte Pflanzenbilder gibt es schon lange, sagt die Literaturwissenschaftlerin Isabel Kranz. Schon Märchen und Sagen widmeten sich dieser Beseeltheit. Es gebe auch eine Neugierde auf altes Wissen, was die Vielzahl an Gartenbüchern erkläre.
Liane von Billerbeck: Wenn man sich die Neuerscheinungen in den Rubriken Garten und Pflanzen anschaut, dann ist deren Zahl und Vielfalt ja beachtlich, kann man sagen, und wenn man so ein Buch auch nur einigermaßen gut macht, dann ist der Erfolg schon fast garantiert. Die Flora scheint viele Menschen zu interessieren.
Pflanzen scheinen auch irgendwie ein Trost zu sein in der schnelllebigen Zeit, scheint der Flora voller Poesie, duftend und einfach nur schön. Dieses Verhältnis, das spiegelt sich natürlich auch in der Literatur, zumal man erinnern darf, dass Botaniker wie Musiker den unübertroffenen Vorteil haben, sich überall auf der Welt verständigen zu können. Morgen wird in Dresden eine große Ausstellung eröffnet im Hygienemuseum, "Von Pflanzen und Menschen" heißt sie, und uns interessiert, wie diese Beziehung sich in der Literatur spiegelt.
Deshalb habe ich mich mit Isabel Kranz verabredet, sie ist Literaturwissenschaftlerin am Institut für Germanistik der Universität Wien und leitet dort das Projekt "Literarische Botanik" und hat zudem das sehr schöne Buch "Sprechende Blumen. Ein ABC der Pflanzensprache" geschrieben, das jetzt auch hier auf meinem Tisch liegt.
Ein Blumenmeer aus rosafarbenen und gelben Blumen.
Die Inflation der Gartenbücher zeigt die Liebe zur Natur. © Imago / Wolfgang Zwanzger
Bücher, die die Pflanze regelrecht vermenschlichen, die gab es ja in den vergangenen Jahren einige. Denken wir nur an "Das geheime Leben der Pflanzen" oder "Bäume. Wie sie fühlen, wie sie kommunizieren". Wie erklären Sie sich dieses Phänomen?
Kranz: Ich glaube, es gibt zwei Gründe für dieses Phänomen. Zum einen ist es so, dass wir in gewisser Weise bestimmte Dinge verlernt haben, die für unsere Großeltern noch ganz bekannt waren, dass der Garten ein System ist, wo bestimmte Pflanzen und Tiere miteinander kommunizieren und leben und dass man da eingreifen kann und das regulieren kann zu einem bestimmten Zweck, viele Leute aber gar nicht mehr so direkte Erfahrung der Natur vor Augen oder vor dem Haus haben.
Es gibt eine gewisse Sehnsucht, da sich wieder einzuschreiben und das zu lernen und anzuschauen. Daher, glaube ich, gibt es diese große Flut von Gartenbüchern, autobiografischen Gartenbüchern, die davon erzählen, wie jemand, der oder die lange Zeit gar nichts mit Pflanzen zu tun hatte, sich dem Garten genähert hat und was dort gelernt wurde. Ich glaube, das befriedigt ein Bedürfnis von vielen Leuten, heute darüber mehr was zu erfahren und zu erzählen.

Auch Pflanzen sind komplex

Billerbeck: Stecken denn hinter dieser Näherung an die Pflanzen auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse, oder bedienen diese Bücher, wie einige, die ich da gerade zitiert habe, auch ein manchmal auch esoterisches Bedürfnis vieler Menschen nach der Versöhnung mit der Natur?
Kranz: Ja, ich glaube, dass beide Teile auch wiederum dieser Frage zu beantworten sind. Zum einen ist es so, dass es schon ein Bedürfnis danach gibt zu erfahren, was bedeutet eigentlich Leben und ist Leben vielleicht auch mehr als das menschliche und das tierische. Das haben wir ja alle schon akzeptiert, dass Tiere kommunizieren und Gefühle haben und dass sie unsere Kompagnons sind in unserem Leben, aber Pflanzen sind auch komplexer als man auf dem ersten Blick denken mag.
Biene bestäubt eine Blüte
Die Kommunikation von Pflanzen mit ihren Bestäubern, wie hier einer Biene auf einer Blüte. © imago / Chromorange
Zum anderen ist es so, dass genau diese Erkenntnisse in den letzten Jahren wirklich wieder populär gemacht wurde durch die sogenannte Pflanzenneurophysiologie, also die Untersuchung, wie Pflanzen eigentlich untereinander kommunizieren, mit ihren Bestäubern kommunizieren, mit ihrem ganzen Umfeld, und da gibt es ein paar sehr, sehr gute und auch populärwissenschaftlich gut aufbereitete Bücher. Ich glaube, das spielt ein bisschen zusammen, und das Esoterische ist eigentlich immer schon in dieser Frage, können Pflanzen kommunizieren, vorhanden, dieses Begehren, dass vielleicht meine Topfpflanze auf dem Balkon, auf dem Fensterbrett mir eigentlich was mitteilen möchte, aber da gibt es natürlich Schattierungen. Pflanzen kommunizieren in der Tat, das weiß man.
Billerbeck: Ich überlege gerade, welche Topfpflanze das sein könnte, die da mit mir redet! Sie forschen schon lange ja zum Pflanzenbild in der Literatur. Da wissen Sie sicher auch, wie alt solche vermenschlichten Pflanzenbilder denn schon sind.
Kranz: Also vermenschlichte Pflanzenbilder gibt es eigentlich auch schon sehr lange, im Mittelalter durchaus, bestimmte Pflanzen sind besonders beliebt gewesen, zum Beispiel die Alraunewurzel, die schon, wenn man sie ausgräbt, so eine menschliche Figur hat und an die sich ganz viele Mythen und Sagen knüpfen. Ich habe mich besonders mit Blumen beschäftigt. Da ist es auch so, dass man durchaus die Tendenz hat, in den Blumen Körper zu sehen, Köpfe zu sehen, Gesichter auch zu sehen, und dann liegt es relativ nahe, dass man sie vermenschlicht und Geschichten von ihnen erzählt.
Alle unsere Märchen und Sagen berichten eigentlich von dieser Beseeltheit und Belebtheit des Pflanzenreiches, und die Literatur kann natürlich besonders gut sich da hineinversetzen und diese Geschichten erzählen. Heute ist sie, glaube ich, dazu auch besonders berufen, eben aufgrund dieser neuen Erkenntnisse, noch mal zu sagen, wie ist denn dieses andere Leben, das nichtmenschliche Leben, und welche Verantwortung haben wir vielleicht auch für dieses andere Leben, was uns umgibt und von dem wir alle abhängig sind. Also menschliches oder tierisches Leben würde ja nicht existieren ohne die Pflanzen. Das ist die Grundlage all unseres Lebens.

Die Blumensprache

Billerbeck: Wir verschenken ja auch gerne Blumen, die viel früher ja noch viel deutlicher als heute mit unterschiedlichen Bedeutungen konnotiert sind, also die berühmte rote Rose. Dazu kommen Redewendungen und Metaphern – "etwas durch die Blume sagen", "stark wie eine Eiche". Sind Pflanzen auch so eine Art Medium oder Ausdrucksform für Menschen?
Kranz: Das würde ich auf jeden Fall unterschreiben. Es ist so, dass sie ja nicht sprachlich kommunizieren und auch keine Laute von sich geben anders als Tiere. Und insofern ist es oft so gewesen, dass man ihnen bestimmte Sprachen unterstellen musste, dass man sagen musste, okay, sie können nicht sprechen, aber sie sagen trotzdem etwas aus. Das, was Sie angesprochen haben, diese sogenannten Blumensprache, ist durchaus eine Erfindung des späten 18. Jahrhunderts, war im 19. Jahrhundert wahnsinnig populär, und Menschen, besonderes Liebespaare, heißt es in der Literatur, haben sich Blumensträuße geschickt, um geheime Nachrichten zu versenden.
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Wir lassen Blumen gerne sprechen, wenn es um die Liebe geht. © nicography / photocase.de
Billerbeck: Sagen Sie mal ein Beispiel.
Kranz: Ich kann die immer nicht selber so gut komponieren, weil die in jedem Buch anders zusammengesetzt sind, und das ist schon wieder ein Hinweis darauf, dass ich ja meistens denke, dass es gar nicht so wirklich getan wurde, sondern dass man da gerne von erzählt hat und drüber geschrieben hat, weil die Herausforderung ja drin bestanden hätte, dass mein Gegenüber genau das gleiche Buch zum Dekodieren besitzen muss, und ich glaube, es ging einfach um das Spiel, mit diesen Büchern und diesen Pflanzen zu spielen, zumal man auch diese Blumen, die man hätte brauchen müssen, um einen Strauß zu komponieren, gar nicht alle gleichzeitig hatte.
Also es ging eher darum, ich schreibe einen Brief und schreibe, ich schicke dir gelbe Tulpen verbunden mit Vergissmeinnicht und ein bisschen Efeu, um einen bestimmten Ausdruck zu sagen, also vielleicht sowas wie, wir treffen uns morgen um 15 Uhr unten am Fluss. Also so spezifisch waren diese Bücher.

Wankende Heimatbilder

Billerbeck: Also wir müssen jetzt die Dekodierung erst mal erlernen, wenn wir uns gegenseitig solche Briefe und solche Sträuße schicken wollen. Eine Frage zum Schluss: Es gibt ja auch Pflanzen, die werden stark mit bestimmten Regionen verbunden, also die deutsche Kartoffel – ist ja auch das Sprichwort für uns immer in anderen Ländern –, dabei wissen wir, die Kartoffel ist gar nicht so deutsch, die kommt aus Lateinamerika. Sind solche Pflanzen auch dazu da, bestimmte Identitäten zu verteidigen?
Kranz: Auf jeden Fall. Ich habe im Wintersemester in Tirol unterrichtet, und da hat eine Studentin eine Hausarbeit geschrieben über die Geranie, also für sie das Heimatsymbol Tirols. Stellt sich heraus, die Geranie ist nicht endemisch, also nicht heimisch, sondern kommt eigentlich aus Zentralasien. Da fällt natürlich ein ganzes Heimatbild zusammen, oder ich würde sagen, es fällt nicht zusammen, sondern es wird eigentlich interessanter, denn sie ist durchaus ein Heimatbild. Aber Heimat heißt dann nicht, etwas, was schon immer da war, sondern etwas, was jetzt da ist und mit uns hier lebt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Die Ausstellung "Von Pflanzen und Menschen. Ein Streifzug über den grünen Planeten" ist vom 19. April 2019 bis zum 19. April 2020 im Deutschen Hygienemuseum in Dreseden zu sehen.

Isabel Kranz: Sprechende Blumen. Ein ABC der Pflanzensprache. Matthes & Seitz 2014, 32 Euro.

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