Boris Palmer zur Flüchtlingspolitik

"Wir Grünen dürfen nicht außen vor sein"

Boris Palmer, Oberbürgermeister Tübingen (Bündnis 90/Die Grünen), aufgenommen am 26.09.2013 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner" zum Thema: "Zum Regieren verdammt - in der Not hilft nur Schwarz-Rot?" im ZDF-Hauptstadtstudio im Berliner Zollernhof Unter den Linden.
Boris Palmer, Grünen-Bürgermeister von Tübingen, setzt angesichts des Flüchtlingsansturms auf Realpolitik. © picture-alliance / dpa-ZB / Karlheinz Schindler
Moderation: Frank Meyer und Katja Schlesinger · 22.09.2015
Hunderttausende Flüchtlinge zwingen auch die Grünen zur Realpolitik. Dieser Meinung ist Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer. Nicht jeder Grundsatz müsse sofort aufgegeben werden, doch dürften die Grünen sich nicht ins Abseits manövrieren.
Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) sieht Deutschland im Krisenmodus - und seine Partei in der Pflicht, in der Flüchtlingskrise Realpolitik walten zu lassen.
So seien etwa festgelegte Asylstandards angesichts des Ansturms Hunderttausender Flüchtlinge nicht zu halten. Palmer sagte, Deutschland habe angesichts der vielen Flüchtlinge längst die Kontrolle verloren - "wir müssen uns das ehrlicherweise eingestehen". Nun müsse das Beste aus der Situation gemacht werden - was unter anderem Abstriche bei der Unterbringung mit sich bringe. Der Grünen-Politiker:
"In der kommunalen Praxis ist es mittlerweile so, dass wir die Menschen in Sporthallen, teilweise in unbeheizbaren Hallen, teilweise in Zeltstädten unterbringen. Das hätte ich mir vor fünf Jahren nie denken können, dass ich als grüner Oberbürgermeister so etwas machen muss."
Geld oder Sachleistungen?
Der Tübinger Oberbürgermeister mahnt zudem zur Vorsicht: Er halte es für kontraproduktiv, asylsuchenden Menschen "Taschengeld für mehrere Monate" in die Hand zu drücken - Summen, die etwa für Menschen aus Balkanländern unvorstellbar hoch seien. Dies wecke falsche Vorstellungen und Hoffnungen, die nicht erfüllt werden könnten. Palmer hält es für vernünftiger, die Asylsuchenden in den Erstaufnahmelagern zunächst über Sachleistungen zu versorgen. In die Kommunen hingegen müsse Geld für die Versorgung und Integration derjenigen fließen, deren Asylantragsverfahren genehmigt worden sei.
Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern sitzen und liegen im Erstaufnahmelager der Bayernkaserne in München (Bayern) in den Betten ihrer Unterkunft, die in einer ehemaligen Bundeswehr-LKW-Garage eingerichtet wurde.
Flüchtlinge aus verschiedenen Ländern in einem Erstaufnahmelager, der Bayernkaserne in München.© Picture Alliance / dpa / Peter Kneffel
Im Übrigen sei es unrealistisch, alle Asylsuchenden aufzunehmen: Wer vor allem aus wirtschaftlichen Gründen, etwa aus den Balkan-Ländern, Zuflucht in Deutschland suchen wolle, solle dies lieber über den Arbeitsmarkt versuchen und sich um Jobs in Deutschland bemühen. Dafür brauche Deutschland jedoch eine neue und bessere Einwanderungspolitik.
Flüchtlingspolitik wird auf Länderebene entschieden
Zur Linie der Bundes-Grünen sagte Palmer: Über das Thema Flüchtlinge würden die Länderregierungen entscheiden. Auch wenn die Parteispitze in Berlin sich etwa bei der Ausweitung der als sicher geltenden Herkunftsländer ablehnend zeige, stehe fest: "Man muss nicht jeden Grundsatz sofort aufgeben. Aber wir können uns eines nicht leisten: Dass die Grünen im Bundesrat nicht mitwirken an einer Gesamtlösung." Denn alle Beteiligten befänden sich im Krisenmodus. "Dann muss die Republik zusammenstehen, und wir Grüne dürfen dabei nicht außen vor sein, wir müssen an einer Lösung mitwirken."
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